Libyens Frauen pochen auf Mitsprache
Neue Regierung und neue Verfassung sollen Gleichberechtigung stärken
Von Mel Frykberg, Tripolis (IPS) *
Libyens Frauen, die sich aktiv am
Sturz Muammar al-Gaddafis und den
Wahlen im Juli 2012 beteiligt hatten,
sitzen in den Startlöchern, um die
Politik des nordafrikanischen Staates
gleichberechtigt mitzugestalten.
An Selbstbewusstsein fehlt es Libyens
Frauen nicht. »Libyens
Frauen waren für den Ausgang der
Wahlen mitverantwortlich«, sagt
Nadine Nasrat vom Institut für Demokratie
und Wahlhilfe (DEA).
»Viele von ihnen haben der progressiven
Allianz der nationalen
Kräfte (NFA) ihre Stimme gegeben.
« Wie viel Libyens Frauen zum
Gelingen der Revolution investiert
hätten, sei von den Medien größtenteils
ausgeblendet worden, berichtet
Nasrat, Vorsitzende der
Tripolis-Sektion des Komitees zur
Förderung der Partizipation und
Mitbestimmung von Frauen.
»Doch Fakt ist, dass sie die Rebellen
unterstützten und darüber hinaus
logistische und medizinische
Hilfe leisteten. »Sie kochten und
ernährten die Männer, damit sie
nicht hungrig in den Kampf ziehen
mussten, und versorgten Haushalt
und Kinder.«
Trotz dieser ersten bedeutenden
Gehversuche in Richtung politischer
Emanzipation und sozialer
Anerkennung war vielen klar, dass
der vor ihnen liegende Weg aufgrund
historischer, kultureller und
religiöser Hürden in Libyens konservativer
und patriarchalischer
Gesellschaft steinig sein würde. Die
Wahlen im Juli 2012 erwiesen sich
als doppelschneidiges Schwert.
Mehr als 500 Frauen, fast die
Hälfte aller Kandidaten, stellten
sich zur Wahl. Das war einmalig in
der Geschichte Libyens und für die
Libyerinnen.
Der Rückschlag kam unmittelbar.
Ibtisan Staita aus Dernah, ein
Mitglied der siegreichen NFA, gewann
einen Sitz im Nationalrat. Sie
entging einem Mordanschlag, weil
sie die Täter, mutmaßliche Islamisten,
mit ihrer Kusine verwechselt
hatten, die sie statt ihrer umbrachten.
Sterben sollte Staita,
weil ihre politischen Ambitionen
unerwünscht waren. Die feindliche
Haltung, die konservative Libyer
politisch engagierten Frauen entgegenbringen,
wurde bereits im
Wahlkampf sichtbar. Die Wahlplakate
weiblicher Kandidaten
wurden von den Wänden gerissen
und Flyer vernichtet. Das sind einige
Vorfälle, mit denen sich Nasrats
Ausschuss beschäftigt. Er betreut
landesweit hunderte Mitglieder,
die sich zusammen mit internationalen
Nichtregierungsorganisationen
für die Rechte von
Frauen einsetzen.
Das Komitee zur Förderung der
Partizipation und Mitbestimmung
von Frauen, dem auch etliche Politikerinnen
verschiedener politischer
Parteien angehören, versucht
mit Hilfe seines politischen
Einflusses die Partizipation der libyschen
Frauen in der neuen Regierung
zu stärken, damit sich
diese für Gesetze zugunsten eines
Wandels starkmachen. Zunächst
soll sichergestellt werden, dass der
Verfassungsausschuss, der im
Auftrag der Regierung neue Gesetze
entwirft, zu 30 Prozent aus
Frauen besteht.
»Tatsächlich gibt es eine Vielzahl
von Dingen, die wir ändern
wollen«, sagt Nasrat. »Dazu gehört
auf jeden Fall das Scheidungsrecht.
« Werden Frauen in Libyen
geschieden, sind sie gezwungen,
das Haus zu verlassen, wenn keine
Kinder da sind. Auch die Unterhaltsfrage
muss nach Ansicht von
Nasrat neu geregelt werden.
»Nicht nur, dass die Väter geringe
Beiträge zahlen – die Frauen sind
nach der Scheidung gezwungen,
sich jeden Monat in den Gerichten
einzufinden und durch einen bürokratischen
Dschungel zu kämpfen,
bevor ihnen der winzige Betrag
durch ein Fensterloch ausgezahlt
wird.« Dieser demütigende
Vorgang müsse ein Ende haben
und den Frauen der Unterhalt automatisch
überwiesen werden.
Noch jedoch steht der Kampf der
libyschen Frauen am Anfang.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 14. August 2012
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