Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Libyens Frauen pochen auf Mitsprache

Neue Regierung und neue Verfassung sollen Gleichberechtigung stärken

Von Mel Frykberg, Tripolis (IPS) *

Libyens Frauen, die sich aktiv am Sturz Muammar al-Gaddafis und den Wahlen im Juli 2012 beteiligt hatten, sitzen in den Startlöchern, um die Politik des nordafrikanischen Staates gleichberechtigt mitzugestalten.

An Selbstbewusstsein fehlt es Libyens Frauen nicht. »Libyens Frauen waren für den Ausgang der Wahlen mitverantwortlich«, sagt Nadine Nasrat vom Institut für Demokratie und Wahlhilfe (DEA). »Viele von ihnen haben der progressiven Allianz der nationalen Kräfte (NFA) ihre Stimme gegeben. « Wie viel Libyens Frauen zum Gelingen der Revolution investiert hätten, sei von den Medien größtenteils ausgeblendet worden, berichtet Nasrat, Vorsitzende der Tripolis-Sektion des Komitees zur Förderung der Partizipation und Mitbestimmung von Frauen. »Doch Fakt ist, dass sie die Rebellen unterstützten und darüber hinaus logistische und medizinische Hilfe leisteten. »Sie kochten und ernährten die Männer, damit sie nicht hungrig in den Kampf ziehen mussten, und versorgten Haushalt und Kinder.«

Trotz dieser ersten bedeutenden Gehversuche in Richtung politischer Emanzipation und sozialer Anerkennung war vielen klar, dass der vor ihnen liegende Weg aufgrund historischer, kultureller und religiöser Hürden in Libyens konservativer und patriarchalischer Gesellschaft steinig sein würde. Die Wahlen im Juli 2012 erwiesen sich als doppelschneidiges Schwert. Mehr als 500 Frauen, fast die Hälfte aller Kandidaten, stellten sich zur Wahl. Das war einmalig in der Geschichte Libyens und für die Libyerinnen.

Der Rückschlag kam unmittelbar. Ibtisan Staita aus Dernah, ein Mitglied der siegreichen NFA, gewann einen Sitz im Nationalrat. Sie entging einem Mordanschlag, weil sie die Täter, mutmaßliche Islamisten, mit ihrer Kusine verwechselt hatten, die sie statt ihrer umbrachten. Sterben sollte Staita, weil ihre politischen Ambitionen unerwünscht waren. Die feindliche Haltung, die konservative Libyer politisch engagierten Frauen entgegenbringen, wurde bereits im Wahlkampf sichtbar. Die Wahlplakate weiblicher Kandidaten wurden von den Wänden gerissen und Flyer vernichtet. Das sind einige Vorfälle, mit denen sich Nasrats Ausschuss beschäftigt. Er betreut landesweit hunderte Mitglieder, die sich zusammen mit internationalen Nichtregierungsorganisationen für die Rechte von Frauen einsetzen.

Das Komitee zur Förderung der Partizipation und Mitbestimmung von Frauen, dem auch etliche Politikerinnen verschiedener politischer Parteien angehören, versucht mit Hilfe seines politischen Einflusses die Partizipation der libyschen Frauen in der neuen Regierung zu stärken, damit sich diese für Gesetze zugunsten eines Wandels starkmachen. Zunächst soll sichergestellt werden, dass der Verfassungsausschuss, der im Auftrag der Regierung neue Gesetze entwirft, zu 30 Prozent aus Frauen besteht.

»Tatsächlich gibt es eine Vielzahl von Dingen, die wir ändern wollen«, sagt Nasrat. »Dazu gehört auf jeden Fall das Scheidungsrecht. « Werden Frauen in Libyen geschieden, sind sie gezwungen, das Haus zu verlassen, wenn keine Kinder da sind. Auch die Unterhaltsfrage muss nach Ansicht von Nasrat neu geregelt werden. »Nicht nur, dass die Väter geringe Beiträge zahlen – die Frauen sind nach der Scheidung gezwungen, sich jeden Monat in den Gerichten einzufinden und durch einen bürokratischen Dschungel zu kämpfen, bevor ihnen der winzige Betrag durch ein Fensterloch ausgezahlt wird.« Dieser demütigende Vorgang müsse ein Ende haben und den Frauen der Unterhalt automatisch überwiesen werden. Noch jedoch steht der Kampf der libyschen Frauen am Anfang.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 14. August 2012


Zurück zur Libyen-Seite

Zurück zur Homepage