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Der Sieger heißt Sarkozy

Frankreich will in Libyen Versäumnisse im "Arabischen Frühling" wettmachen

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Noch ist die militärische Lage in Tripolis unübersichtlich, die libyschen Aufständischen haben Staatschef Gaddafi weder tot noch lebendig in ihrer Hand. Doch der Sieg scheint nahe – und schon tönen in Paris die Rechtsregierung und die ihr verpflichteten Medien von einem »Triumph Sarkozys«. Damit soll nicht zuletzt Stimmung für die Präsidentschaftswahl 2012 gemacht werden.

Tatsächlich hat Sarkozy im März gegen alle Bedenken und Widerstände für ein militärisches Eingreifen zugunsten der Aufständischen plädiert und es dann auch durchgesetzt. Sein Außenminister Alain Juppé hat im UN-Sicherheitsrat eine Resolution erwirkt, die Bombenangriffe der NATO »zum Schutz der Zivilbevölkerung« erlaubt. In den zurückliegenden Monaten haben französische Kriegsflugzeuge 1730 Angriffe auf Ziele in Libyen geflogen.

Paris hatte auch als erster Staat den Provisorischen Rat der Rebellen als einzige rechtmäßige Regierung des Landes anerkannt. Als sich deren Aktionen festzufahren und zu scheitern drohten, schickte Paris auf Umwegen umfangreiche Waffen- und Munitionslieferungen. Wahrscheinlich wurden auch französische Ausbilder und ausländische Söldner für Spezialeinsätze entsandt, wenngleich das offiziell in Paris bislang dementiert wird. Obwohl die UN-Resolution eigentlich nur von einem Schutz durch Lufthoheit gesprochen hatte, setzte Frankreich Kampfhubschrauber zur gezielten Ausschaltung ausgewählter Objekte ein.

»Sarkozy hat diesen Krieg zu seiner ganz persönlichen Sache gemacht«, zitiert die Zeitung »Le Monde« einen Elysée-Mitarbeiter. Während noch für Frankreichs früheren Präsidenten Jacques Chirac »der Krieg die schlechteste aller Lösungen« war, scheute Sarkozy nicht vor dem Einsatz militärischer Mittel zurück, um »Gaddafi in die Knie zu zwingen«. Der Präsident hat nie das arrogante Auftreten des Diktators bei dessen Paris-Besuch 2007 verwunden, als Gaddafi bei den Gesprächen im Elysée über seine Sicht der Weltlage schwadronierte und sich vor den Medien über die Unterdrückung der französischen Frauen empörte oder die Jugendlichen der Vororte zum »Aufstand« aufrief. Am dritten Tag des Besuchs soll Sarkozy zu seinen Beratern gesagt haben: »Das ist ein Verrückter, ich kann ihn nicht mehr sehen.« Die mit dem Besuch verbundenen Hoffnungen auf den Export von Raffale-Jagdbombern – von deren Qualität sich Gaddafi jetzt unmittelbar überzeugen konnte – und auf Ölgeschäfte oder Industrieanlagenimporte haben sich ja auch nicht erfüllt.

Dafür winken jetzt umfangreiche Geschäfte mit den neuen Herrschern, die Frankreich als ihren wichtigsten Partner im Kampf auch danach bevorzugt behandeln wollen. Da die französischen Baukonzerne mit umfangreichen Aufträgen für den Wiederaufbau und der Ölkonzern Total mit neuen Förderkonzessionen rechnen können, haben deren Kurse an der Pariser Börse schon kräftig angezogen. Ob sich jedoch Libyen nach dem Sturz von Gaddafi so entwickelt, wie man es sich in Paris, London oder Washington erhofft, oder ob Kräfte die Oberhand gewinnen, die den westlichen Demokratien und ihrer Zivilisation eher reserviert oder ablehnend gegenüberstehen, bleibt abzuwarten. Vorläufig jedenfalls hat sich Sarkozys Vorpreschen und sein gewagtes militärisches Engagement für ihn persönlich ausgezahlt. Dabei zog er zunächst nur nach, nachdem Paris Anfang des Jahres die Revolution in Tunesien erst verschlafen, dann falsch bewertet und bis zuletzt auf Diktator Ben Ali gesetzt hatte. Auch bei der Entwicklung in Ägypten kam Frankreich zu spät, konnte keinen Einfluss nehmen und also keine eigenen Interessen durchsetzen. Mehr noch, mit dem jetzt wegen Machtmissbrauch und Korruption vor Gericht gebrachten Staatschef Husni Mubarak fiel Sarkozys wichtigster Partner in der Region.

Beide Politiker hatten 2008 die Mittelmeerunion aus der Taufe gehoben und als erste Kopräsidenten geleitet. Diese Union ist über die ersten Schritte nicht hinausgekommen und ihre Pläne für ambitiöse Wirtschafts-, Energie- und Umweltprojekte liegen immer noch in der Schublade, weil die europäischen Staaten kein echtes Interesse daran entwickelt haben und entsprechend zögernd mit finanzieller Unterstützung sind. Damit wurden auch die Hoffnungen der Völker der Region auf eine Verbesserung ihrer Lebenslage enttäuscht. Umgekehrt haben die EU-Länder die Mittelmeerunion nie als Instrument gesehen oder genutzt, um angesichts des »Arabischen Frühlings« Hilfe bei der demokratischen Transformation anzubieten und zu organisieren. Sie setzten viel zu lange auf die Diktatoren, die Garanten für Stabilität und gegen Extremisten zu sein vorgaben.

Für die Bevölkerung vor Ort schien sich das Interesse der europäischen Länder in der Region auf die Abwehr illegaler Einwanderer zu beschränken. Doch wenn sich der Demokratisierungsprozess in Nordafrika stabilisieren soll, muss er durch wirtschaftliche Hilfe begleitet werden. Nur so kann sozialer Frieden hergestellt und damit eine friedliche und demokratische Entwicklung gesichert werden. Die Mittelmeerunion ist zwar de facto tot, aber eigentlich wird sie gebraucht und ein Neuanfang ist nicht ausgeschlossen, wenn die EU-Staaten die Lehren aus den Fehlern der vergangenen Jahre ziehen.

* Aus: Neues Deutschland, 26. August 2011


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