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Ruhe im Ramadan?

Frankreich verlängert Kriegseinsatz gegen Libyen, gibt aber Gespräche zu. Spekulationen um Waffenstillstand

Von Gerrit Hoekman und André Scheer *

Gegen die Stimmen der Kommunisten und der meisten Grünen hat die französische Nationalversammlung am Dienstag abend für eine Fortsetzung der Bombenangriffe auf Libyen gestimmt. Mit der regierenden UMP von Staatschef Nicolas Sarkozy stimmten auch die oppositionellen Sozialisten dem Krieg zu. Premierminister François Fillon räumte indirekt jedoch ein, daß die Fortführung des seit dem 19. März geführten Krieges nicht mehr von der UN-Sicherheitsratsresolution 1973 gedeckt ist. Deren »ersten Ziele« wie der Schutz der Bevölkerung vor den Regierungstruppen seien erreicht worden. Nun ziehe sich »die Schlinge um Ghaddafis Hals« zu: »Jetzt muß die internationale Gemeinschaft sich unbeugsam zeigen.« Seine Landsleute kann er damit immer weniger überzeugen. Jüngsten Umfragen zufolge lehnt mehr als die Hälfte der Franzosen die Aggression gegen Libyen mittlerweile ab.

Doch Kontakte

Entgegen ersten Dementis gab Frankreichs Außenminister Alain Juppé am Dienstag doch »Kontakte« mit der Regierung in Tripolis zu, schränkte gegenüber dem Rundfunksender France Info jedoch ein: »Heute sind das noch keine echten Verhandlungen.« Bereits am Montag hatte Verteidigungsminister Gerard Longuet beide Seiten zu Verhandlungen aufgefordert: »Sie können nun miteinander sprechen, weil wir ihnen zeigen, daß es keine Lösung durch Gewalt gibt.« Sobald die verfeindeten Parteien verhandeln, würden die Raketenangriffe eingestellt werden. Der Minister schloß auch nicht mehr aus, daß Ghaddafi im Land bleiben könne: »Er wird in einem anderen Raum seines Palastes leben, mit einem anderen Titel.« In der arabischen Presse ist darüber hinaus zu lesen, daß Frankreich offenbar deutliche Zeichen an den selbsternannten Übergangsrat der Rebellen sendet, daß der Konflikt nicht ewig dauern könne. Auch in den Redaktionsstuben in Kairo, Algier und Beirut glaubt man derzeit fest an Verhandlungen. Beide Seiten sollen sich bereits heimlich in wechselnden europäischen Hauptstädten getroffen haben, hieß es in den vergangenen Tagen in arabischen Zeitungen. Spekuliert wird über einen Waffenstillstand zumindest für die Dauer des islamischen Fastenmonats Ramadan, der um den 1. August herum beginnt. Gegenüber der in London erscheinenden arabischsprachigen Tageszeitung Al-Shaq Al-Awsat sagte der hohe Rebellenoffizier Jamaa Ibrahim am Mittwoch, daß seine Truppen während dieses Monats am liebsten nicht kämpfen wollen. Sie hätten ohnehin schon schwere Versorgungsengpässe und kaum noch Wasser und Lebensmittel.

Angesichts solcher Widersprüche kritisierte der 2010 aus dem aktiven Dienst ausgeschiedene General Vincent Desportes, der sich in Frankreich auch als Militärtheoretiker einen Namen gemacht hat, die mangelhaften strategische Planungen im Elysee-Palast. Bis heute sei unklar, was eigentlich das Ziel des Einsatzes sei. Frankreich habe die politische und militärische Befähigung der Rebellen über- und die Ausdauer von Ghaddafi und seinen Anhängern unterschätzt, sagte Desportes am Sonntag der Zeitung Journal du Dimanche.

Tatsächlich sitzt der libysche Staatschef Muammar Al-Ghaddafi noch immer fest im Sattel. Zwar hat seine Regierung die Kontrolle über die Hälfte des Landes eingebüßt, doch die Rebellen kommen trotz aller Waffenhilfe aus dem Westen und den Golfstaaten kaum voran. Immer noch stehen sie über 100 Kilometer von der libyschen Hauptstadt entfernt, und der Widerstand wird zunehmen, je näher die Aufständischen der Metropole kommen. Noch wichtiger ist: Ghaddafi mag große Teile des Landes verloren haben, aber die Gebiete im dicht besiedelten Westen, in denen die große Mehrheit der Bevölkerung lebt, stehen weiter unter seiner Herrschaft.

50000 gegen die NATO

Offensichtlich hat der Revolutionsführer noch zahlreiche Anhänger, die ihn stützen. In der vergangenen Woche richtete sich Ghaddafi in der Wüstenstadt Sabha, rund 500 Kilometer südlich von Tripolis, mit eine Rede an 50000 Demonstranten, die gegen die Aggression der NATO protestierten. Die Hauptstadt ist bis auf die Detonationen der NATO-Bomben ruhig geblieben. Nennenswerten Protest oder gar den vom Westen erhofften Aufstand gibt es nicht.

Auch die in New York sitzende Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), die im Februar zu den Einpeitschern einer Eskalation des Konflikts in Libyen gehört hatte, rückt mittlerweile von den Aufständischen ab. In einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung wirft die Organisation den Rebellen die Plünderung von Wohnungen, Geschäften und medizinischen Einrichtungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten vor. »Die Oppositionsführer sollten alle Übergriffe durch Rebellen stoppen und bestrafen«, forderte HRW-Direktor Joe Stork. »Die verantwortlichen Rebellen haben die Pflicht, Zivilisten und deren Eigentum zu schützen, vor allem Krankenhäuser.« Erstmals griffen auch westliche Medien diese Kritik auf, während sie solche Berichte bislang als »Ghaddafi-Propaganda« abgetan hatten. Auf die rassistischen Morde an schwarzafrikanischen Immigranten durch die libyschen Rebellen, über die unabhängige Beobachter seit Monaten berichten, ging HRW jedoch nicht ein.

* Aus: junge Welt, 14. Juli 2011


FKP fordert in Libyen-Krise "Diplomatie ohne Bomben"

Parlamentsmehrheit in Paris trotzdem für Fortsetzung des Krieges

Von Ralf Klingsieck, Paris **


Vier Monate nach dem Beginn des internationalen Militäreinsatzes in Libyen hat Frankreich die Fortführung der Luftangriffe beschlossen.

Beide Kammern des Parlaments haben am Dienstag (12. Juli) über die Fortsetzung des militärischen Engagements in Libyen debattiert und abgestimmt. Wie angesichts der erdrückenden Mehrheit der rechten Regierungspartei UMP und des Einschwenkens der Sozialisten auf die Linie der Regierung nicht anders zu erwarten war, votierten 482 Abgeordnete der Nationalversammlung für die Fortsetzung des Krieges, nur 27 dagegen, während 311 Senatoren dafür und 24 dagegen stimmten.

Debatte und Abstimmung im Parlament sind durch Artikel 35 der Verfassung vorgeschrieben, wenn ein »militärisches Engagement vier Monate überschreitet«. Premier François Fillon begründete die Fortsetzung des Krieges mit der Notwendigkeit, Druck auf das Regime in Tripolis auszuüben und eine politische Lösung zu erzwingen. Die Bombenangriffe durch Flugzeuge der NATO hätten »ein Blutbad in Bengasi verhindert« und dazu geführt, dass die Truppen von Staatschef Muammar al-Gaddafi zu keiner größeren Militäroperation mehr fähig seien. Ebenso habe sich die Front im Osten des Landes stabilisiert. Im Westen seien die Aufständischen weiter vorangekommen.

Die französische Regierung suche mit allen Mitteln nach einer politischen Lösung, versicherte Fillon, der allerdings keine direkten Kontakte zum Gaddafi-Regime, sondern nur indirekte über Drittländer einräumen wollte. Außenminister Alain Juppé betonte, die französische Diplomatie arbeite bereits intensiv an Szenarien für »den Tag danach«. Voraussetzung für eine politische Lösung sei allerdings, »dass Gaddafi das Feld räumt – wie auch immer«. Nur dann sei eine Verständigung über die Zukunft Libyens denkbar.

Sprecher der Sozialistischen Partei betonten, sie wollten dem Vorgehen in Libyen »nicht im Wege stehen«, mahnten zugleich aber, das militärische Engagement, das Frankreich bereits mehr als 100 Millionen Euro gekostet hat, müsse schnellstmöglich in eine politische Lösung des Konflikts münden. Während es bei Rechten und Sozialisten nur einzelne »Dissidenten« gab, die der Regierungspolitik ihre Stimme verweigerten, stimmten die Fraktion der Kommunistischen Partei und der Partei der Linken geschlossen, die Fraktion der Grünen mehrheitlich gegen den Krieg in Libyen.

FKP-Sprecher Jean-Jacques Candelier zweifelte die Versicherung der Regierung an, wonach sich die Situation in Libyen »fortlaufend positiv entwickelt«. In Wirklichkeit sei die Lage »unübersichtlich und verfahren«. Das Eingreifen sei überstürzt erfolgt, ohne alle politischen Möglichkeiten für eine Lösung des Konflikts auszuschöpfen. Es liege nicht im Interesse des libyschen Volkes, die Militäraktionen fortzusetzen, sondern die NATO-Kräfte unverzüglich zurückzuziehen und einen Waffenstillstand durchzusetzen. Der FKP-Sprecher forderte eine »Diplomatie ohne Bomben« und eine »schnelle politische Lösung, um die Zivilbevölkerung zu schützen«.

Kritiker sowohl aus dem linken wie dem rechten Lager sprachen von einem »Fiasko« und forderten die »Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker«. Den anfänglichen Rückhalt der französischen Bevölkerung habe man sich durch Übertreibungen und Fälschungen erschlichen.

Tatsächlich war nach den Anti-Gaddafi-Demonstrationen vom 17. Februar von 2000 Todesopfern durch »Vergeltungsaktionen« des Regimes allein in Bengasi und 6000 im ganzen Land die Rede, während Augenzeugen in Bengasi 250 Tote bestätigten. Die Explosion eines Munitionsdepots am Stadtrand von Bengasi Anfang März, die 27 Tote forderte, wurde von der offiziellen französischen Propaganda auf »skrupellosen Beschuss« durch die Truppen Gaddafis zurückgeführt, während es in Wirklichkeit zur Explosion kam, als militärisch unerfahrene Rebellen mit den Waffen hantierten. Vor solchem Hintergrund hatte der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1973 verabschiedet, die den Schutz der Zivilisten in Libyen zum Ziel erklärte, aber inzwischen von Frankreich und den anderen NATO-Staaten äußerst freizügig und fragwürdig ausgelegt wird. Sie soll inzwischen sogar den Abwurf von Waffen für die Rebellen und die Entsendung von Militärberatern für ihre Ausbildung rechtfertigen. Doch der Rückhalt für den Kriegseinsatz bröckelt. Einer Umfrage zufolge wird der Krieg inzwischen von 51 Prozent der Franzosen abgelehnt.

** Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2011


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