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EU einig für Krieg

Sondergipfel in Brüssel spricht sich für Militäreinsatz in Libyen aus. Propagandanebel um angebliche Differenzen

Von Arnold Schölzel *

Vor Beginn des EU-Sondergipfels zu Libyen am Freitag (11. März) in Brüssel gab es noch etwas Theater zwischen den Teilnehmern wegen angeblicher Meinungsverschiedenheiten, obwohl klar war: Krieg auf jeden Fall, aber entweder offen angekündigt (Frankreich, Großbritannien) oder verklausuliert und verschwiemelt (Deutschland und die Mehrheit der anderen Staaten). Nach der Sitzung des Rates verschwand das in der Versenkung und dapd brachte als Eilmeldung: »Die EU will den libyschen Machthaber Muammar Al-Ghaddafi zur Not mit einem Militäreinsatz aus dem Amt jagen. Alle Optionen, auch militärische, blieben auf dem Tisch, sagte der belgische Premier Yves Leterme am Freitag zum Abschluß eines EU-Sondergipfels zu Libyen in Brüssel. Bedingung für einen Einsatz seien aber die Unterstützung der Arabischen Liga sowie eine Einigung des UN-Sicherheitsrates.«

Vor der Sitzung hatte sich die deutsche Regierung um eine solche Kriegsankündigung noch herumgedrückt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), europäische Spezialistin für verdruckste Aussprache, erklärte in Brüssel vor Beginn der Ratssitzung: »Ich wünsche mir, daß wir hier heute ein einheitliches Signal abgeben«, warnte aber vor unüberlegten Handlungen. Die Hintertür: »Wir müssen alles tun, um das Leiden des libyschen Volkes einzuschränken. Aber wir müssen die Schritte genau überlegen, damit wir sie auch zu einem vernünftigen Ende führen.« Frankreich und Großbritannien hatten dagegen vorab ihre Bereitschaft lautstark bekundet, im Falle einer Eskalation sofort militärisch einzugreifen. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy räsonierte, »gezielte Aktionen rein defensiver Natur« seien denkbar, wenn Machthaber Muammar Al-Ghaddafi chemische Waffen einsetze oder mit der Luftwaffe gegen friedliche Bürger vorgehe. Diese Aktionen seien nur möglich, wenn es von den Vereinten Nationen gewünscht, der Arabischen Liga (AL) akzeptiert und der libyschen Opposition gewollt werde. Danach sieht es nicht aus. Die AL-Mitglieder Syrien und Algerien seien gegen die Einrichtung einer Flugverbotszone, hieß es am Freitag aus europäischen Diplomatenkreisen. Die NATO hatte einen Einsatz bereits an Donnerstag an die Bedingung geknüpft, daß die AL dies fordere. Die AL berät am Samstag in Kairo über die Krise in Libyen. Die Afrikanische Union (AU) lehnte bereits am Donnerstag jedwede Militärintervention ab.

Sarkozy forderte die anderen EU-Staaten zudem auf, die libysche Opposition als legitime Vertretung des Landes anzuerkennen. Er hatte zur Überraschung vieler EU-Partner am Donnerstag den oppositionellen Nationalrat zur rechtmäßigen Vertretung Libyens erklärt und einen Botschafteraustausch beschlossen.

Die Lage in Libyen blieb am Freitag (11. März) weiterhin unübersichtlich. Ein Sprecher der Aufständischen bestätigte, daß Getreue Ghaddafis in den Ölhafen Ras Lanuf vorgedrungen seien. Ein Sprecher des in Bengasi gegründeten Übergangsrats ging am Freitag über die bisherigen Forderungen nach einer Flugverbotszone hinaus und bat den Westen um Luftangriffe auf Ghaddafis Truppen. »Die Bombardierung von Söldnern und Stützpunkten der Truppen Ghaddafis sind unsere Forderungen«, erklärte Abdel Hafidh Ghoga.

Der Wunsch könnte in Erfüllung gehen: US-Außenministerin Hillary Clinton, die sich in der kommenden Woche mit Vertretern der Aufständischen treffen will, kündigte in Washington an, ein Plan für eine mögliche Flugverbotszone werde der NATO am 15.März vorgelegt.

* Aus: junge Welt, 12. März 2011


Gaddafi droht mit "Millionen Schwarzer"

Bedrängter Staatschef: Libyen wird afrikanische Flüchtlinge Richtung EU nicht mehr stoppen **

Der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi hat der Europäischen Union gedroht, den internationalen Kampf gegen illegale Einwanderung und Terrorismus nicht weiter zu unterstützen.

Sollte Europa die »aktive Rolle Libyens« als »Garant für die Stabilität« Afrikas missachten, sei sein Land »gezwungen«, sich aus dem Anti-Terror-Kampf zurückzuziehen und seine Politik gegenüber dem Terrornetzwerk Al Qaida »komplett zu ändern«, hieß es in einer Botschafts Gaddafis, die von der amtlichen Nachrichtenagentur Dschana am Freitag verbreitet wurde. Tripolis würde auch afrikanische Flüchtlinge nicht mehr auf ihrem Weg in die EU stoppen. »Millionen Schwarzer« würden dann nach Europa »strömen«, so Gaddafi.

Angesichts der Unruhen in seinem Land fühlt sich Gaddafi nach Aussage eines Vertrauten »traurig« und »verraten«. Meftah Missuri, der seit 16 Jahren für den Revolutionsführer als Übersetzer ins Französische tätig ist, sagte der Nachrichtenagentur AFP, Gaddafi habe »niemals« mit solchen Unruhen gerechnet. »Er glaubt, alles für die Libyer getan zu haben« und fühle sich nun »von der ganzen Welt verraten«. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und den italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi habe er als »Freunde« betrachtet. Er fühle sich von ihnen »verlassen« und sei darüber »ein bisschen verbittert«.

Um die Lage in dem nordafrikanischen Land zu stabilisieren, seien »Wunder« nötig, erklärte der promovierte Historiker Missuri, der einst auch als Diplomat tätig war. Die Krise sei nur über »Vermittlung« zu meistern, ergänzte er. Bei einer Vermittlung sei aber auch der Wille zu Zugeständnissen gefordert. »Ich weiß nicht, ob er dazu in der Lage ist«, so der Übersetzer über seinen Chef. Gaddafi gebe »niemals« auf.

Das betonte auch Gaddafi-Sohn Seif al-Islam. »Das ist unser Land, wir werden niemals aufgeben und uns niemals ergeben«, erklärte er gegenüber britischen Medien. »Das libysche Volk wird die NATO und die USA niemals willkommen heißen.« Man habe keine Angst vor ausländischen Truppen. Diese würden den Kampf verlieren. Bei einem Treffen mit jungen Regierungsanhängern sagte Islam, der Sieg sei nahe. Den »Brüdern und Verwandten« im Osten des Landes, die um Hilfe gebeten hätten, sage er: »Wir kommen.« Die Armee rücke weiter nach Osten vor.

** Aus: Neues Deutschland, 12. März 2011


Veitstänzer abgeblitzt

Von Roland Etzel ***

Angesichts der eskalierenden Bürgerkriegs-Situation in Libyen ist die Rücktrittsforderung der EU an Gaddafi nicht abwegig – sofern sie nicht ultimativen Charakter trägt und von sinnvollen Maßnahmen flankiert wird. Bei einigen EU-Regierungen sind da Zweifel angebracht. Wer die Einstellung der Kämpfe fordert, aber Verhandlungen mit Gaddafi ablehnt, entschärft den Konflikt nicht. Das trifft noch mehr auf jene zu, die sofort militärisch losschlagen wollen wie Frankreichs Präsident.

Sarkozys Einladung zum Mittun an seinem Veitstanz fand gestern in Brüssel erfreulicherweise keine offenen Anhänger. Auch anfängliche Claqueure wie Polen hielten sich am Ende zurück. Zu offensichtlich waren wohl die profilneurotischen Absichten des innenpolitisch auf Talfahrt befindlichen Sarkozy. Die neben Paris tonangebenden EU-Staaten zögern. Selbst wenn dafür nicht unbedingt ihr Respekt vor dem internationalen Völkerrecht ausschlaggebend gewesen sein sollte – eine weise Entscheidung ist es in jedem Fall, nicht unversehens wie in Jugoslawien, Afghanistan oder Irak eine Krise zu internationalisieren, deren Ausgang offen und deren Folgen in allen drei Fällen bis heute nicht bewältigt sind.

Dass das deutsche Tandem Westerwelle/de Maizière vernünftiger agiert hat als etwa sein von verhängnisvollem politischem Abenteurertum getriebenes Vorgängerduo Fischer/Scharping, hat sicherlich zu den alles in allem maßvollen Brüsseler Beschlüssen beigetragen.

*** Aus: Neues Deutschland, 12. März 2011 (Kommentar)


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