Brüssel zeigt die Instrumente
Flugverbotszone, Kontensperrung, Einreiseverbote – EU will harten Kurs gegen Libyen
Von Uwe Sattler *
Heute (11. März) beraten die EU-Staats- und Regierungschefs über die Krise in Libyen. Außenminister und Europaparlament haben die Linie bereits vorgegeben.
An blumigen Worten hat es EU-Kommissionschef José Manuel Barroso nie gemangelt. »Die Menschen in Nordafrika haben sich auf eine Reise zur Freiheit, zu Demokratie und einem besseren Leben begeben«, erklärte er am Dienstag vor der Europaparlament. »Und Europa ist auf ihrer Seite.« Auch auf dem heutigen Sondergipfel zur Entwicklung insbesondere in Libyen wird man um große Parolen kaum verlegen sein. Schließlich geht es um nichts Geringeres als eine »Transformationspartnerschaft«, die den Ländern in Nordafrika angeboten werden soll.
Wie eine solche Liaison aussehen soll, hatten die Brüsseler Kommission und die »Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik«, die britische Baroness Catherine Ashton, zu Wochenbeginn schon einmal abgesteckt. Auf drei Pfeilern soll die künftige Zusammenarbeit basieren. So soll der Demokratisierungsprozesses und der Institutionenaufbau mit besonderem Schwerpunkt auf Menschenrechte, Verfassungs- und Justizreformen und Korruptionsbekämpfung gezielt unterstützt werden; der »engen Partnerschaft mit der Bevölkerung« solle »besondere Aufmerksamkeit gewidmet« und »Impulse für Wirtschaftswachstum, Entwicklung und Beschäftigung, in erster Linie durch Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen«, gegeben werden. Dafür will die Kommission tief in die Kassen greifen: Vier Milliarden Euro lässt sich Brüssel die Hilfsprogramme für die südlichen Nachbarländer im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) im Zeitraum 2011 bis 2013 kosten.
Nach dem Zuckerbrot holten die 27 EU-Außenminister am Donnerstag (10. März) jedoch die Peitsche gegen die libysche Führung hervor. Fünf weitere Finanzorganisationen des Landes wurden mit Sanktionen belegt, eine Person aus dem Umfeld von Staatschef Muammar al Gaddafi wurde mit Einreiseverbot und Kontosperrung belegt. Damit sind insgesamt 27 Personen von solchen Restriktionen betroffen. Ende Februar hatte die EU bereits eine Reihe von Reiseverboten, Finanzrestriktionen und ein Waffenembargo verfügt.
Auch die EU-Abgeordneten hatten sich gestern auf einen harten Kurs begeben. Nahezu zeitgleich mit der Ratstagung der Außenminister haben die Europaparlamentarier über einen »Gemeinsamen Entschließungsantrag zu den südlichen Nachbarländern der EU, insbesondere Libyen« abgestimmt. Die Mehrzahl der Paragrafen klingt unverfänglich. Dazu gehören die Forderung nach Rücktritt Gaddafis und Anerkennung der libyschen Opposition, die Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen und die Unterstützung der Entsendung einer unabhängigen Untersuchungskommission, die Entspannung der Flüchtlingssituation und die Ausweitung der humanitären Hilfe.
Der eigentliche Knackpunkt findet sich im Paragraf 10 der Resolution, in dem es heißt: »Das Europäische Parlament fordert die Hohe Vertreterin (für die Außenpolitik – d.Red.) und die Mitgliedstaaten auf, Vorkehrungen für einen möglichen Beschluss des VN-Sicherheitsrats zur Einleitung weiterer Maßnahmen zu treffen, wie etwa die Einrichtung einer Flugverbotszone, um das Regime daran zu hindern, gewaltsam gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen.« Praktisch ist dies nichts Geringeres als die Befürwortung von Flugverbotszonen und der entsprechenden militärischen Maßnahmen, was einer Intervention gleichkommt.
Lothar Bisky hatte den Gemeinsamen Entschließungsantrag als Vorsitzender der linken GUE/NGL-Fraktion mit vorgelegt. Offensichtlich aus diesem Grunde war ihm bereits vor der Abstimmung unterstellt worden, er befürworte Flugverbotszonen über Libyen. In einer von sechs der acht deutschen Mitglieder der Linksfraktion, darunter Bisky selbst, veröffentlichten Pressemitteilung wurde jedoch ausdrücklich darauf verwiesen, dass »wir (...) die in der Kompromiss-Resolution des Europäischen Parlaments enthaltene Forderung nach Einrichtung einer Flugverbotszone für falsch (halten), auch wenn sie Forderungen aus Teilen der libyschen Opposition und von Staaten der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union aufgreift«.
Sabine Lösing, die für die GUE/NGL im Auswärtigen Ausschuss des Parlaments sitzt, sprach sich in einer eigenen Erklärung nachdrücklich gegen Flugverbotszonen aus und erinnerte daran, »dass die bisher von der UN mandatierten Flugverbotszonen in eine westliche Militärintervention mitsamt anschließender Besatzung mündeten«. Auch Sabine Wils betonte, eine »Flugverbotszone über Libyen ist nichts anderes als der Einstieg in den militärischen Konflikt«.
Tatsächlich stimmten alle deutschen Linksabgeordneten in der gesonderten Abstimmung über Paragraf 10 mit Nein. Auch die Gesamtresolution fiel bei der Schlussabstimmung bei den Vertretern der LINKEN durch. Ein Abgeordneter allerdings stimmte mit Ja – Lothar Bisky.
Bereits im Januar hatte sich das EU-Parlament in ähnlicher Form zum Konflikt in Libyen geäußert, allerdings ohne den Passus zu den Flugverbotszonen. Seinerzeit ging es um die zwei Jahre laufenden Verhandlungen zwischen Brüssel und Tripolis über ein bilaterales Abkommen im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik, die jedoch Ende Februar abgebrochen wurden. Damit steckt Brüssel in der Bredouille. Denn neben der Verstärkung der wirtschaftlichen Beziehungen sollte es in dem Vertrag insbesondere um die »Zusammenarbeit im Bereich Migration« gehen. Noch im vergangenen Oktober hatten Vertreter der EU-Kommission in Libyen eine Vorvereinbarung über das »Management von Migrationsstömen« unterzeichnet – was nichts anderes heißt, als dass Tripolis auch künftig Migranten zurückhalten und jene, die es bis nach Europa geschafft haben, zurückführen sollte. Wie Brüssel die Abschottung Europas ohne den Wachhund Gaddafi aufrechterhalten will, ist noch offen. Nicht ohne Grund hat der ständige EU-Ratspräsident, Herman Van Rompuy, das Thema Migration als einen der Schwerpunkte auf die Tagesordnung des Sondergipfels gesetzt.
* Aus: Neues Deutschland, 11. März 2011
Sarkozy will Libyen bombardieren lassen
Gaddafis Truppen setzen Angriffe auf Rebellen fort / Debatte um NATO-überwachte Flugverbotszone **
Während die Truppen des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi die bewaffneten Rebellen
offenbar nach Osten zurückdrängen, will die EU Gaddafi mit noch härteren Sanktionen zum Rücktritt
zwingen. Uneinig ist sich der Westen nach wie vor über ein militärisches Eingreifen.
Regierungstreue Truppen in Libyen haben am Donnerstag ihre
Angriffe auf die teils noch von Rebellen besetzte Stadt Ras Lanuf fortgesetzt. Im Zentrum der
Hafenstadt schlugen nach Angaben von AFP-Reportern mindestens vier Granaten ein. In Dutzenden
Fahrzeugen flohen Rebellen aus der Stadt, nur wenige Gruppen blieben. »Wir sind besiegt«, zitierte
die Agentur einen Aufständischen. Die westlibysche Stadt Sawija, rund 40 Kilometer von Tripolis entfernt, stand Zeugen zufolge am
Donnerstag bereits unter der Kontrolle der regierungstreuen Truppen. In den vergangenen Tagen
hatte es erbitterte Kämpfe um Sawija gegeben.
Der Rat der Europäischen Union ordnete am Donnerstag (10. März) an, weitere Vermögen der libyschen
Führung einzufrieren, die Außenminister berieten noch härtere Maßnahmen, um Gaddafi zum
Rücktritt zu zwingen. Aus französischen Regierungskreisen verlautete sogar, Präsident Nicolas
Sarkozy wolle seine EU-Partner am heutigen Freitag in Brüssel von gezielten Bombardements in
Libyen zu überzeugen versuchen. Er wolle erreichen, dass die Kommandostrukturen Gaddafis außer
Kraft gesetzt werden. Frankreich hatte zuvor als erster Staat den von der libyschen Opposition
eingesetzten Nationalrat als »rechtmäßige Vertretung« des Landes anerkannt.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle äußerte dazu skeptisch, völkerrechtlich habe Frankreichs
Vorpreschen »keine handfesten politischen Konsequenzen«. Man müsse »klug und vorsichtig
entscheiden«, sagte Westerwelle, »Wir wollen nicht in einen Krieg in Nordafrika hereingezogen
werden.«
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte zu Beginn eines Treffens der
Verteidigungsminister der Allianz in Brüssel, die NATO sei prinzipiell bereit zu einem militärischen
Einsatz, die Voraussetzungen seien derzeit jedoch nicht gegeben. Man werde noch nicht über
bestimmte »operationelle Schritte entscheiden«. Doch »wenn es eine Notwendigkeit gibt, wenn wir
ein klares Mandat und eine starke Unterstützung aus der Region haben, dann sind wir bereit zu
helfen«, spielte er auf die viel diskutierte Forderung nach Einrichtung einer NATO-überwachten
»Flugverbotszone« über Libyen an. Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der bisher ein
militärisches Eingreifen in den Libyen-Konflikt abgelehnt hatte, zeigte sich in Moskau erstmals offen
für Vorschläge zur Einrichtung einer solchen Zone. Russland werde solche Pläne »auf Basis
bestehender Erfahrungen prüfen«: Moskaus Entscheidung hänge davon ab, welche Nationen eine
solche Zone überwachen sollten und welche Waffen eingesetzt würden. Am wichtigsten aber sei
»eine unabhängige Analyse dessen, was in Libyen vor sich geht«. Dabei werde der gerade ernannte
UN-Sondergesandte für Libyen, der Jordanier Abdel Ilah Chatib, »eine entscheidende Rolle«
spielen.
Das Europäische Parlament sprach sich in einer Resolution am Donnerstag (10. März) mit großer Mehrheit für
eine Flugverbotszone aus. Die Linksabgeordneten wandten sich indessen gegen jegliche Militäreinsätze.
** Aus: Neues Deutschland, 11. März 2011
NATO und EU basteln an Libyen-Plänen
Debatte um Flugverbotszone verstärkt / Einsatz von Schiffen könnte UNO-Zustimmung umgehen ***
Der Druck des Westens auf Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi wächst. Bei der Diskussion
über das weitere Vorgehen in Libyen sprachen US-Präsident Barack Obama und Großbritanniens
Premier David Cameron auch über eine Flugverbotszone. Um die wichtige Ölstadt Ras Lanuf tobten
weiter erbitterte Kämpfe.
Nach Angaben des Weißen Hauses waren sich Obama und
Cameron einig, Pläne für das »gesamte Spektrum möglicher Antworten« voranzutreiben, auch bei
der NATO. Mögliche Maßnahmen seien neben Überwachung und humanitärer Hilfe auch ein
Waffenembargo sowie eine Flugverbotszone, hieß es zu dem Telefonat der beiden Politiker.
Cameron sagte anschließend der BBC, Gaddafi tue seinem Volk »furchtbare Dinge« an. »Wir
können nicht einfach danebenstehen und das zulassen.«
Eine Flugverbotszone wird von mehreren Seiten gefordert. Neben Aufständischen in Libyen und
Vertretern der arabischen Welt sprachen sich auch EU-Abgeordnete dafür aus. US-Außenministerin
Hillary Clinton sagte indes, eine solche Entscheidung müsse von der UNO getroffen werden »und
nicht von den USA«.
Berlin dringt auf »härtere Sanktionen« der EU gegen die Führung um Gaddafi. In einem
Diskussionspapier wird unter anderem gefordert, Gaddafi die Immunität zu entziehen. Über das
Papier des Auswärtigen Amtes soll beim Treffen der EU-Außenminister am Donnerstag und beim
EU-Gipfel am Freitag diskutiert werden.
Die USA und ihre europäischen Verbündeten erwägen nach einem Zeitungsbericht auch den
Einsatz von Schiffen, um Hilfsgüter nach Libyen zu bringen und das Waffenembargo zu
kontrollieren. Die Überlegung sei Teil einer ganzen Reihe möglicher Optionen, die Militärplaner der
USA und anderer NATO-Staaten inzwischen ausgearbeitet hätten, berichtete die »Washington
Post« am Mittwoch. Ein solcher Einsatz von Schiffen benötige keine Resolution der Vereinten
Nationen als Grundlage. Ob es sich dabei um Kriegsschiffe handeln soll, wurde nicht gesagt. NATO-Beamte
hätten in der Nacht zum Mittwoch damit begonnen, ihre Regierungen über mögliche
Vorgehensweisen zu unterrichten, meldete die Zeitung weiter. Sie sollen an diesem Donnerstag (10. März) beim Treffen der Verteidigungsminister des Paktes vorgelegt werden. Eines der Szenarien sehe vor,
eine Luft- oder Seebrücke oder beides gleichzeitig einzurichten, um Hilfsgüter in die
Rebellenhochburg Bengasi zu bringen oder auch andere Schiffe dorthin zu eskortieren.
Seepatrouillen vor der libyschen Küste könnten zudem sicherstellen, dass keine Waffenlieferungen
die Truppen von Gaddafi erreichten.
Gaddafi warf dem Westen ein Komplott vor. In einer TV-Rede sagte er, die »Kolonialmächte«
wollten Libyens Rohölvorkommen kontrollieren und das libysche Volk »erniedrigen und zu Sklaven
machen«. In einem Telefonat mit dem griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou warnte
Gaddafi vor einer Intervention in Libyen. Jede Einmischung werde Konsequenzen für Sicherheit und
Stabilität im Mittelmeer haben, zitierten ihn griechische Medien am Mittwoch. Papandreou sagte
demnach, das Problem in Libyen müsse schnell gelöst werden, damit es nicht zu einem Bürgerkrieg
und einer Katastrophe für die Menschen dort kommt.
Die EU kommt Forderungen Gaddafis nach Entsendung eines Untersuchungsteams vorerst nicht
nach. In den Diskussionen zwischen den Mitgliedsstaaten sei das derzeit kein Thema, sagte ein EU-Vertreter
in Brüssel. »Es besteht ein großes Risiko, dass man nicht in der Lage sein wird, den Job
zu machen, den man machen möchte.« Es sei in der jetzigen Situation in Tripolis sehr schwierig,
unabhängig zu bleiben. Das Gaddafi-Regime hatte zuvor in Gesprächen mit einem EU-Vertreter in
Tripolis eine Untersuchung der Vereinten Nationen und der Europäischen Union gefordert und dafür
Unterstützung zugesichert.
*** Aus: Neues Deutschland, 10. März 2011
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