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NATO kriegsbereit

Flugverbotszonen, Waffenlieferungen, Kommandoaktionen: Nordatlantikpakt soll zugunsten der Aufständischen intervenieren. Der Bürgerkrieg in Bosnien läßt grüßen

Von Rüdiger Göbel *

Die NATO hat ihre Planungen für militärische Interventionen in Libyen offensichtlich abgeschlossen. Der Militärpakt sei zu einem Eingreifen bereit, erklärte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Montag in Brüssel, ohne weitere Details zu nennen. Noch gilt die Einschränkung: Man habe nicht vor, ohne Mandat der Vereinten Nationen in dem nordafrikanischen Land zu operieren. Laut Rasmussen ist das Bündnis »auf alle Eventualitäten« vorbereitet und kann in kurzer Zeit aktiv werden. »Wir stehen bereit, wenn es angefragt und angemessen mandatiert ist«, so der NATO-Chef. Er könne sich nicht vorstellen, daß die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen tatenlos zuschauten, »wenn Staatschef Muammar Al-Ghaddafi und sein Militär weiter systematisch die libysche Bevölkerung angreifen«. Diese »weit verbreiteten und systematischen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung können Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen«, sagte Rasmussen – nur sechs Tage, nachdem NATO-Truppen in Afghanistan wieder einmal Zivilisten bombardiert und dabei neun Kinder getötet hatten, die Feuerholz sammeln waren.

Nachdem zunächst Aufständische in der ostlibyschen Stadt Bengasi den Westen zu militärischem Beistand gegen Ghaddafi und Co. aufgerufen hatten, soll sich nun auch der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, für die Einrichtung einer Flugverbotszone ausgesprochen haben. Das kolportierte am Montag zumindest das französische Außenministerium in Paris. In den USA erklärte der Vorsitzende des Senatsaußenausschusses, John Kerry, ein Flugverbot wäre möglich.

Neben der »no-fly-zone« sind auch verdeckte militärische Operationen und die Aufrüstung der Ghaddafi-Gegner im Gespräch, wie weiland in Bosnien in den 90er Jahren, als die NATO die antijugoslawischen Sezessionskräfte unterstützt und den Bürgerkrieg dort um Jahre verlängert hatte. Am Wochenende prognostizierte US-Senator Kerry, Waffen würden »in den nächsten Wochen ihren Weg auf die eine oder andere Weise« nach Libyen finden. Der frühere Sicherheitsberater von US-Präsident George W. Bush, Stephen Hadley, forderte in CNN, Waffenlieferungen an die Rebellen zuzulassen. Der frühere UN-Botschafter der USA, William Richardson, sprach sich dafür aus, die Rebellen »heimlich« mit Waffen zu versorgen. Ein Pentagon-Sprecher sagte laut AFP auf Anfrage, »alle Optionen« würden erwogen.

Wie die New York Times berichtet, bereitet die US-Armee von internationalem Luftraum aus die Störung der Funkkommunikation in Libyen vor. Eine Option sei auch, Sondereinsatztruppen einzuschleusen, um die Aufständischen zu unterstützen. Diese speziell ausgebildeten Einheiten könnten deren Kampfkraft praktisch über Nacht verbessern, so die Zeitung.

Die Gefechtslage in Libyen blieb auch am Montag (7. März) unklar. Kämpfe wurden aus der Küstenstadt Ras Lanuf gemeldet. Die libysche Luftwaffe versuchte Berichten zufolge, das Vorrücken der Aufständischen Richtung Tripolis zu stoppen. Aus dem weiter westlich gelegenen Ort Bin Dschawad mußten sich Aufständische zurückziehen. Bei den Kämpfen wurden nach Angaben von Ärzten mindestens zwölf Aufständische getötet. In Misrata, der drittgrößten Stadt des Landes, sollen 21 Menschen bei Gefechten getötet worden sein.

Die EU entsandte unterdessen ein Expertenteam in die libysche Hauptstadt Tripolis, das Informationen zur humanitären Lage sammeln soll. Treffen mit der Regierung seien nicht geplant.

* Aus: junge Welt, 8. März 2011


NATO warnt Gaddafi vor möglicher Intervention

Militärs planen bereits »für alle Eventualitäten« / Britisches Erkundungsteam wieder frei / UNO ruft zu Spenden auf **

Die NATO hat den libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi vor der Möglichkeit einer militärischen Intervention gewarnt.

»Wenn Gaddafi und seine Militärs weiterhin die libysche Bevölkerung systematisch angreifen, kann ich mir nicht vorstellen, dass die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen tatenlos dabei zuschauen«, sagte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Montag. Zwar betonte er: »Wir haben keine Absicht, in Libyen einzugreifen.« Rasmussen bestätigte jedoch, die NATO-Militärs seien beauftragt, »für alle Eventualitäten« zu planen. »Und ich gehe davon aus, dass jede mögliche NATO-Operation gemäß einem Mandat des UNO-Sicherheitsrates erfolgen würde«, sagte er. Derzeit gebe es kein solches Mandat. Die Arabische Liga unterstützt laut Frankreich die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen.

Unterdessen sind die in Libyen von Aufständischen festgenommenen Briten freigelassen worden. Das »kleine diplomatische Team« habe das Land verlassen, nachdem es auf »Schwierigkeiten« gestoßen sei, erklärte der britische Außenminister William Hague in London. Die Briten waren laut Hague nach Bengasi gereist, um »Kontakte mit der Opposition aufzunehmen«. Ein Sprecher der libyschen Opposition hatte angegeben, ein britischer Diplomat und mehrere britische Soldaten seien nach ihrer Ankunft in einer von Rebellen kontrollierten Zone festgenommen worden.

Angesichts des Konflikts in Libyen mit Zehntausenden Flüchtlingen haben die Vereinten Nationen einen internationalen Spendenaufruf in Höhe von 160 Millionen Dollar erlassen. Die Hilfe in Form von Zelten, Nahrungsmitteln, Wasser, Transportmöglichkeiten und sanitären Anlagen solle in den kommenden drei Monaten bis zu eine Million Menschen erreichen, erklärte UNO-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos am Montag in Genf. Es sei mit bis zu 400 000 Flüchtlingen zu rechnen, einschließlich der bereits geflohenen 200 000 Menschen. Weitere 600 000 könnten in Libyen selbst auf Hilfe angewiesen sein.

Gaddafis Luftwaffe hat am Montag erneut mehrere Angriffe auf die von Rebellen kontrollierte Stadt Ras Lanuf geflogen. Wie ein AFP-Journalist vor Ort berichtete, griff ein Kampfflugzeug einen Kontrollpunkt an einer Straße östlich der Stadt an. 400 Meter von dem Kontrollpunkt entfernt stieg darauf eine große Rauchsäule auf. Die Aufständischen erwiderten das Feuer mit Luftabwehrgeschützen.

** Aus: Neues Deutschland, 8. März 2011


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