Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Schleichender Abschied vom Parlamentsvorbehalt? Der Streit um die Rolle von Bundeswehrsoldaten im Luftkrieg gegen Libyen

Ein Beitrag von Otfried Nassauer in der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien" *

Andreas Flocken (Moderation):

Wir bleiben beim Thema Libyen. Deutschland hatte eine Beteiligung an dem Luftkrieg von vornherein abgelehnt. So mussten Bundeswehrsoldaten aus AWACS-Aufklärungsmaschinen der NATO aussteigen, die den Luftraum des nordafrikanischen Staates überwachen. Doch inzwischen sieht sich die Bun-desregierung mit dem Vorwurf konfrontiert, die Bundeswehr habe sich doch an der Militäraktion beteiligt - durch die Entsendung von Soldaten in die Pla-nungs-Stäbe der Operation Unified Protector. Über welche Bundeswehreinsätze der Bundestag vorher abstimmen muss, ist seit 2005 gesetzlich geregelt - im Parlamentsbeteiligungsgesetz. Trotzdem gibt es hierüber immer wieder Streit. Möglicherweise muss sich das Verfassungsgericht auch mit dem jüngsten Fall beschäftigen. Einzelheiten von Otfried Nassauer:


Manuskript Otfried Nassauer

Verteidigungsminister de Maizière hat elf zusätzliche Bundeswehrsoldaten in NATO-Stäbe nach Italien entsandt. Dort beteiligen sie sich an der Planung der NATO-Operationen gegen Libyen – zum Beispiel am sogenannten Targeting, also der Identifizierung und Auswahl von Zielen, die bombardiert werden sollen. Dies musste das Verteidigungsministerium auf Nachfragen des Grünen-Abgeordneten Hans Christian Ströbele eingestehen. Ströbele sieht das Parlament übergangen und verlangt, dass die Soldaten abgezogen werden. Anderenfalls droht er mit dem Gang zum Verfassungsgericht.

Auf den ersten Blick überrascht das Eingeständnis des Verteidigungsministeriums. Hatte die Bundesregierung sich nicht enthalten, als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im März über den Libyen-Einsatz abstimmte? Hatte sie nicht jede Beteiligung der Bundeswehr strikt abgelehnt? Waren nicht sogar die Bundeswehrsoldaten aus den AWACS-Flugzeugen der NATO und die deutschen Marineschiffe aus dem NATO-Verband im Mittelmeer abgezogen worden?

Der deutsche Außenminister, Guido Westerwelle, hatte jedenfalls damals eine klare Position bezogen:

O-Ton Westerwelle
„Wir werden uns an diesem militärischen Konflikt, an diesem Krieg in Libyen mit der Bundeswehr und mit unseren Soldaten nicht beteiligen.“

Verteidigungsminister de Maizière sah das zumindest teilweise anders. Für ihn stand das Argument der Bündnissolidarität und der Funktionsfähigkeit der NATO im Vordergrund. Er hatte deshalb immer wieder klargestellt, dass die Bundeswehrsoldaten weiter in den Stäben der NATO mitarbeiten. Auch in jenen Stäben, die mit den NATO-Operationen in Libyen befasst sind. Für ihn war es deshalb selbstverständlich, diese Stäbe auch personell zu verstärken, wenn die NATO das für nötig hielt. De Maizière reagierte deshalb ungehalten auf die Kritik des Grünen-Abgeordneten:

O-Ton de Maizière
„Die Auffassung von Herrn Ströbele ist rechtsirrig. Andernfalls könnten wir ja aus der NATO austreten.“

Allerdings: De Maizières Reaktion könnte auch Ausdruck von Schwäche gewesen sein. Getroffene Hunde bellen bekanntlich. Hans Christian Ströbele hatte einen wunden Punkt getroffen. Es ging ihm um die Frage, ob der Bundestag dem Einsatz der zusätzlichen Soldaten zuvor hätte zustimmen müssen.

Was also sagt das Parlamentsbeteiligungsgesetz? Es fordert die vorherige Zustimmung des Bundestages, wenn Bundeswehrsoldaten in einen bewaffneten Einsatz geschickt werden sollen. Diesen definiert das Gesetz folgendermaßen:

„Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt vor, wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist."

Stäbe und Hauptquartiere werden nicht erwähnt. Von ihnen ist aber in der Begründung des Gesetzes die Rede, die für die Interpretation heranzuziehen ist. Dort nahm der Gesetzgeber eine wichtige Unterscheidung vor, die seinen Willen deutlich zum Ausdruck bringt:

Dienen Bundeswehrsoldaten in ständigen, multinationalen Stäben zum Beispiel der NATO, so ist kein besonderes Mandat erforderlich. Die NATO soll funktionsfähig sein. Sollen die Soldaten jedoch in Stäben und Hauptquartieren der NATO eingesetzt werden, die – so wörtlich – „eigens für konkrete bewaffnete Einsätze“ gebildet werden, so muss der Bundestag zuvor ein Mandat erteilen. Solche Stäbe sind in der NATO schon seit etlichen Jahren vorgesehen. Das Bündnis unterscheidet bei seinen Stäben zwischen einem Peacetime Establishment und einem Emergency Establishment – zwischen Frieden und Notfall. Steht eine bewaffnete Operation bevor, so greift die NATO auf vorbereitete Pläne zurück, die regeln, wie die bestehenden Hauptquartiere und Stäbe personell ergänzt und für die Extra-Aufgaben um zusätzliche Stäbe erweitert werden. Denn im Falle eines bewaffneten Einsatzes müssen die Stabssoldaten neben den Routineaufgaben zahlreiche zusätzliche Aufträge erledigen. Aufgaben, die rund um die Uhr anfallen und einen Drei-Schichten-Betrieb erfordern.

So war es auch im Kontext der Libyen-Operation „Unified Protector“. Neben dem ständigen Luftoperationszentrum in Poggio Renatico bei Bologna, dem sogenannten CAOC 5, bildete die NATO eine taktisch-operative Kommando-zentrale für den Libyen-Einsatz. Zu diesem Zweck wurden sogar Aufgaben aus dem übergeordneten Luftwaffenhauptquartier im türkischen Izmir ins italienische Poggio delegiert. Dort entstand – neben dem CAOC 5, das sich weiter um die Luftwaffenaufgaben über Italien und Teilen des Balkans kümmert – also eine neu eingerichtete Führungszentrale für Operationen im libyschen Luftraum. Ulrich Scholz, ein ehemaliger Luftwaffenoffizier, erläuterte im ZDF:

O-Ton Scholz
„Wenn die Nato eine Kriegsoperation im Rahmen der UNO unternimmt, dann geht sie mit ihrer Kommandostruktur von der Friedens- in eine Kriegsstruktur. Und diese Kriegsstruktur oder Einsatzstruktur beinhaltet unter anderem diese Planungsstäbe. Die sind im Frieden nicht vorhanden. Der Luftplanungsstab oder JFAC hat Hunderte von Leuten [für die] Planung. Die machen nichts an-dere als targeting, targeting, targeting. Und den gibt es nur im Einsatz. Wenn in so einem JFAC jetzt deutsche Stabsoffiziere arbeiten, obwohl Deutschland gesagt hat, wir stimmen einem Krieg nicht zu, dann haben wir ein Dilemma.“

Der Grünen-Abgeordnete Ströbele wirft dem Verteidigungsminister deshalb seinerseits vor, das Parlamentsbeteiligungsgesetz falsch auszulegen:

O-Ton Ströbele
„Ja, da irrt der Bundesverteidigungsminister, der meint, dass der Deutsche Bundestag hier nicht beteiligt werden muss. (...) Da hätte der Bundestag mit befasst werden müssen, da hätte der Bundestag zustimmen müssen. Das ist nicht geschehen.“

Dass Ströbele recht haben könnte, zeigt bereits eine einfache Überlegung: Wäre für alle Einsätze von Bundeswehrsoldaten in NATO-Stäben nie ein Parlamentsbeschluss erforderlich, so müsste die Begründung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes gar nicht zwischen mandatspflichtigen und nicht mandatspflichtigen Einsätzen in Stäben unterscheiden. Dann hätte der Gesetzgeber auch gleich argumentieren können: Wenn es um NATO-Stäbe geht, bedarf es keines Mandats. Genau das aber hat er nicht getan. Das Parlament wollte also, dass für die Beteiligung der Bundeswehr an Stäben, die konkrete Einsätze führen, ein Bundestagsmandat erforderlich ist.

Hinzu kommt: In seinem AWACS-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht 2008 ausdrücklich festgehalten: Bestehen Zweifel, ob die Bundesregierung für einen Bundeswehreinsatz ein Mandat des Bundestags benötigt, so soll sie parlamentsfreundlich handeln. Mit anderen Worten: Sie soll das Parlament um ein Mandat bitten. Das hat sie aber nicht getan. Nun muss das Verfassungsgericht wohl erneut entscheiden.

Einigen Experten gehen die Mitspracherechte des Bundestags schon länger zu weit. Sie fordern mehr Handlungsfreiheit für die Exekutive. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, kritisiert zum Beispiel, dass der Parlamentsvorbehalt so rigide ausgelegt werde, dass er einer Gehirnbremse recht nahe komme und die europäische Integration behindern könne. Auch in der Bundesregierung wünscht sich manch einer mehr Kompetenzen und versucht, Präzedenzfälle zu schaffen: Zum Beispiel mit der Operation „Pegasus“. Im Februar flog die Bundeswehr Mitarbeiter eines deutschen Konzerns mit Transallflugzeugen aus Libyen aus. An Bord waren auch bewaffnete Fallschirmjäger zum Selbstschutz. Die Bundesregierung bat den Bundestag nicht um ein Mandat, weder vor noch nach der Evakuierungs-Operation. Und das, obwohl das Parlamentsbeteiligungsgesetz die Möglichkeit einer nachträglichen Mandatserteilung zulässt. Die Bundesregierung ließ es auf einen Versuch ankommen, offenbar um einen Präzedenzfall für bewaffnete Einsätze ohne Bundestagsmandat zu schaffen. Auch dieser Fall wurde inzwischen dem Verfassungsgericht vorgelegt.

* Aus: NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien", 27. August 2011; www.ndr.de/info


Zurück zur Libyen-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zur Bundestags-Seite

Zurück zur Homepage