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Bomben und Hilfsappelle für Libyen

Erneut schwere Luftangriffe der NATO / UNO beklagt humanitäre Notlage Zehntausender

Von Roland Etzel *

NATO-Bomber haben in der Nacht zum Dienstag (10. Mai) erneut die libysche Hauptstadt Tripolis angegriffen, angeblich galten die Angriffe Kommandozentralen der libyschen Armee. Aber auch die Residenz von Staatschef Gaddafi sei attackiert worden. Berichten zufolge werden die Lebensumstände in Tripolis immer schwieriger – es fehle vor allem an Medikamenten und Nahrungsmitteln.

Gestern war der 53. Tag des NATO-Krieges gegen Libyen. Wiederum wurden Luftangriffe geflogen. In der vergangenen Woche hatte das NATO-Hauptquartier bekanntgegeben, dass man derzeit im Schnitt 59 Luftangriffe täglich absolviere, insgesamt seien es damit bereits über 2000. Und noch immer wird behauptet, dass dies allein geschehe, um Zivilisten vor den völkermordenden Truppen des libyschen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi zu schützen. Bewiesen sind weder Massentötungen durch Gaddafis Streitkräfte noch die Verbesserung der humanitäre Lage in Libyen durch NATO-Bomben.

Nicht verbessert hat sich offenbar auch die militärische Lage der Gaddafi-Gegner, trotz inzwischen vorhandener ausländischer Ausbilder und verdeckter Waffenlieferungen über die ägyptische Grenze. Mit der Zuversicht der Aufständischen steht es offenbar nicht zum Besten. Vor etwa zwei Monaten noch wollten sie Gaddafi ohne ausländische militärische Unterstützung stürzen. Jetzt erflehen sie den Einsatz von Bodentruppen. Am Montag hatte es aus dem Widerstandsrat der Aufständischen sogar geheißen, notfalls müssten eben auch Wohnviertel bombardiert werden, wenn sich dort Gaddafi-Truppen verschanzten. Deshalb wird wohl weitergebombt werden. Wieviel dann noch von den libyschen Städten steht, die vor Gaddafis Angreifern geschützt werden sollten, scheint nicht mehr wichtig zu sein.

Das Dauerbombardement zeigt schon jetzt verheerende Wirkungen. Wurden im libyschen Fernsehen zu Beginn des Krieges noch demonstrativ in Ruhe einkaufende Menschen gezeigt, so hat sich dieses Bild gewandelt. Libyen, das nur einen geringen Teil der im Lande nötigen Lebensmittel und andere Verbrauchsgüter selbst produziert, ist auf kontinuierliche Zuflüsse frischer Waren angewiesen. Das war und ist keine Geldfrage, aber in Zeiten von Blockade und Luftkrieg einfach nicht zu bewerkstelligen. Also wird alles knapp: Lebensmittel, Medikamente, selbst Wasser, um nur das Elementarste zu nennen.

Die UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos erklärte in New York, die humanitäre Situation in Libyen werde immer schlimmer. Fast eine dreiviertel Million Menschen seien seit Beginn der Kämpfe Mitte Februar aus dem Land geflohen. Weitere 65 000 Libyer seien im eigenen Land auf der Flucht. Amos hat nun zu einer Waffenpause aufgerufen, damit Hilfsgüter an die Bevölkerung verteilt werden könnten. Das dürften viele Betroffene als zynisch empfinden, denn die einstige britische Staatssekretärin für Entwicklung richtete ihren Appell nicht an die Befehlshaber der Bombergeschwader in London oder Paris, sondern allein an die libyschen Konfliktparteien. Diese sollten Zivilisten verschonen, verlangte Amos am Montag (Ortszeit) im UN-Sicherheitsrat. Insbesondere in der von Gaddafi-Truppen belagerten Stadt Misurata, 210 Kilometer östlich von Tripolis, fehle es an Trinkwasser, Lebensmitteln und anderen Bedarfsgütern, sagte sie.

Nicht wenige Zerstörungen in der Stadt sind allerdings das Werk der NATO. Während Amos in New York auch die Benzinknappheit im Ölland Libyen beklagte, hatten NATO-Bomber gerade den größten Treibstofftank Misuratas in Brand geschossen. Er war eben in der Hand der »Falschen«.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Mai 2011


Terror in Tripolis

Von André Scheer **

Die Luftangriffe der NATO gegen Libyen gleichen immer mehr dem Krieg des westlichen Militärbündnisses gegen Jugoslawien 1999, als Fernsehstationen, diplomatische Vertretungen, Krankenhäuser und von Dorfbewohnern genutzte Brücken bombardiert wurden. Auch in der Nacht zum Dienstag (10. Mai) flogen Kampfjets wieder Angriffe auf die libysche Hauptstadt Tripolis, dessen Einwohner Agenturberichten zufolge versuchten, sich mit Gewehrschüssen zur Wehr zu setzen. Ziel des Angriff war offenbar wieder eine Residenz von Staatschef Muammar Al-Ghaddafi. Getroffen wurden einem Bericht des lateinamerikanischen Nachrichtensenders TeleSur zufolge aber auch der Amtssitz der libyschen Mutter- und Kinderschutzbehörde sowie Mobilfunkanlagen der Stadt.

Bereits am Montag (9. Mai) hatten die ­NATO-Flieger den örtlichen Sitz der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) in Tripolis angegriffen. In unmittelbarer Nähe des Gebäudes befinden sich auch die Sendeeinrichtungen des staatlichen libyschen Fernsehens, informierte TeleSur-Korrespondent Rolando Segura. Die Einwohner des Viertels sehen in den Attacken »einen weiteren Versuch der imperialistischen Kräfte, die Bevölkerung in Angst zu versetzen«, berichtete Segura weiter. So sei bei den Angriffen auch eine Spezialklinik für Verbrennungsopfer beschädigt worden.

Offizielle Grundlage des Luftkriegs gegen Libyen ist noch immer die Resolution Nr. 1973 des UN-Sicherheitsrates vom 17. März, in dem die militärische Durchsetzung einer Flugverbotszone über dem nordafrikanischen Land beschlossen wurde, »um die Zivilbevölkerung zu schützen«. Für den Apostolischen Vikar von Tripolis, Giovanni Martinelli, ist das jedoch keine Rechtfertigung. »Dies bedeutet nicht, daß die Vereinten Nationen, die NATO oder die Europäische Union moralisch dazu berechtigt sind, über Bombenangriffe zu entscheiden«, sagte der Bischof der katholischen Nachrichtenagentur Fides. »Ich habe die Pflicht darauf hinzuweisen, daß Bombenangriffe unmoralisch sind«, so Martinelli.

Doch auch Institutionen der Vereinten Nationen fordern zunehmend einen Kurswechsel. UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos rief alle Seiten zu einer Waffenruhe auf, damit die Bevölkerung mit Lebensmitteln, Trinkwasser und medizinischer Hilfe versorgt werden könne.

Unterdessen informierten Diplomaten darüber, daß die Leichen von 16 Flüchtlingen geborgen werden konnten, deren mit 600 Personen besetztes Boot am Freitag vor der libyschen Küste untergegangen war. Unter den geborgenen Leichen hätten sich zwei Säuglinge befunden. »Jedes Boot, das Libyen verläßt, muß ab dem ersten Moment als hilfsbedürftig angesehen werden«, forderte vor diesem Hintergrund das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in Genf. Die Schiffe sollten nicht erst auf einen Notruf warten, sondern die Flüchtlinge sofort retten. Zu Wochenbeginn war bekannt geworden, daß die NATO im März einem in Seenot geratenen Flüchtlingsboot mehr als zwei Wochen lang Hilfe verweigert hatte. Von den 72 an Bord befindlichen Menschen überlebten nur neun die Irrfahrt (jW berichtete). In Berlin kritisierte die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke) die europäische Abschottungspolitik gegenüber den Flüchtlingen: »Die Nachbarstaaten Libyens haben insgesamt 650000 Menschen aufgenommen, die EU wird schon bei einem Bruchteil davon hysterisch.«

** Aus: junge Welt, 11. Mai 2011


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