Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bodentruppen bestellt

Ghaddafi-Gegner in Libyen fordern Entsendung britischer und französischer Soldaten. Bundesregierung rechnet mit langem Krieg

Von Arnold Schölzel *

Der NATO-Luftkrieg gegen Libyen bringt nicht die angestrebten Resultate. Großbritannien und Frankreich bewegen sich daher schrittweise auf die Entsendung von Bodentruppen auf der Seite »ihrer« Bürgerkriegspartei zu – begleitet von einem orchestrierten Schub an Greuelpropaganda in den westlichen Medien. Die Aufständischen in der umkämpften Küstenstadt Misurata forderten am Dienstag abend offen militärische Hilfe am Boden durch Paris und London.

Der Sprecher der Ghaddafi-Gegner Nuri Abdullah Abdullati erklärte am Dienstag (19. April) vor Journalisten in Misurata, die Aufständischen hätten formell um Bodentruppen für den Schutz von Zivilisten gebeten. Britische und französische Soldaten sollten auf der Basis der »humanitären« Prinzipien nach Miszrata entsandt werden. Die Bitte sei bereits vergangene Woche in Form eines Briefes an den Nationalrat der Aufständischen in Bengasi übermittelt worden. Bisher sei jedoch noch keine Antwort eingetroffen.

Zuvor hatte sich Frankreichs Außenminister Alain Juppé noch entschieden gegen die Stationierung von Bodentruppen ausgesprochen, die in der UN-Resolution vom 17.März zur Durchsetzung einer Flugverbotszone über Libyen nicht vorgesehen ist. Sein britischer Kollege hatte damit weniger Probleme: William Hague kündigte an, zunächst bis zu 20 Militärberater in das nordafrikanische Land zu schicken. Das dürfte kaum auffallen: Bereits zu Beginn des Krieges berichteten verschiedene Medien, daß britische Spezialkommandos in Stärke von mehreren hundert Mann ebenso wie CIA-Gruppen auf seiten der Aufständischen agierten.

Am Mittwoch tastete man sich in Paris etwas weiter vor. Zunächst hieß es, Frankreich wolle ebenfalls eine »sehr kleine Zahl« von Verbindungsoffizieren entsenden, und Regierungssprecher François Baroin behauptete: »Wir fassen nicht die Entsendung von Bodentruppen ins Auge.« Verteidigungsminister Gerard Longuet korrigierte das nach einer Kabinettssitzung etwas und äußerte, daß die Frage es verdiene, international überdacht zu werden. Am Nachmittag wiederum stellte Präsident Nicolas Sarkozy klar– er denkt nicht nur an den Boden: Frankreich wolle die Luftangriffe auf Bitten der Rebellen intensivieren. Den französischen Strategen möchten die libyschen Ghaddafi-Gegner gern selbst im Bodeneinsatz sehen: Der Vorsitzende des Nationalrats der Aufständischen, Mustafa Abdel Dschalil, lud ihn am selben Tag bei einem Treffen in Paris nach Bengasi ein und erklärte: »Ich glaube, das ist sehr wichtig für die Moral der Revolution.«

Die NATO setzte am Mittwoch (20.April) ihre Bombardements fort und attackierte nahe der libyschen Hauptstadt Tripolis nach eigenen Angaben »Kommando- und Kontrollanlagen« der Regierungsarmee. Zugleich räumte die Militärallianz in Brüssel ein, daß Lufteinsätze den Schutz von Zivilisten nicht sicherstellen könnten.

Weniger Begeisterung als in Nord­afrika, London oder Washington löst Sarkozy offenbar bei anderen Verbündeten aus. So warb Berlins Außenamts­chef Guido Westerwelle bei einem Treffen der EU-Außenminister und der Golfstaaten für einen baldigen politischen Prozeß in Libyen. Er meinte im Emirat Abu Dhabi am Mittwoch, es sei notwendig, sich von dem Gedanken zu trennen, daß eine schnelle militärische Lösung wahrscheinlich sei, und betonte, daß die Entsendung von Bodentruppen durch die UN-Resolution ausgeschlossen sei. Wahrscheinlich unterschätzt er die moralische Wirkung eines Bodeneinsatzes von Sarkozy in Bengasi.

* Aus: junge Welt, 21. April 2011


Freiheit à la NATO

Rebellen fordern Bodentruppen an

Von Werner Pirker **


Die massive Luftunterstützung, die den libyschen Aufständischen von den NATO-Bombern zuteil wird, reicht ihnen nicht mehr. Nun wollen sie die Interventen auch auf dem Boden kämpfen sehen. Spätestens jetzt ist die rührselige Erzählung vom libyschen Volksaufstand völlig unglaubwürdig geworden. Was ist das für ein Volksaufstand, der zum Einmarsch ausländischer Truppen einlädt? Was ist das für ein Volksaufstand, der mit der nationalen Souveränität die wichtigste Voraussetzung für die Volkssouveränität preisgibt?

Daß sich die Rebellen zu Beginn des Bürgerkrieges jegliche ausländische Einmischung verbeten haben, kann inzwischen als rein taktisches Manöver vermerkt werden. Aus der Logik der Ereignisse läßt sich klar schließen, daß die blutige Verlaufsform der libyschen »Protestbewegung« von Beginn an einkalkuliert war. Daß die Straßenproteste sich sofort zu einem bewaffneten Aufstand auswuchsen, kann mit dem gewaltsamen Vorgehen der »Ghaddafi-Schergen« gegen »friedliche Demonstranten« nicht erklärt werden. Das Regime reagierte vielmehr mit Gewalt, weil es gewaltsam attackiert wurde.

Unabhängig davon, welche Seite zuerst Gewalt anwandte, kann die Frage, wer sie zuerst beenden wollte, ganz klar beantwortet werden. Alle Angebote der Regierungsseite zu einer friedlichen Konfliktlösung sind bisher von den Rebellen, die unumwunden erklären, daß es nur eine militärische Lösung geben könne, abgelehnt worden. Es gehört schon einiges an Zynismus dazu, sich gegen ein Ende des Blutvergießens auszusprechen und gleichzeitig einen »von Ghaddafi am eigenen Volk verübten Genozid« zu beklagen. Nun, da sich die militärische Lage der Rebellen trotz NATO-Luftwaffeneinsatz nicht wirklich verbessert hat, sind es erneut humanitäre Gründe, die vorgeschoben werden, um den Krieg zur Erzwingung eines Regimewechsels noch weiter zu eskalieren. Aus humanitären Gründen eine friedliche Lösung anzustreben, ist der zur »Verhinderung einer humanitären Katastrophe « in den Krieg gezogenen Seite keinen Gedanken wert.

Auch dann nicht, wenn das libysche Regierungslager einen nachweisbaren und von internationalen Beobachtern überwachten Waffenstillstand vorschlägt und, wie unlängst geschehen, freie Wahlen in Aussicht stellt, wenn die NATO die Angriffe einstellt. Derartige Ankündigungen hätten sich in der Vergangenheit aber immer als leere Versprechungen erwiesen, weiß Spiegel online. Als solche mußten sie sich tatsächlich erweisen, weil sie vom Westen nie zur Kenntnis genommen, sondern immer nur als »leere Versprechungen« abgetan wurden. Eine friedliche Lösung ist für die Interventen und ihre Fünfte Kolonne nur auf der Basis einer völligen Kapitulation der Regierungsseite denkbar. Undenkbar ist hingegen eine Kompromißlösung in Form freier Wahlen. Freie Wahlen soll es erst geben, wenn sich ein beträchtliches Spektrum der libyschen Gesellschaft nicht mehr zur Wahl stellen kann.

** Aus: junge Welt, 21. April 2011 (Kommentar)


Zurück zur Libyen-Seite

Zurück zur Homepage