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Bürgerkrieg in Bengasi

Von André Scheer *

Die bisherige Hochburg der libyschen Rebellen, Bengasi, wird offenbar zum Schlachtfeld blutiger Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Fraktionen der Aufständischen. Wie die Nachrichtenagenturen am Montag (1. Aug.) berichteten, ist es am Vortag (31. Juli) in der Stadt zu stundenlangen Gefechten gekommen. Es seien 63 »Ghaddafi-Anhänger« festgenommen worden, erklärte der »Innenminister« der Aufständischen, Mustafa Al-Sagasli. Bei den Kämpfen um ein Fabrikgebäude, in dem sich die Gruppe verschanzt habe, seien vier Rebellen und fünf »Ghaddafi-Kämpfer« getötet worden. Für den arabischen Fernsehsender Al-Dschasira berichtete dessen Reporter Tony Birtley, die aufgeriebene Gruppe habe als »fünfte Kolonne« innerhalb der Aufständischen gewirkt.

Tatsächlich deuten die neuen Kämpfe in Bengasi wenige Tage nach dem mysteriösen Tod des militärischen Chefs der Aufständischen, General Abdel Fattah Yunis, vielmehr auf zunehmende Risse in der ohnehin heterogenen Rebellenallianz hin. Am Montag berichtete David D. Kirkpatrick in der New York Times, der Angriff auf die Gruppe in dem Fabrikgebäude habe dazu gedient, die praktisch auf eigene Faust agierenden Milizen in und um Bengasi unter Kontrolle des selbsternannten Nationalen Übergangsrates zu bringen. »Seitdem der libysche Konflikt ausgebrochen ist, sind fünf Monate vergangen, und fast ebenso lange ist es her, daß die Rebellen die Etablierung eines vereinigten Kommandos angekündigt haben«, schreibt das Blatt. Doch die Ermordung von General Yunis habe die anhaltende Unordnung unter den bewaffneten Kräften der Aufständischen schlagartig deutlich gemacht. Die französische Le Monde kommentierte am Montag, diese Situation »könnte die Stellung von Tripolis stärken, der Rebellion eine politische Lösung aufzuzwingen«.

Insbesondere fürchten die führenden Vertreter in Bengasi offenbar eine Spaltung ihrer Reihen entlang der in Libyen traditionell einflußreichen Stämme. So räumte El-Sagasli bei der Pressekonferenz am Sonntag ein, seine Truppen wären zunächst vor einem Sturm auf die Fabrik zurückgeschreckt, weil sie die dort verschanzten Kämpfer als Angehörige eines wichtigen Stammes identifiziert hätten.

Wie zur Bestätigung kursierten im Internet Gerüchte über verschiedene Stämme, die sich gegen die Rebellen erhoben hätten. So hieß es in Meldungen über den Internetdienst Twitter, Angehörige der Wafalla marschierten auf Bengasi, um die Stadt von den Aufständischen zu befreien. Über einigen Militärgebäuden in der »Rebellenmetropole« sei bereits die grüne Fahne des Ghaddafi-Regimes gehißt worden.

Führende Rebellenvertreter lassen in dieser Situation ihre Nervosität offenbar zunehmend an Reportern aus. »Die Führer haben gegenüber den Nachrichtenmedien einen zunehmend feindlichen und, wie einige Journalisten berichten, drohenden Tonfall angenommen«, schreibt die New York Times.

Nachdem Venezuela die Bombardierung des libyschen Fernsehens durch die NATO am Wochenende scharf verurteilt hatte, teilte Präsident Hugo Chávez am Montag in Caracas mit, er erwarte einen Sondergesandten aus Tripolis mit einer Botschaft von Staatschef Muammar Al-Ghaddafi. Leider könne er den Boten nicht selbst empfangen, aber er habe seinen Außenminister Nicolás Maduro gebeten, ihm die Nachricht des libyschen Revolutionsführers umgehend zukommen zu lassen. Über die möglichen Inhalte der Botschaft machte Chávez keine Angaben.

* Aus: junge Welt, 2. August 2011


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