Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Angriffe auf Libyen rund um die Uhr

Einheiten von Staatschef Gaddafi offenbar zurückgedrängt / Tripolis: Hohe Verluste unter Zivilbevölkerung *

Die massiven Luftangriffe der westlichen Koalition gegen Einheiten des libyschen Staates hielten am Wochenende an. Die Truppen sollen im Osten des Landes den Rückzug angetreten haben, dicht gefolgt von jubelnden Aufständischen.

Die Kampfflugzeuge der westlichen Koalition haben die Fronten in Libyen in Bewegung gebracht. Nach schweren Verlusten wurden die Milizen von Staatschef Muammar al-Gaddafi am Wochenende bei Adschdabiya und beim Ölhafen Brega von den Aufständischen in die Flucht getrieben. Tripolis gestand die Niederlage ein, sprach aber von hohen zivilen Verlusten durch die Bombardements. US-Verteidigungsminister Robert Gates warf der libyschen Führung in einem TV-Interview jedoch vor, Leichen von zuvor ermordeten Zivilisten an Angriffspunkte der Kriegskoalition zu legen, um eine hohe Opferzahl vorzutäuschen.

Ausgelassen feierten die Aufständischen am Sonntag (27. März) die Einnahme des Ölhafens Brega, nachdem sie schon am Samstag die Küstenstadt Adschdabiya, knapp 160 Kilometer südlich von Bengasi, zurückerobert hatten. Schon kurz nach dem Einzug in Brega setzten die Rebellen ihren Vormarsch in Richtung Ras Lanuf fort, um die bedeutenden Raffinerien und Hafenanlagen wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Dies soll nach Angaben von Journalisten am Sonntagnachmittag geschehen sein. Nach Ansicht von Großbritanniens Verteidigungsminister Liam Fox sind die Aufständischen bald in der Lage, die Kontrolle über die Ölexporte des Landes zu übernehmen. Damit könnten sie die »politische Dynamik« des Konfliktes entscheidend ändern, so Fox am Sonntag in der BBC.

Der libysche Regierungssprecher Ibrahim Mussa sagte in der Nacht zum Sonntag in Tripolis, die westliche Koalition habe Gaddafi-Einheiten auf dem 400 Kilometer langen Abschnitt zwischen Adschdabiya und Sirte massiv angegriffen. Das libysche Staatsfernsehen berichtete außerdem, die Flugzeuge hätten »militärische und zivile Areale« in der Stadt Sebha bombardiert. »Die Luftangriffe gegen unser Volk gehen mit voller Kraft weiter«, sagte Mussa. Er sprach von »hohen Verlusten« unter der Zivilbevölkerung. Die Angriffe zwischen den Städten Sirte und Adschdabiya hätten »stundenlang ohne Unterbrechung« angedauert. Mussa forderte erneut eine Waffenruhe und eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates. Die Truppen Gaddafis hätten bereits vor einigen Tagen ihre Offensive gegen die Rebellen gestoppt, dagegen hätten die alliierten Luftangriffe zugenommen.

US-Präsident Barack Obama sprach am Wochenende von »wichtigen Fortschritten« der internationalen Militäraktion. »Gaddafi hat das Vertrauen seines Volkes sowie die Rechtmäßigkeit zur Herrschaft verloren«, sagte Obama in seiner wöchentlichen Rundfunkrede am Samstag. Der Präsident sprach sich dafür aus, Gaddafi für das brutale Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung zur Verantwortung zu ziehen. Italiens Außenminister Franco Frattini brachte ein Exil für Gaddafi ins Gespräch. Ganz Europa und die UNO hätten klargemacht, dass der libysche Staatschef kein akzeptabler Gesprächspartner mehr sei.

In Brüssel wurde noch für Sonntag (27. März) eine Entscheidung der NATO erwartet, die Führung der gesamten Militäraktion in Nordafrika zu übernehmen. Bisher leitet das Bündnis lediglich die Überwachung des Waffenembargos im Mittelmeer sowie der Flugverbotszone über Libyen. Die Luftangriffe wurden von einer Koalition von elf Staaten geführt.

In Deutschland sorgte die Enthaltung Berlins bei der UN-Entscheidung über die Flugverbotszone weiter für heftige Debatten. Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) bewertete die Enthaltung als Fehler von »historischer Dimension«. Die Mehrheit der Deutschen (56 Prozent) stützt dagegen laut einer Emnid-Umfrage den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel.

* Aus: Neues Deutschland, 28. März 2011


Zurück zur Libyen-Seite

Zurück zur Homepage