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Die Araber stimmen zu – wirklich?

Der Luftkrieg gegen Libyen stößt trotz des Votums der Arabischen Liga auf herbe Kritik

Von Roland Etzel *

Libyen erlebt derzeit die schlimmsten Bombardements seit dem Beginn der US-Aggression gegen Irak im März 2003. Die Initiatoren des Krieges legitimieren ihr Handeln auch mit einer Zustimmung der anderen arabischen Staaten zu ihrem Handeln. Ist das tatsächlich so?

Es war ein Novum, dass die Arabische Liga den UN-Sicherheitsrat aufforderte, eine Flugverbotszone gegen ein – wenn auch derzeit suspendiertes – Mitglied ihres Staatenbundes zu verhängen. Seziert man den Ligabeschluss, stellt sich heraus, dass die meisten der 22 Ligamitglieder nicht anwesend waren, sich der Stimme enthielten oder dagegen votierten. Am Ende waren es nur neun Ja-Stimmen für den Beschluss.

Ob nach der ersten Woche Luftkrieg noch einmal so viele zusammenkommen würden, steht dahin. Die ausweichenden Antworten des Liga-Generalsekretärs Amre Mussa (Ägypten) legen die Vermutung nahe, dass es nicht so wäre. Die arabischen Staatschefs fürchten wohl zu recht, dass ihre Volksmassen, die ihnen im Moment so genau nicht zuhören, überhaupt nicht damit einverstanden sind, was die Westmächte gegen Libyen inszenieren. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, ein mehr oder weniger offener Befürworter des Überfalls auf Libyen, bekam das bereits am Montag zu spüren, als er in offensichtlicher Fehleinschätzung der Stimmung in Ägypten von Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo mit Steinwürfen empfangen wurde.

»Die Araber stehen dieser äußeren Einmischung in einen Bürgerkrieg sehr kritisch gegenüber«, sagt der in Berlin lebende arabische Publizist Issam Haddad. Besonders die Anmaßung Frankreichs, als einst blutige Kolonialmacht in den Ländern südlich und westlich Libyens jetzt wieder den Scharfrichter in der Region spielen zu wollen, komme sehr schlecht an. »Aber«, so merkt Haddad an, »das Unbehagen über französische und auch britische Anmaßung darf nicht automatisch als Sympathie für Gaddafi gewertet werden.«

Eine ähnliche Einschätzung trifft das Vorstandsmitglied des Arabischen Publizistenvereins in Deutschland für die arabische Presse. Ob »Al-Safir« (Beirut) oder »Al-Shuruq« (Kairo) – die meistzitierten Blätter der arabischen Welt fahren scharfe Attacken gegen die westliche Kriegskoalition, vor allem Frankreich, ohne dabei den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi zu verteidigen. Anders als die meisten Medien in Europa zögen nicht wenige arabische Kommentatoren Vergleiche mit der saudischen Invasion in Bahrain und den Massakern an Demonstranten in Jemen heran und fragten, wo hier der britisch-französische Empörungsschrei geblieben sei. Viel klarer als hierzulande wird darauf verwiesen, dass Frankreich offensichtlich plant, den Osten Libyens einschließlich der Kufra-Oasen abzuspalten.

Ganz anders betrachtet das weltweit bekannteste arabische Medium die Libyen-Krise. »Al Dschasira TV« aus Katar hat sich von Anfang an den Rebellen als Sprachrohr zur Verfügung gestellt und sich sehr dicht an der französischen Argumentation orientiert. Dagegen gibt es aber innerhalb des Senders, so Haddad, auch kritische Stimmen. Sie fragen: Wie unabhängig ist »Al Dschasira« noch?

* Aus: Neues Deutschland, 25. März 2011


Türkei: »Frankreich bombardierte eine Friedenslösung« **

Ein Plan der türkischen Regierung für einen friedlichen Machtwechsel in Libyen ist nach einem Zeitungsbericht an den von Frankreich begonnenen Luftangriffen in dem nordafrikanischen Land gescheitert. »Frankreich bombardierte eine Friedenslösung«, meldete die Zeitung Hürriyet am Donnerstag (24. März) unter Berufung auf nicht näher genannte Gewährsleute, die an den vertraulichen Verhandlungen über den Friedensplan beteiligt waren. Laut Hürriyet hatte die türkische Regierung hinter den Kulissen sowohl mit der Regierung von Staatschef Muammar Al-Ghaddafi als auch mit der libyschen Opposition gesprochen. Die USA seien über den Fortgang dieser Gespräche informiert worden. Der türkische Plan sah demnach in einem klar begrenzten Zeitraum einen Übergang zur Demokratie vor; unter anderem schlug die Türkei vor, Ghaddafi solle eine eigene Partei gründen, die sich dann an freien Wahlen beteiligen solle. Internationale Kontrollen sollten sicherstellen, daß der Übergang fair und transparent erfolgt. In einer entscheidenden Phase der Konsultationen über den Plan hätten die Bombardements in Libyens begonnen und das Vorhaben scheitern lassen.

Mit seinen Luftangriffen hat sich der Westen nach Ansicht der türkischen Regierung erneut in ein militärisches Abenteuer gestürzt, ohne die Folgen zu bedenken. »Unsere Freunde im Westen« sollten mal weniger auf das libysche Öl schielen und sich statt dessen mehr Gedanken über das Leid von Alten, Frauen und Kindern in dem nordafrikanischen Land machen, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag. Die aufkommende Debatte über die Ungewißheit nach einem Ende des Militäreinsatzes zeigt laut Erdogan, daß die Türkei mit ihren Warnungen vor einem militärischen Eingreifen von Anfang an recht gehabt habe. Jetzt will Ankara aktiv versuchen, in der NATO eine neue Linie für Libyen durchzusetzen.

»Schlimmer als im Irak« könne die Lage in Libyen werden, wenn das Land in mehrere Teile zerfalle und Ghaddafi seinen Kampf gegen die in- und ausländischen Gegner seines Regimes fortsetze, sagte Staatspräsident Abdullah Gül. Schon längst hätte die NATO mit der politischen Planung eines Machttransfers beginnen müssen, fügte er hinzu. Auch die Türkei wolle, daß Ghaddafi abdanke – aber der Übergang müsse gut vorbereitet sein. Möglicherweise müsse der Westen sogar mit Ghaddafi selbst verhandeln – so wie die Türkei es vor dem Bombardement schon getan hatte.

Laut AFP stehe schon jetzt fest, »daß das Libyen-Abenteuer das Mißtrauen der Türken dem Westen gegenüber gestärkt hat«. Erdogan wirft Europäern und US-Amerikanern seit Tagen vor, in Wahrheit gehe es ihnen um den Ölreichtum Libyens. Am Donnerstag sagte der Ministerpräsident, die Mitglieder der westlichen Allianz gingen mit einer »Kreuzzug«-Mentalität gegen Libyen vor. Erdogans Regierungssprecher Cemil Cicek sagte mit Blick auf die westlichen Waffenlieferungen an das Ghaddafi-Regime in den vergangenen Jahren, der Westen habe sich »zuerst ein Frankenstein-Monster geschaffen, das jetzt wieder vernichtet wird«. Jene, die sich über Ghaddafi beschwerten, hätten das libysche Regime mit ihrem eigenen Verhalten in der Vergangenheit zu einem Monster gemacht. Dasselbe sei auch beim früheren irakischen Machthaber Saddam Hussein der Fall gewesen.

Außen vor bleiben will Ankara in Libyen trotzdem nicht. Das Parlament in Ankara sollte noch am Donnerstag die Entsendung von Kriegsschiffen zur Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen absegnen. Und in der kommenden Woche wollen türkische Gesandte an der neuen Libyen-Konferenz in London teilnehmen.

(AFP/jW)

** Aus: junge Welt, 25. März 2011


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