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Auf Mehlis' Spuren

Sondertribunal für den Libanon will wieder gegen Syrien ermitteln

Von Jürgen Cain Külbel *

Ganz im Sinne Washingtons beschloss das in Leidschendam-Voorburg bei Den Haag stationierte Sondertribunal für den Libanon (STL) am Freitag, die Anklage solle fortan »Beweise« präsentieren, die die Verwicklung von Damaskus in das Attentat auf den ehemaligen libanesischen Premier Rafik Hariri belegen. Kurz zuvor hatte US-Präsident Barack Obama in seiner »Syrien-Politik« einen »deutlichen« Schwenk gemacht. Laut CNN will er die Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat« (IS) effizienter bekämpfen. Gleichzeitig muss Syriens Präsident Baschar Al-Assad mehr unter Druck gesetzt werden, um einen Machtwechsel in Damaskus herbeiführen.

Libanons Innenminister Nuhad Maschnuk stieß am Freitag in Beirut ins gleiche Horn und sagte bei einer Kundgebung, der syrische Präsident habe die Ermordung Hariris orchestriert: »Al-Assad hatte direkten Kontakt zu den Menschen, die den Märtyrer Rafik Hariri getötet haben.«

Hariris Fahrzeugkonvoi war am 14. Februar 2005 in Beirut mit einer Autobombe in die Luft gejagt worden; 23 Menschen starben, Hunderte wurden verletzt. Der Anschlag war das Vorspiel zur »Zedernrevolution«, die im Frühjahr 2005 den Abzug der Ordnungsmacht Syrien aus dem Libanon erzwang. Seit dem 16. Januar 2014 führt das Tribunal nun einen Indizienprozess gegen fünf Angehörige der schiitischen Hisbollah-Miliz, die »überführt« werden soll.

Kurz nach dem Attentat, im Mai 2005, hatte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan den Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis mit der Erstuntersuchung beauftragt. Der legte dem UN-Sicherheitsrat im Oktober 2005 seinen mit kriminalistischen Skurrilitäten glänzenden »Report« vor. Darin wird mit den nachweislich gekauften »Aussagen« des »Kronzeugen« Zuheir Mohammed Al-Siddiq eine Verwicklung syrischer Politiker und Militärs in das Verbrechen konstruiert.

Rechtzeitig zum Auftakt von Obamas neuer Strategie urteilte der Vorsitzende Richter der Strafkammer, David Re, am Freitag, dass in den kommenden Monaten das Gericht ein Dutzend Politiker, Journalisten und Berater, die dem Opfer nahestanden, anhören werden. Ziel sei, das politische Motiv für das politische Verbrechen zu eruieren. Schließlich machen sich damals die »verschlechternden Beziehungen mit Syrien die Beweise mehr erklärbar«, urteilt Richter Re schon jetzt.

Die Verteidigung forderte von Gericht und Anklage eine Stellungnahme, da syrische Persönlichkeiten bisher weder eine Rolle spielten noch gegen sie Anklage erhoben wurde: »Wird Al-Assad formal als Mitverschwörer an der Ermordung von Rafik Hariri benannt werden? (Und der syrische Exgeheimdienstchef) Rustom Ghazaleh? Werden sie der Anklageschrift hinzugefügt werden?«

Der Verteidiger Iain Edwards forderte eine neue Anklage, wenn die syrische Spur verfolgt werden soll. »Es ist nahe am juristischen Missbrauch, dass dieser signifikante Kurswechsel so spät passiert, elf Monate nach Prozessbeginn.« Richter Re überhörte dies. So wurde am Montag der Beiruter Abgeordnete Marwan Hamadeh gehört. Dessen Aussage, die mehr einem politischen Vortrag glich, brachte keinerlei Erkenntnisse für die Aufklärung des Verbrechens. Auch wurde er nicht zur Mitgliedschaft in jener Fälschergruppe befragt, die dem Berliner Oberstaatsanwalt Mehlis seinerzeit die gekauften »Kronzeugen« in die Hände spielte, schließlich ist Hamadeh der Onkel der Frau von Zuheir Mohammed Al-Siddiq.

* Aus: junge Welt, 19. November 2014


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