Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Schlag gegen Hisbollah?

Hintergrund. Am 16. Januar 2014 wird in den Niederlanden der Prozeß zum Attentat auf den libanesischen Expremier Rafik Hariri eröffnet

Von Jürgen Cain Külbel *

In dem Flecken Leidschendam-Voorburg, einen Katzensprung von Den Haag entfernt, in einer umgebauten, abhörsicheren Turnhalle, in der früher Geheimagenten des niederländischen Inlandsnachrichtendienstes bei Leibesübungen ins Schwitzen gerieten, wird ab dem 16. Januar 2014 ein Sensationsprozeß veranstaltet. Das Sondertribunal für den Libanon (STL) wird dort fünf angeklagte Libanesen in Abwesenheit, da alle unbekannten Aufenthalts, mit hoher Wahrscheinlichkeit aburteilen: Mustafa Badreddine, Salim Ayyash, Hussein Oneissi, Assad Sabra und Hassan Merhi. Nach Lesart der Anklage haben die Schiiten das tödliche Attentat auf den libanesischen Multimilliardär und Expremier Rafik Al-Hariri, das Beirut am 14. Februar 2005 erschütterte, organisiert und verübt.

Das STL ist keines der herkömmlichen Strafgerichte, die sich mit Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschäftigen; es ist die erste multinationale Judikative, die über einen terroristischen Akt gegen eine Einzelperson richten will. Obwohl vom UN-Sicherheitsrat 2007 auf Ersuchen des Libanon ins Leben gerufen, ist es auch kein UN-Gericht. Denn es wird vor allem von den USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland getragen. Und es ist das ehrgeizige Projekt der exorbitant reichen Familie Hariri, die den Tod des Clanchefs gerächt sehen will.

Das Strafgericht, bei dem 330 Menschen aus 62 Staaten arbeiten, benötigte allein 2011 ein Budget von 50 Millionen Euro. Der Zedernstaat Libanon, im Dezember 2013 überwies er eine weitere Marge über 29 Millionen Euro, muß 49 Prozent der Lasten tragen. Chefankläger des Tribunals ist Norman Farrell, ein Kanadier, der schon den Internationalen Strafgerichtshöfen für das ehemalige Jugoslawien sowie Ruanda diente; zuvor beriet er das Internationale Rote Kreuz und den Roten Halbmond in Rechtsfragen. Der Gerichtspräsident, Sir David Baragwanath, wurde in Neuseeland rekrutiert. Dort war er als Ankläger und Verteidiger in komplizierten Kriminalfällen sowie als Präsident der Rechtskommission Neuseelands zu Lorbeeren gekommen. Der Kopf der Verteidigung, der als »linker Staranwalt« gehandelte Franzose François Roux, sprach im Tribunals gegen die Roten Khmer für den Hauptangeklagten Kaing Guek Eav. Er nahm aber auch am Verfahren gegen Zacarias Moussaoui teil, der wegen Mithilfe bei der Vorbereitung der Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA angeklagt wurde. Roux ist Mitglied des »Russell-Tribunals zu Palästina«, das sich für die Ahndung von Israels Verbrechen gegenüber den Palästinensern einsetzt.

Es sieht so aus, als ob im Auftrag der Sponsoren des Gerichts ein politischer Schlag gegen die vom Westen als Terrororganisation geächtete Schiitenmiliz Hisbollah geführt werden soll. Doch letztlich wird die Prozeßkammer unter den Augen der internationalen Öffentlichkeit arbeiten müssen, so daß Fakten zum Mord nicht ganz ausgeblendet werden können. Was war also am Tag des Mordes, am 14. Februar 2005, genau geschehen?

Tanz des Todes

Libanons reichster Mann, einer der 100 Wohlhabendsten auf der Erde überhaupt, der ehemalige Premierminister und Multimilliardär Rafik Hariri, war in der Rue Minet Al-Hosn ermordet worden. Unter lautem Explosionsgedröhn hatten unbekannte Attentäter den 60jährigen Nabob samt seiner gepanzerter Fahrzeugkolonne am 14. Februar 2005 um 12.55 Uhr ins Jenseits befördert. Neben Hariri riß das Attentat 22 weitere Menschen in den Tod und verletzte 200 Unschuldige. Ein riesiger Krater klaffte danach in der Uferstraße; acht Meter breit, drei Meter tief. Die Wucht der Detonation, 1600 Kilogramm TNT, verbaut in ein Mitsubishi-Nutzfahrzeug, angeblich von einem Selbstmordattentäter gezündet, hatte Hariris schwere Mercedes-Limousinen in die Luft geschleudert. Sechs seiner Bodyguards waren sofort gestorben.

Der Expremier besaß die saudi-arabische und die libanesische Staatsbürgerschaft. Er hatte das kleine Land Libanon wie seinen Privatbesitz geführt. In erster Linie war er Geschäftemacher, der es exzellent verstand, Politik den eigenen Interessen unterzuordnen. Der Tod des bulligen Mannes wurde rasch politisch ausgeschlachtet: Der Verdacht fokussierte sich auf den Wunschtäter der US-Administration, auf Syrien, damals Ordnungsmacht im Libanon. Die nach dem Attentat in die Gänge gebrachte »Zedernrevolution« erzwang 2005 den Rückzug syrischer Truppen, den Rücktritt libanesischer Sicherheitsbeamter prosyrischer Observanz, Parlamentswahlen und brachte eine westlich orientierte Politikergruppe an die Hebel der Macht. Doch bald darauf kam es zu weiteren blutigen Auseinandersetzungen: Autobomben töteten Politiker, Journalisten, Militärs; Sprengstoffanschläge auf öffentliche Gebäude und Einkaufsmeilen verbreiteten Angst und Chaos. Der Terror riß eine tiefe Kluft zwischen den sich gegenüberstehenden politischen und religiösen Kräften des Landes auf; gegenseitig hielten sie sich vor, für die Blutbäder verantwortlich zu sein.

Die vielen Täter der Ermittler

Im Mai 2005 installierte der UN-Sicherheitsrat eine Internationale Unabhängige Untersuchungskommission der Vereinten Nationen (UNIIIC), die die Damaszener Regierung als Drahtzieher für den Mord an Hariri dingfest machen sollte. Allerdings mutierte die Kommission unter Leitung des von UN-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzten Berliner Oberstaatsanwalts Detlev Mehlis, anfänglich in Beirut frenetisch begrüßt, schnell zur Lachnummer. Stützten sich doch dessen »Ermittlungen« auf Zeugenaussagen, die nachweislich mit Dollarmillionen eingekauft worden waren. Mehlis’ Stellvertreter, Vizechef der UNIIIC und Erster Kriminalhauptkommissar beim BKA, Gerhard Lehmann, versuchte gar, den libanesischen Geheimdienstchef, Generalmajor Jamil Sayyed, zu korrumpieren. Am 31. Mai verlangte er ihm ab, Syriens Präsidenten Baschar Al-Assad zu überzeugen, »ein ›substantielles syrisches Opfer‹ auszuwählen, das gestehen würde, das Attentat ohne Wissen der syrischen Regierung verübt zu haben. Das besagte ›Opfer‹ würde sodann durch einen Autounfall oder einen Suizid getötet aufgefunden werden, und die Akte wäre damit geschlossen, so daß der Weg für eine Art politische Lösung bliebe, analog der, die vom (libyschen) Präsidenten (Muammar Al-)Ghaddafi und der US-amerikanischen Regierung angeblich im Fall ›Lockerbie‹ verwendet wurde.[1]

Mehlis, der mit seinem akriminalistischen Reißbrettentwurf in Sachen »Auftragsspur Syrien« nicht durchkam, konnte die Amerikaner nicht befriedigen. Er scheiterte grandios und machte sich zum Gespött der Weltpresse. Hernach wurde der belgische Chefermittler Serge Brammertz von 2006 bis 2009 an den Fall gesetzt. In seiner Zeit wurde im Sommer 2007 das Sondertribunal für den Libanon eingerichtet. Ihm folgte der Kanadier Daniel Bellemare bis 2011. Beide kamen zu divergierenden Ergebnissen. Erst am 18. August 2011 stellte das STL sein aktuellstes Schuldigenkonstrukt per Anklageschrift vor. Die Täterschaft Syriens war aus der Mode. Nach dem Libanonkrieg 2006 – Israel hatte den Zedernstaat überfallen und Prügel von der Hisbollah bezogen – hatte das STL kurzerhand die Angriffsrichtung gewechselt. Die »Ermittler« hatten die schiitische Widerstandsbewegung in die Schußlinie geschoben.

Fortan behauptete das STL, die Mitglieder der Attentäterbande identifiziert zu haben. Dem Militärchef der Miliz, Mustafa Badreddine, warf es vor, Rädelsführer des Anschlags gewesen zu sein, dessen Kollege Salim Ayyash soll das Verbrechen koordiniert haben. Und die Hisbollahi Hussein Oneissi und Assad Sabra, so die »Ermittler«, seien Komplizen gewesen. Im Oktober 2013 erweiterte das Büro des Staatsanwalts beim STL die Anklage schließlich noch gegen Hassan Merhi; der soll Hariri beschattet sowie ein gefälschtes Bekennervideo präpariert haben. Staatsanwalt Norman Farrell zeigte im Dezember 2013 an, daß er seine Anklage am 16. Januar 2014 »in drei Kapiteln« präsentieren werde: erstens die Geschehnisse am 14. Februar 2005 im Bereich des Tatorts, zweitens die Vorbereitung des Bombenanschlags inklusive Erkenntnisse über das Kaufprocedere des Bombenfahrzeugs sowie die Präparation falscher Spuren zwecks Verschleierung der Täterschaft, drittens Präsentation der »Beweise«, die die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten untermauern. Aus Mangel an Beweisen wird sich die Anklage, so wie sie es selbst formulierte, einzig auf »Indizien« stützen müssen.

Eine Analyse der in Libanon registrierten Handys hätte nämlich den »koordinierten Einsatz der Mobiltelefone zum Durchführen des Mordanschlags« ergeben, will Farell glauben machen. Fünf »Mobilfunknetzwerke«, so die Bezeichnung in der Anklageschrift, seien für verschiedene Aufgaben bei Planung und Durchführung des Attentats benutzt worden. Innerhalb eines von ihnen hätten die Täter nur untereinander telefoniert. Vier der »Netzwerke« seien Tage bzw. nur Minuten vor und nach dem Attentat stillgelegt und seither nicht mehr verwendet worden. Da einige der Mittäter persönliche Handys für den Privatgebrauch mit sich trugen, hätten die Ermittler durch örtliche und zeitliche Übereinstimmung der privaten und für die Tatausführung genutzten geheimen Nummern die vier Angeklagten identifizieren können. Die Ermittler meinen, es sei »angemessen zu schließen, daß der Einsatz der Mobiltelefone mit unschuldiger oder zufälliger Kommunikation unvereinbar« sei. Für Experten ist die Beweislage fiktional. Stutzig macht, daß die Attentäter stets ihre persönlichen Handys bei sich getragen haben sollen, mitunter bis zu acht Stück(!). In Wirklichkeit ist den Anklägern nicht ein einziger Gesprächsinhalt bekannt. Ihre Analyse stützt sich auf »Verkehrsdaten«: Nummern des anrufenden und des angerufenen Teilnehmers, Standortdaten (Funkzelle), Beginn und Ende der jeweiligen Verbindung nach Datum und Uhrzeit.

Der Haken an der Geschichte: Die Telefonverbindungsdaten gehörten 2005 bereits zu Mehlis’ wichtigsten »Indizien«. Er argumentierte damals, daraus den »Kern der Attentatsverschwörer« extrahiert zu haben: fünf hochrangige Sicherheitsbeamte, die den Mord geplant und in Auftrag gegeben haben sowie »Geld, Telefone, Autos, Funkgeräte, Pager, Waffen, ID-Karten und ähnliches« zur Verfügung gestellt hätten. Generalmajor Jamil Sayyed, Exchef des libanesischen Geheimdienstes Sûreté Générale, die Generäle Raymond Asar, der dem militärischen Geheimdienst Libanons vorstand, Ali Al-Hajj, Chef der internen Sicherheitsdienste, und Mustafa Hamdan, Kommandeur der Präsidentengarde, saßen zusammen mit anderen Verdächtigen aufgrund der Mehlisschen Verschwörungstheorie vier Jahre in Haft.

Die zwei sich widersprechenden Auslegungen derselben Telefonverbindungsdaten dürften Geheimnis der Ermittler bleiben. Aber daß sich die Anklage auf Daten stützt, die bereits anderen »Verdächtigen« zum Verhängnis wurden, ist kein witziger, vielmehr ein skrupelloser Einfall. Geht man bis dahin mit, die von den Ermittlern eruierten Mobilfunknetzwerke hätten tatsächlich etwas mit Hariris Mördern zu tun, bleibt, so man die Daten auf die fünf Beschuldigten projiziert, die Frage: Über welche Standfestigkeit verfügt die Anklageschrift, sollten die Beschuldigten Handys und/oder SIM-Karten – wie es seit spätestens 2003 unter Terroristen üblich ist – mehrfach ausgetauscht haben, um nicht entdeckt zu werden und um die Verfolger zu verwirren? Dann wäre plötzlich derjenige, der von der Anklage beschuldigt wird, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gewesen zu sein und diesen oder jenen Tatbeitrag geleistet zu haben, ein völlig anderer. Aber wer ist das? Die von der Anklage festgestellten »Mobilfunknetzwerke« sind statisch, konkret auf Personen samt ihnen zugeschriebene Handys zugeschnitten. Sobald aber Handys bzw. SIM-Karten häufig getauscht wurden – kann die Anklage das Gegenteil beweisen? –, werden die fünf Netzwerke dynamisch. Ein mathematisch zwar schlecht, juristisch jedoch nicht zu bewältigendes Problem: Dem einzelnen Beschuldigten kann dann kein konkreter Tatbeitrag, sei es bei Vorbereitung, Durchführung und/oder Verschleierung, zugewiesen werden. Am Rande sei bemerkt, daß Geheimdienste mit sogenannten IMSI-Catchern derartige »Mobilfunknetzwerke« durchaus operativ konstruieren können.

Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hisbollah, wies die Anklageschrift des STL und deren Inhalt aus anderen Gründen zurück: Das Tribunal sei ein »amerikanisch-israelisches Projekt« und von Geheimdiensten durchsetzt. Einige der Mitarbeiter stünden im Sold der CIA – Robert Baer zum Beispiel, der als Berater von Chefermittler Daniel Bellemare fungiert habe. Zudem waren Spionagezellen des Mossad ausgehoben worden, deren Agenten die Führungsetagen der libanesischen Telekommunikationsgesellschaften »durchseucht« hatten. Nachherige Manipulation der Verkehrsdaten des Mobilfunks sei für diese Kreise ein Leichtes gewesen; ebenso leicht, wie seinerzeit Zeugenaussagen erkauft werden konnten. Die Angeklagten seien »zu Unrecht beschuldigt«, Hariri ermordet zu haben. Zudem werde das Tribunal nicht in der Lage sein, sie zu verhaften, »nicht in einem Jahr, zwei Jahren, nicht in 60 oder 600 Jahren«.[2]

Al-Hassan und der englische Spion

Doch es gibt auch andere Spuren, die von den Ermittlern unterdrückt bzw. nicht zur Kenntnis genommen werden. Die Anklageschrift der Staatanwaltschaft beim STL macht einiges her. Es ist spannend zu lesen, wie darin einzig auf Basis von Telefonverbindungsdaten geschildert wird, wie der Fahrzeugkonvoi ­Hariris schon in den Wochen vor dem Anschlag beobachtet worden sein soll. Ebenso, wie konstruiert wurde, es seien die »Mittäter« Oneissi und Sabra gewesen, die unmittelbar nach der Explosion eine falsche Spur gelegt hätten. Sie sollen internationale Medien per Telefon informiert haben, daß die bis dato unbekannte Gruppe »Sieg und Dschihad in Großsyrien« das Attentat ausgeführten habe. Doch bereits 2001, dreieinhalb Jahre vor dem Attentat, waren Hariris Sicherheitsvorkehrungen ausgespäht worden. Ziad K. Abdelnour, Vorsitzender des proisraelischen United States Committee for a Free Lebanon, produzierte mit seinem Redakteur Garry C. Gambill ein Dossier über Hariri. Beiden ist bis heute die »strategische und moralische Bedeutung des Libanon als US-Verbündetem und Vorposten des Westens im Mittleren Osten« sowie die Schaffung eines »freien Libanon« Herzensangelegenheit.

Sie zeigten sich bestens informiert: »Wenn der Milliardär Premierminister durch Beirut fährt, nimmt jeder Notiz. Seine Limousine ist mit einem Gerät ausgerüstet, das dafür gedacht ist, mögliche Autoattentate zu vereiteln, indem es in der Nähe befindliche Mobiltelefone deaktiviert und dadurch einen Schweif verärgerter Betroffener in seinem Kielwasser hinterherzieht. Wann immer er seinen Wohnsitz verläßt, durchstreifen drei motorisierte Eskorten zur Täuschung die Straßen, um seine möglichen Meuchelmörder zu verwirren.«

Hariris Limousinen waren in der Tat mit Hightech ausgestattet, die in der Lage war, Mobiltelefone und Geräte innerhalb eines Radius von 500 Metern zu blockieren – mit dem Ziel, Attentatsversuche durch funkferngesteuerte Bomben zu verhindern. Holger Stark vom deutschen Wochenmagazin Der Spiegel, wußte Bescheid. Am 11. Juli 2005 schrieb er, Hariris Sicherheitstechnik zum Zeitpunkt des Attentats sei brandneu gewesen: »Der Politiker (Hariri) fuhr an dritter Stelle im Konvoi, vorweg ein Jeep mit vier Polizisten, dann ein schwarzer Mercedes mit drei Bodyguards, alle Fahrzeuge armiert mit leichtem Kaliber. Neben Hariri saß einer seiner engsten Berater, Bassil Fuleihan, bis vor kurzem Wirtschaftsminister. Die Wagen vier und fünf waren ebenfalls schwarze Daimler mit jeweils drei Bodyguards, ausgestattet mit dem neuesten Chic der Upperclass des Nahen Ostens – sogenannten Jamming Devices, 300000 Dollar das Stück, Störsendern, die die Fernzündung von Bomben unterbinden sollen und die erst ein paar Wochen zuvor installiert worden waren. Vieles spricht dafür, daß die Täter die Ausrüstung kannten. Sie zündeten die Bombe vermutlich manuell.«

Der Osama-bin-Laden-Jäger, mit dem der Autor im Mai 2012 ein längeres Interview führte, ist ein ehemaliger Elitesoldat der Royal Marines, der dem britischen Geheimdienst MI6 und der CIA Informationen lieferte, mit den Taliban paktierte und die einflußreiche pakistanische Bhutto-Familie beschützte. Er wußte, »daß Rhodesier und ehemalige Mitglieder der britischen Eliteeinheit Special Air Service (SAS) an dem Vertrag (sprich: dem Einkauf der brandaktuellsten Störsender für den Expremier) beteiligt waren. Sie waren einige Zeit bei Hariri dabei, wurden aber zugunsten eines anderen Teams mehrere Monate, wenn nicht zehn bis zwölf, vor (dem Attentat) entlassen.« Er wußte von dem Vorfall aus Gesprächen mit dem Team und erklärte, »man glaube, die Geräte wurden zum Zeitpunkt des Vorfalls ausgeschaltet, weil sie (die Bodyguards) über keine Kommunikationsfrequenz verfügten, und dieser Mangel Probleme mit der Aufrechterhaltung der Kontrolle verursachte«. Das ist durchaus denkbar; in der Tat telefonierte der Zeuge Fady Khoury, Inhaber des Hotels »Saint Georges«, am Tatort noch just in dem Moment, als ihn die Explosion niederriß.

Kein anderer als Wissam Al-Hassan hätte die Aussage des britischen Spions bestätigen können. Er hatte von 2001 bis zum 14. Februar 2005 Hariri als Sicherheitschef gedient. Schließlich war es seine Aufgabe, die neuesten Störsender zu beschaffen. Eine Antwort auf die vielen Fragen – der Autor sandte sie an Mitglieder der Hariri-Familie – konnte Al-Hassan nicht mehr geben: Eine gewaltige Autobombe zerfetzte ihn am 19. Oktober 2012 im christlichen Viertel von Aschrafijeh in Beirut.

Al-Hassan ist für den schwedischen Ermittler Bo Åström, seinerzeit Mitglied der Ermittlercrew um Mehlis, sowieso ein krummer Hund. Der Schwede hatte im Dezember 2013 im libanesischen TV-Sender Al Jadeed erklärt, schweren Verdacht zu hegen: Der Sicherheitschef »fehlte« nämlich am Tage des Attentats. Nie zuvor, so der Ermittler, sei Hariri ohne seinen Sicherheitschef Al-Hassan unterwegs gewesen. Åström, dem das »verdächtig« erscheint, ergänzte: »Al-Hassan informierte die Ermittler, er sei nicht im Konvoi gewesen, weil er eine Uniprüfung hatte. Hassan sollte im Konvoi sein, und er befahl der Person, die ihn an diesem Tag ersetzte, eine bestimmte Strecke von den drei möglichen zu nehmen.« Der Chef­bodyguard, so Åström, »war die einzige Person, die entscheidet, welche Route zu nehmen ist«. Und die von Al-Hassan vorgegebene Unglücksroute führte exakt zu dem Ort, an dem die Attentäter auf ihr Opfer lauerten. Ob Al-Hassan der Person, die ihn ersetzte oder die Bodyguardcrew angewiesen hat, die Störsender auszuschalten, kann nicht mehr beantwortet werden. Anzunehmen ist das, schließlich war er der »Sicherheitschef«. Ist Wissam Al-Hassan das Bindeglied zu den eigentlichen Tätern? War er es, der vorsätzlich, fahrlässig, vielleicht aber auch unwissentlich, begünstigende Bedingungen für die Tatausführung geschaffen hat? Jedenfalls profitierte er von dem Mord und stieg nach dem Attentat zum Geheimdienstchef der libanesischen Polizei auf.

Das Büro des Staatsanwalts beim STL reagierte genervt auf Åströms Darstellungen und dementierte prompt per Twitter-Botschaft: Die Anklage »möchte betonen, daß Herr Bo Åströms nie für das Büro des Staatsanwalts beim STL gearbeitet hat. Die jüngst von (ihm) ausgedrückten persönlichen Ansichten spiegeln oder repräsentieren nicht die Position der Staatsanwaltschaft.« Für Anwalt Antoine Korkmaz, einen der Hauptverteidiger der Angeklagten, sind Åströms Vorwürfe indes »reichhaltiges Material«, um »Mängel in der internationalen Untersuchung« anprangern und die Tätertheorie der Anklage durchkreuzen zu können. Korkmaz erklärte in der Beiruter Zeitung An Nahar, Åströms Steilvorlage »ohne Vorbehalte herauszustellen, wenn der Prozeß beginnt«. Staatsanwalt Norman Farrell ficht das nicht an. Am 10. Januar 2014, wenige Tage vor Prozeßbeginn, konterte er im selben Blatt auf die Frage, ob er mit seiner Strategie durchkommen werde: »Ja, ich bin zuversichtlich. Ich glaube, es ist ein sehr überzeugender Fall.«

Anmerkungen
  1. Die Ermittlungsstrategie des Deutschen findet sich dokumentiert im »Memorandum Nr. 14« des französischen Rechtsanwalts Akram Azoury an den libanesischen Untersuchungsrichter Sakr Sakr vom 26. September 2007.
  2. Pressekonferenz Nasrallahs am 2. Juli 2011 in Beirut
* Aus: junge Welt, Dienstag, 14. Januar 2014


Zurück zur Libanon-Seite

Zur Libanon-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage