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Brisante Interessengegensätze

Am Sonntag wird in Libanon ein neues Parlament gewählt

Von Karin Leukefeld *

Am 7. Juni sollen 50 000 Polizisten und Soldaten bei den Parlamentswahlen im Libanon für Sicherheit sorgen. 1,2 Millionen) Wahlberechtigte können in 26 Wahlbezirken in insgesamt 5200 Wahlbüros ihre Stimme abgeben. Die 128 Parlamentssitze werden zu gleichen Teilen an Christen und Muslime verteilt, unter den 587 Kandidaten sind nur zwölf Frauen. Erstmals werden die Wahlen im ganzen Land am gleichen Tag durchgeführt. 30000 der Sicherheitskräfte sollen in unmittelbarer Nähe der Wahlbüros im Einsatz sein, erklärte Innenminister Ziad Baroud. Die anderen 20000 sollen allgemein dafür sorgen, daß es nicht zu Auseinandersetzungen zwischen den politischen Rivalen kommt. Geschützt werden sollen vor allem Orte, wo ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Parteien erwartet wird, wie die südliche Hafenstadt Sidon oder Zahle in der Beeka-Ebene. Im Süden, wo der Sieg für das Bündnis von Hisbollah, Amal und der Freien Patriotischen Bewegung sicher sei, werde es vermutlich ruhig bleiben, sagte Minister Baroud. »Letztlich liegt es an den Parteien und jedem libanesischen Mann und jeder Frau, daß es nicht zu Gewalt kommt«, appellierte Baroud an die Öffentlichkeit. Um Betrug zu verhindern werden die Wahlurnen durchsichtig sein, ein Finger der Wähler wird mit unlöslicher Tinte markiert, um mehrfaches Wählen zu verhindern. 2200 libanesische Wahlbeobachter werden im Einsatz sein, unterstützt von 250 internationalen aus der EU, von der Arabischen Liga und dem Carter Zentrum. Die Ergebnisse sollen am 8. Juni vorliegen.

Das Mehrheitsbündnis »14. März« um Saad Hariri besteht aus seiner Mustakbal Partei, der Fortschrittlichen Sozialistischen Partei, der Kataeb und den Libanesischen Streitkräften. Gegenüber dem Fernsehsender Al-Dschasira International schloß Hariri eine Koalition mit dem Oppositionsbündnis der Hisbollah aus, falls dieses die Wahlen gewinnen sollte. Das Oppositionsbündnis »8. März« besteht aus der Hisbollah, der Amal Bewegung, der Freien Patriotischen Union, der Syrischen Sozialen Nationalen Partei, der Marada-Bewegung und Taschnaq (Armenier). Auch die Kommunistische Partei Libanons tritt zu den Wahlen an.

Wahlentscheidend werden vermutlich die Stimmen der Christen sein, die rund 35 Prozent der vier Millionen Libanesen stellen. Auf seiten des »14. März« treten zwei ultrarechte christliche Gruppierungen an, während die christliche Freie Patriotische Union des früheren Generals Michel Aoun ein Bündnis mit dem »8. März« bildet. Einem unabhängigen Bündnis maronitischer Christen werden wenige Chancen eingeräumt. Ihr Slogan lautet: »Wir wollen keinen schiitischen Maroniten, wir wollen keinen sunnitischen Maroniten, wir wollen einen wahren Maroniten.« Wie entscheidend die Stimmen der Christen sind, zeigt die Situation der Stadt Zahle im Beeka-Tal. Von dort werden sieben Abgeordnete ins Parlament gewählt, ein Sunnit und ein Schiit stehen schon fest, um die fünf Sitze für Christen wird heftig konkurriert. Während die einen die Angst vor der Hisbollah schüren, bei deren Wahlsieg es einen neuen Krieg mit Israel geben würde, unterstützen die anderen die Hisbollah, ohne deren Waffen Libanon gegen israelische Angriffe nicht geschützt werden könnte.

Für die Hisbollah und ihr Bündnis stehen die Chancen offenbar gut, seit sie im Krieg 2006 trotz großer menschlicher und materieller Verluste die israelische Armee in die Schranken wies und einen innenpolitischen Streit mit dem »14. März« durch eine Regierung der nationalen Einheit für sich entscheiden konnte. Gleichwohl ist der ausländische Einfluß nicht zu unterschätzen. Während die Hisbollah bekanntermaßen von Syrien und dem Iran unterstützt wird, erhält der »14. März« Schützenhilfe aus den USA, Saudi-Arabien und offenbar auch vom deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel, der der Hisbollah vorwirft, in den Mord an dem früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri (2005) verwickelt zu sein sein. Präsident Michel Sleiman erklärte, der entsprechende Bericht schade dem Ansehen des UN-Sondertribunals. Hisbollahführer Hassan Nasrallah sagte, die Behauptungen des Spiegel dienten den Interessen Israels, das die Rolle eigener Agenten in den Hariri-Anschlag verschleiern wolle. Walid Dschumblat von der Fortschrittlichen Sozialistischen Partei warf Israel vor, einen sunnitisch-schiitischen Streit zu schüren.

* Aus: junge Welt, 3. Juni 2009


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