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Blumen statt Barrikaden

Nach 19 Anläufen hat Libanons Parlament einen neuen Präsidenten gewählt. General Suleiman soll den Zedernstaat aus der Krise führen

Von Karin Leukefeld *

Libanon hat wieder einen Staatschef. Mit 118 von 127 Stimmen wurde der bisherige Armeechef Michel Suleiman am Sonntag abend von den Abgeordneten des Parlaments zum zwölften Präsidenten des Zedernstaates gewählt. Auf vielen Straßen Beiruts herrschte Festtagsstimmung. Mit Feuerwerk, weißen Luftballons und riesigen Transparenten wurden die Einigung von Doha und der neue Präsident gefeiert. Angehörige der Opposition pflanzten demonstrativ Bäume und Blumen, wo bis vor wenigen Tagen noch ihre Streikzelte und Barrikaden gestanden hatten.

General Suleiman, der seit 1998 Armeechef war, ist der Nachfolger des im November 2007 zurückgetretenen Emile Lahoud. Die Wahl des Kompromißkandidaten war zuvor 19 Mal verschoben worden. Der Maronit Sulei­man betonte nach dem Votum, er werde alle UN-Resolutionen und die UNIFIL-Truppen im Land respektieren. Die palästinensischen Flüchtlinge seien willkommen, solange sie auf ihre Rückkehr in ihre Heimat warten müßten, und er werde sich für hervorragende und gleichberechtigte Beziehungen mit Syrien einsetzen. Beide Staaten müßten gegenseitig ihre Grenzen anerkennen. Mit Hinblick auf die Hisbollah erklärte Suleiman, die Waffen des Landes dürften nur gegen den israelischen Feind gerichtet sein, er werde für einen nationalen Dialog sorgen, der die Verteidigungsstrategie des Landes einschließe.

Der Emir von Katar, Scheich Hamad Bin Khalifa Al-Thani, dessen Vermittlung zwischen den verschiedenen Kräften im Libanon zu dem Abkommen von Doha in der vergangenen Woche erheblich beigetragen hatte, ermahnte die Abgeordneten. Der Widerstand sei vor zwei Jahren wichtig gewesen, im Kampf gegen Israel. Heute aber »ist eure Weisheit wichtig«. Außerdem rief der Emir zur arabischen Einheit auf und betonte die Rolle der Arabischen Liga: »Unsere Ähnlichkeiten sind sehr viel größer als unsere Gegensätze.«

Mit der Wahl des Präsidenten ist der erste Schritt der Vereinbarung von Doha erfüllt, als nächstes steht die Bildung der Regierung der nationalen Einheit auf der Tagesordnung. Danach soll ein neues Wahlrecht verabschiedet werden. Entsprechend der Verfassung traten Ministerpräsident Fuad Siniora und sein Kabinett zurück. Sie bleiben aber im Amt, bis eine neue Regierung gebildet ist. In einem Interview mit AFP erklärte Siniora, er habe genug vom Amt des Regierungschefs und wolle sich gern anderen Dingen widmen. Allerdings ist für den Posten außer Siniora nur Saad Hariri im Gespräch.

Innenpolitisch hat die Wahl von Michel Suleiman vor allem der libanesischen Wirtschaft das Vertrauen in die Zukunft zurückgegeben, die Börsengeschäfte in Beirut boomten am Montag. Außenpolitisch scheint insbesondere gegenüber Syrien das Eis zu schmelzen. Frankreichs Außenminister Bernhard Kouchner soll nach Berichten der arabischen Tageszeitung Al Hayat um ein Gespräch mit dem syrischen Außenminister Walid Al-Mouallem gebeten haben, um die eventuelle Wiederaufnahme der Verhandlungen über das EU-Assoziierungsabkommen zu besprechen. Sie waren nach dem Mord am libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri 2005 eingefroren worden. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy lud seinen syrischen Amtskollegen Bashar Al-Assad zur Konferenz über die Mittelmeerunion am 13. Juli nach Paris ein.

* Aus: junge Welt, 27. Mai 2008



Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung des stellvertretenden Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Walter Kolbow. In ihr wird richtig darauf hingewiesen, dass der Weg aus der libanesischen Regierungskrise nicht mit westlicher Hilfe zustande kam, sondern allein dem Boden arabischer Verhandlungskunst entspross.

26. Mai 2008 - 375

Stellvertretender Fraktionsvorsitzender

Praesidentenwahl im Libanon ist ermutigender Neuanfang

Zur Wahl von Michel Suleiman zum neuen Staatspraesidenten des Libanon erklaert der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Walter Kolbow:

Die Wahl des bisherigen Armeechefs des Libanon, Michel Suleiman zum neuen Staatspraesidenten markiert den vorlaeufigen Abschluss einer seit Monaten anhaltenden Staatskrise, die den Libanon an den Rand eines neuen Konfliktes gebracht hatte. Noch Anfang Mai sah es so aus, als dass der Libanon einen Rueckfall in den blutigen Buergerkrieg erleben wuerde. Ueber 80 Menschen, darunter viele Zivilisten, sind dabei sinnlos getoetet worden.

Insofern ist die vor wenigen Tagen gefundene Konfliktbeilegung vollauf zu begruessen. Besonders erfreulich ist, dass sich die Konfliktparteien nach 19 missglueckten Wahlgaengen endlich geeinigt haben und am 25. Mai den seit langem als Kandidaten genannten Armeechef mit einer grossen Mehrheit gewaehlt haben. Die SPD-Bundestagsfraktion wuenscht General Michel Suleiman fuer sein neues und sehr schwieriges Amt alles Gute und viel Erfolg.

Sein Erfolg als Staatspraesident wird aber davon abhaengen, ob der politische Kompromiss, der die Praesidentenwahl ermoeglicht hat, auch darueber hinaus traegt und nachhaltig ist. Alle Konfliktparteien, insbesondere Hizbollah stehen nun im Wort, sich an die vereinbarten Spielregeln zu halten.

Es muss leider festgestellt werden, dass die Libanesen die Einigung praktisch nicht aus eigener Kraft geschafft haben. Auch alle internationalen Vermittlungsversuche westlicher Laender, wobei sich der franzoesische Aussenminister Kouchner ganz besonderes engagiert hatte, fuehrten nicht zum Erfolg. Letztlich war es eine regionale, arabische Initiative, angestossen von der Arabischen Liga und dann klug und effizient gemanagt von Katar, die den Durchbruch brachte. Der Regierung von Katar ist hierfuer grosse Anerkennung und Dank auszusprechen.

Fuer die westliche Politik bedeutet dies zweierlei. Einmal scheint die Zeit vorueber zu sein, in der die europaeischen Maechte und die USA letztendlich immer bestimmten, was im Nahen Osten passiert. Zum anderen waechst auch in dieser Region so etwas heran wie "Regionale Ownership". Beide Erkenntnisse sollten positiv gewertet werden.

Gleichzeitig gibt es derzeit vielversprechende Geheimverhandlungen zwischen Israel und Syrien. Da diese von der Tuerkei eingefaedelt wurden, zeigt sich hier ein weiteres Beispiel dieser neuen regionalen nahostpolitischen Dimension, die nur begruesst werden kann.




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