Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Rashas Schicksal

Südlibanon durch Millionen Bomblets verseucht

Von Birgit Kaspar, Tyros *

Konzentriert schiebt die 18-jährige Rasha Zayoun den blau-weiß karierten Probelappen unter die surrende Nadel einer Nähmaschine. Ihr Lebenstraum sah anders aus: Sie wollte studieren. Nun lernt sie Nähen. »Ich habe damit nach meinem Unfall begonnen. Ich möchte später eine Nähstube eröffnen.« Ein schwarzes Kopftuch umhüllt Rashas trauriges Gesicht, die Jeanshose verbirgt die Prothese, die ihr linkes Bein ersetzt. Im Handarbeitsraum der Behindertenschule im südlibanesischen Sarafand erinnert sie sich: »Es war vier Uhr nachmittags. Mein Vater hatte eine Tüte mit frischem Thymian vom Feld gebracht. Als ich die Kräuter sortierte, blieb mein Finger an einem Band hängen, daran baumelte etwas. Erschreckt warf ich es auf den Boden.« Dann explodierte das Bomblet.

Rashas Schicksal ist eines von vielen nach dem Krieg 2006 zwischen Israel und der radikal-schiitischen Hisbollah, in dem Israelis den Südlibanon mit Streumunition überzogen. Die Bomblets lagen überall herum, in den Gärten, auf den Dächern, in den Feldern, ja sogar in den Häusern. Seit Ende des Krieges sind nach UN-Angaben mehr als 260 Zivilisten den Streubomben zum Opfer gefallen, 27 verloren ihr Leben. Noch immer gibt es vereinzelte Unfälle, denn rund 40 Prozent der schätzungsweise zwei bis vier Millionen abgefeuerten Bomblets explodierten nicht beim Aufprall. Sie sind gerade mal so groß wie ein Tennisball und können bei Erschütterungen hoch gehen.

Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bezeichnete den israelischen Streubomben-Einsatz im Südlibanon als den umfangreichsten weltweit seit dem Golfkrieg 1991. »Es war der massive Einsatz in den letzten 72 Stunden des Konfliktes, der einen weltweiten Aufschrei ausgelöst hat«, so Mary Wareham von HRW. Beirut erhofft sich nun von der Anti-Streubombenkonvention mehr finanzielle Unterstützung für die Räumung im Südlibanon, denn dort bleibt noch viel zu tun. Von dem rund 1400 Quadratkilometer großen verseuchten Gebiet sind nach UN-Angaben 40 Prozent vollständig gesäubert, der Rest muss noch bearbeitet werden. Berlin hat die Räumung bisher mit rund 1,5 Millionen Euro unterstützt.

Der Job dort ist besonders schwierig, sagt Knut Furnus von der Hilfsorganisation »Norwegian Peoples Aid«. »Das Terrain im Südlibanon ist nicht flach, es geht rauf und runter, es ist wild zerklüftet. Wir wissen nicht wo und wie die Streumunition abgeschossen wurde, also können wir nur immer weiter gucken, bis wir nichts mehr finden. Weil die Bomblets klein sind, muss jeder Zentimeter des potenziell gefährlichen Gebietes untersucht werden.«

Die UNO hat Israel wiederholt gebeten, die Zieldaten des Streubombeneinsatzes weiterzugeben - bislang ohne Erfolg. Das würde die Arbeit erleichtern, da sind sich die Entschärfungsteams einig. Lamis Zein und Mirna Ashour gehören zu den zwei Frauen-Teams, die im Südlibanon arbeiten. Das sei gefährlich, aber erfüllend, sagt die 30-jährige Zein, selbst Mutter von zwei Kindern. »Das Schönste ist, wenn die Kinder wieder fröhlich in den Gärten spielen und die Eltern keine Sorgenfalten mehr auf der Stirn haben.«

* Aus: Neues Deutschland, 3. Dezember 2008


Zurück zur Libanon-Seite

Zur "Streubomben"-Seite

Zurück zur Homepage