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Libanons neuer Premier heißt Mikati

Präsident Suleiman ernannte den Kandidaten der Hisbollah zum Regierungschef *

Der libanesische Präsident Michel Suleiman hat am Dienstag den früheren Ministerpräsidenten Nadschib Mikati zum neuen Regierungschef ernannt.

Der Milliardär war von der pro-iranischen Hisbollah vorgeschlagen worden. Im Parlament hatte sich Mikati zuvor die Mehrheit gesichert. 68 Abgeordnete stimmten für ihn. Nur 60 votierten für den Übergangspremier Saad Hariri, der vom Westen favorisiert und von der Hisbollah gestürzt worden war.

In den USA wird die Entwicklung mit Sorge beobachtet. Washington befürchtet, dass die Hisbollah nun größeren Einfluss in Libanon bekommen wird. Die Hisbollah und ihre Verbündeten hatten Hariris Regierung am 12. Januar gestürzt, weil dieser nicht bereit gewesen war, sich von dem UN-Tribunal für die Aufklärung des Anschlags auf den ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri zu distanzieren. Der Vater von Saad Hariri und 22 weitere Menschen waren 2005 in Beirut bei einem Bombenattentat getötet worden. Das Tribunal in Den Haag will angeblich mehrere Hisbollah-Mitglieder anklagen. Auch iranische Politiker und syrische Funktionäre sollen an dem Komplott beteiligt gewesen sein. Die Anklageschrift wird demnächst veröffentlicht.

Hariri und Mikati sind beide Sunniten. Als Ministerpräsident darf in Libanon nur ein sunnitischer Muslim vereidigt werden. Der Präsident muss immer ein maronitischer Christ sein und der Parlamentspräsident ein Schiit. Präsident Suleiman hatte Hariri gebeten, als Übergangsregierungschef so lange im Amt zu bleiben, bis die Bildung einer neuen Regierung abgeschlossen ist. Anhänger Hariris hatten am Dienstag vergeblich gegen die Ernennung des Milliardärs Mikati protestiert. Die Proteste konzentrierten sich vor allem auf Beirut und Tripoli. »Wir lehnen es ab, Befehle von der Hisbollah und ihren iranischen Führern zu empfangen«, so der Parlamentsabgeordnete Mustafa Allusch, der zur Hariri-Fraktion gehört.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Januar 2011


Regierung gestürzt

Von Karin Leukefeld, Damaskus **

Das libanesische Parlament hat am Dienstag (25. Jan.) Nadschib Mikati zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. 68 Abgeordnete stimmten für den Politiker aus Tripoli, der von der islamischen Hisbollah und den übrigen Oppositionsparteien der Bewegung »8. März« nominiert worden war. 60 Parlamentarier votierten für den bisherigen Regierungschef Saad Hariri. Die ausschlaggebenden Stimmen für Mikati kamen von den elf Vertretern der Progressiven Sozialistischen Partei des Drusenführers Walid Dschumblatt. Dieser hatte am vergangenen Freitag erklärt, um »die Stabilität Libanons zu erhalten«, stehe seine Partei »fest an der Seite Syriens und des Widerstandes«, wie die Hisbollah wegen ihres Kampfes gegen die israelische Besatzung im Zedernstaat genannt wird. Bei den letzten Wahlen im Juni 2009 hatte Dschumblat, der für seinen Zickzackkurs bekannt ist, noch Hariri unterstützt.

Die Abstimmung war von gewalttätigen Protesten junger Anhänger des bisherigen Regierungschefs begleitet. Abgeordnete von dessen »Zukunftspartei« hatten zu einem »Tag des Zorns« aufgerufen, um »mit friedlichen Protesten« zu zeigen, daß sie nicht »unter die Kontrolle des Iran kommen« wollten. Den Sturz der bisherigen Hariri-Regierung bezeichneten die Abgeordneten als »unakzeptable Aggression gegen den sunnitischen Glauben und gegen die Nation«. Andere Stimmen sprachen von einem »Putsch der Hisbollah«. In Tripoli richtete sich der Zorn der Demonstranten am Dienstag vor allem gegen anwesende Journalisten. Ein Fahrzeug des Fernsehsenders Al-Dschasira wurde in Brand gesteckt, die Reporter wurden mit Steinen beworfen und gejagt. Sie konnten sich nur knapp in einem Gebäude in Sicherheit bringen, aus dem sie später von der Armee befreit wurden. In Beirut attackierten Hariri-Unterstützer die Büros von Abgeordneten, die für Mikati gestimmt hatten. Brennende Reifen blockierten Straßen in Beirut, Tripoli, Saida und im westlichen Beeka-Tal.

Nadschib Mikati, einer der reichsten Geschäftsleute in dem arabischen Land, erfüllt als Sunnit eine wichtige Voraussetzung für das Amt des Ministerpräsidenten, das gemäß dem in der Verfassung verankerten religiösen Proporz von einem Angehörigen dieser Glaubensrichtung besetzt werden muß. Der Parlamentspräsident muß demnach ein Schiit, der Präsident des Landes ein Christ sein. Nachdem Mikati von Staatspräsident Michel Suleiman mit der Regierungsbildung beauftragt worden war, betonte der 55jährige, er wolle mit allen Seiten zusammenarbeiten. Auch Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah sprach sich für eine »Regierung der nationalen Partnerschaft« aus, an der sich alle Parteien beteiligen sollten. Vorwürfe, die Hisbollah plane eine schiitische oder iranische Regierung im Libanon, seien »grundfalsch«.

Die Neuwahl des Premiers war nach dem Bruch der im Herbst 2009 von Hariri gebildeten »Regierung der nationalen Einheit« notwendig geworden, in der die Opposition mit zehn Ministern vertreten war. Diese und ein weiterer, unabhängiger Ressortchef waren Mitte Januar zurückgetreten, nachdem Hariri nicht bereit gewesen war, seine Position gegenüber dem UN-Sondertribunal zu ändern, das den 2005 verübten Mord an seinem Vater, dem früheren Premier Rafik Hariri, untersucht. Die Opposi­tion wirft dem Gericht vor, es habe sich durch einseitige Ermittlungen zu einem Werkzeug der USA und Israels machen lassen.

** Aus: junge Welt, 26. Januar 2011


Historischer Dienstag

Hisbollah-Sieg im Libanon

Von Rainer Rupp ***


Washingtons von Israel diktierte Libanon-Politik befand sich schon seit langem auf falschem Kurs. Am Dienstag nun (25. Jan.) scheiterte sie. Der Grund: Im libanesischen Parlament wurde der von der schiitischen Hisbollah vorgeschlagene Kandidat Nadschib Mikati zum neuen Ministerpräsidenten gewählt – und nicht der vom Westen favorisierte bisherige, aus Saudi-Arabien stammende Amtsinhaber Saad Hariri.

Der Sieg Mikatis ist der vorläufige Höhepunkt eines jahrzehntelangen Aufstiegs der religiös wie auch sozial geprägten Partei. Die Hisbollah als Vertreterin von vor allem besitz- und bis dato einflußlosen schiitischen Libanesen wird zur wichtigsten politischen und militärischen Macht des Landes. Ihr Erfolg ist zugleich ein deutlicher Indikator für das stark veränderte Kräfteverhältnis in diesem Teil des Mittleren Ostens – dort, wo der Einfluß der USA und ihrer saudi-arabischen und ägyptischen Marionetten immer stärker zurückgeht und antiimperialistische Positionen des Irans und Syriens zu Bezugspunkten werden.

Mikati erhielt 68 von 128 Abgeordnetenstimmen. Um das auf Druck der USA ins Leben gerufene UN-Tribunal zur Untersuchung des tödlichen Attentats auf Expremier Rafik Hariri, des Vaters von Saad Hariri, im Februar 2005 abzulehnen und zu neutralisieren, benötigte die neue Regierung lediglich 65 Stimmen. Die mit viel Aufwand konstruierte Beweisführung diente bisher Washington und auch Tel Aviv als erfolgversprechendes Instrument zur Diskreditierung der Hisbollah. Kein Wunder, daß »amerikanische Diplomaten versuchten, Mikatis Wahl zu verhindern«, wie die New York Times am Dienstag berichtete –ohne allerdings nähere Angaben zu Methoden der US-Intrigen sowie Einmischungen in die inneren Angelegenheiten des Zedernstaates zu machen.

Letztlich waren Washingtons Anstrengungen zum Scheitern verurteilt, woran auch die wütenden Proteste der Anhänger Hariris nichts ändern. Jetzt steht nicht nur die große Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch eine Mehrheit im Parlament hinter der Hisbollah und den mit ihr verbündeten Kräften, wie der christlichen CLP-Partei von Michel Aoun. Folgt man den Erklärungen des neuen Ministerpräsidenten und der ihn unterstützenden, von der Hisbollah geführten Koalition, dann spricht daraus die Entschlossenheit, sich nicht provozieren zu lassen. Statt dessen soll angesichts der Bedrohung von außen, insbesondere durch Israel, eine Regierung der nationalen Einheit geschaffen werden.

Unterdessen bestimmen in den westlichen Medien Hariri-Anhänger das Bild vom Libanon am »Tag der Wut«, wie Hariri-Anhänger den gestrigen, historischen Dienstag nannten – den Tag ihrer Niederlage. Bilder aus Beirut zeigen Demonstranten, »Nieder mit der Hisbollah« rufend, in von brennenden Reifen blockierten Straßen Das sei genau die Szenerie, »die viele bei einem Sieg der Hisbollah befürchtet haben«, kommentierte umgehend die New York Times, Flaggschiff der US-Großbourgeoisie.

*** Aus: junge Welt, 26. Januar 2011 (Kommentar)


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