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Libanon hat endlich seine Koalitionsregierung

Nach fünfmonatigem Ringen steht Kabinett der nationalen Einheit

Von Karin Leukefeld *

Fünf Monate nach den Parlamentswahlen hat Libanon eine neue Regierung. Nach endlos langem Kuhhandel um Ministerposten veröffentlichte der designierte Ministerpräsident Saad Hariri am Montag seine Kabinettsliste.

Gemäß einer libanesischen Vereinbarung gibt es eine Regierung der nationalen Einheit, in der das Mehrheitsbündnis 15 Minister, die Opposition zehn und Präsident Michel Suleiman fünf Minister ernennen. Am Dienstag stellte sich das neue Kabinett den Medien zu einem Fototermin, um anschließend zu seiner ersten Sitzung zusammenzukommen.

Während bis zum Wochenende der frühere General und Ministerpräsident Michel Aoun, dessen Freie Patriotische Bewegung (FPM) maronitischer Christen dem Oppositionslager angehört, um Ministerposten gekämpft hatte, waren es nach der Zustimmung der Opposition plötzlich die Christen aus dem Mehrheitslager »14. März«, die Vorbehalte äußerten. Phalangistenführer Amin Gemayel, der für seine Partei das Bildungsministerium gefordert hatte, zeigte sich mit dem Sozialministerium unzufrieden und dachte laut über einen Rückzug der Phalangisten aus dem Mehrheitsbündnis nach. Der für das Amt vorgesehene Salim al-Sayiegh blieb der ersten Kabinettssitzung tatsächlich fern. Ob damit der Bruch der Phalangisten mit dem Mehrheitsbündnis »14. März« besiegelt ist, war bis Redaktionsschluss noch unklar.

Stellvertreter von Ministerpräsident Saad Hariri wird Elias Murr, der Verteidigungsminister bleibt. Außenminister wird der emeritierte Geschichtsprofessor Ali al-Shami, der von der oppositionellen Amal-Bewegung nominiert wurde. Innenminister Ziad Baroud, ein Vertrauter von Präsident Suleiman, bleibt ebenfalls im Amt. Die oppositionelle FPM erhält vier Ministerien, die Hisbollah übernimmt das Ministerium für Landwirtschaft und ein Staatsministerium für administrative Angelegenheiten.

Während Deutschland, Frankreich und Italien die Regierungsbildung begrüßten und Libanon weitere Unterstützung zusagten, mahnte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Regierung, die Sicherheitsratsresolution 1701 umzusetzen. Die Resolution, die 2006 den Krieg Israels gegen Libanon beendete, verlangt von beiden Seiten, die »Blaue Linie«, die Grenze zwischen beiden Staaten, zu respektieren. Außerdem soll Libanon die Milizen entwaffnen und Waffenschmuggel verhindern.

»Alle Milizen, vor allem die Hisbollah«, müssten entwaffnet und aufgelöst werden, forderte Ban. Für Demokratie und Souveränität in Libanon sei das »entscheidend«. Mit der Angst vor einem neuen Krieg sollten Wähler im Juni davon abgehalten werden, für Hisbollah zu stimmen. Nun ist die Partei Gottes, ohne auf ihre Waffen zu verzichten, Teil der neuen Regierung. Diese nenne sich zwar »Einheitsregierung«, aber das sei »reine Formalität«, kritisierte Osama Safa vom Beiruter Zentrum für Politische Studien. Egal, wer die Wahlen gewonnen habe, »es gibt nur eine Macht« in Libanon: die Hisbollah. Sie werde langfristig der Regierung »ihren Willen aufzwingen, weil sie Waffen besitzt«, gkaubt Safa. Gleichwohl gibt es einen breiten Konsens in Libanon, dass die Waffen der Hisbollah eine »innerlibanesische Angelegenheit« darstellen, wie es auch Präsident Suleiman formuliert. Die Hisbollah besteht auf ihrer militärischen Struktur, um Libanon im Falle eines Angriffes von Israel verteidigen zu können. Die libanesische Armee wäre weder personell noch technisch dazu in der Lage.

Die Zeitung »An Nahar« berichtete derweil von Warnungen aus Washington, dass Israel eine »massive Aggression« plane. Als Vorwand könnte eine angeblich für die Hisbollah bestimmte Waffenlieferung dienen, die von Israel vor wenigen Tagen in internationalen Gewässern auf einem Handelsschiff beschlagnahmt worden war. Israel behauptet, die Waffen stammten aus Iran und sollten über Syrien an die Hisbollah geliefert werden.

* Aus: Neues Deutschland, 11. November 2009


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