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Warten auf Libanons Einheitsregierung

Bevölkerung stöhnt unter Preissteigerungen

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Nach anderthalb Jahren teils blutiger Machtkämpfe in Libanon hatten die prowestliche Regierung und die Opposition im Mai in Doha, der Hauptstadt Katars, einen Kompromiss geschlossen. Doch auf die vereinbarte Bildung einer Regierung der nationalen Einheit wartet das Land bisher vergeblich.

»Die Rivalen deuten an, dass Beirut in den nächsten Tagen eine Regierung der nationalen Einheit haben wird – oder auch nicht.« Zynisch beschreibt die Schlagzeile der libanesischen Tageszeitung »The Daily Star« die bizarre politische Lage in Libanon. Politiker aller Couleur erscheinen im Empfangszimmer von Präsident Michel Suleiman zum Fototermin, doch außer zahllosen Andeutungen und Gerüchten geschieht nichts im politischen Beirut.

»Wir haben am Freitagabend mit der Bildung einer Regierung gerechnet«, sagt Azza Mroué von der Libanesischen Liga für Frauenrechte. Doch nichts sei geschehen. Sie zuckt die Schultern: »So ist Libanon.« Ihr Mann fügt hinzu, was immer wieder in Beirut zu hören ist: »So lange Washington kein grünes Licht gibt, geschieht hier gar nichts.«

Für Azza Mroué und die Frauenliga steht indes der Kampf gegen das in Doha vereinbarte Wahlgesetz im Vordergrund. »Wir wollen kein Wahlrecht nach religiösen Kriterien«, betont sie. »Wir wollen ein normales Verhältniswahlrecht, wo jeder jeden Kandidaten wählen kann und diejenigen ins Parlament kommen, die die meisten Stimmen erhalten.« Und die Quotierung für Frauen müsse eingeführt werden, »mindestens 30 Prozent, so wie es auf der UN-Frauenkonferenz in Peking beschlossen wurde.«

Der Buch- und Zeitungshändler Sultan Beddawi (73) steht blass und abgemagert nach einer Herzoperation wieder in seinem Laden. Beddawi ist enttäuscht: »Da haben sie sich in Doha umarmt und geküsst«, sagt er kopfschüttelnd, »doch sobald sie wieder in Libanon sind, verhalten sie sich wie Beduinen und Stammesfürsten«, jeder wirtschafte in die eigene Tasche. »Ein Abgeordneter, ein Minister streicht jeden Monat sein gutes Gehalt ein, legt es auf ausländischen Bankkonten an und schickt seine Kinder zum Studium nach London, Paris oder Washington.« Nur Allah könne die Politiker noch zur Vernunft bringen, glaubt Herr Beddawi und richtet den Blick gegen die Decke.

Die Politiker sprechen derweil schöne Worte in jedes ihnen vorgehaltene Mikrofon. Er sei verhalten optimistisch, gibt Ministerpräsident Fuad Siniora ausweichend kund. Man stehe kurz vor einer Einigung, sagt ein anderer, ohne die Aussage zu erhärten. Ein hochrangiger Politiker aus Katar soll eigens angereist sein, um zwischen den Lagern zu vermitteln.

Die Vereinbarung von Doha am 22. Mai scheint im Nebel zu verschwimmen, von der Aufbruchstimmung nach der anschließenden Wahl von Präsident Michel Suleiman ist nichts mehr zu spüren. Der Streit geht vor allem darum, welches Ministerium das Mehrheitslager bereit ist, der Opposition in einer Regierung der nationalen Einheit zu überlassen. Verteidigungs- und Innenminister sollen vom Präsidenten ernannt werden, darüber scheint man sich einig. Umstritten bleiben das Finanz-, das Außen- und das Telekommunikationsressort. Vor allem letzteres ist begehrt, da es über die Vergabe der Gelder entscheidet, die Libanon auf der III. Pariser Geberkonferenz im Januar 2007 versprochen wurden. Damit soll eine Reihe von wirtschaftlichen Reformen finanziert werden. Auch wenn Ministerpräsident Siniora öffentlich erklärte, die Opposition könne frei zwischen den Ministerien wählen, scheint sein politisches Lager unwillig, die Kontrolle über dieses einflussreiche Ministerium abzugeben. Dabei sei viel Geld im Spiel, erläutert ein Beobachter, der namentlich nicht genannt werden möchte. Es gehe um viel »Bakschisch«, das mit jedem Auftrag in tiefen Taschen verschwinde.

Die Bevölkerung hat derweil mit einer enormen Steigerung ihrer Lebenshaltungskosten zu kämpfen. Steigende Mieten, Telefon- und Transportgebühren fordern fast das gesamte Einkommen einer Familie. Der monatliche Mindestlohn liegt bei 215 Euro. Als kürzlich sogar der Preis für 1250 Gramm des arabischen Fladenbrots um 30 Prozent stieg, intervenierte Wirtschaftsminister Sami Haddad und erklärte, die Regierung werde das Mehl für die Bäckereien wieder bezuschussen. Der Preis pro Tonne war innerhalb kurzer Zeit derart gestiegen, dass sich die Bäckereien gezwungen sahen, ihre Kosten an die Verbraucher weiterzugeben. Inzwischen wurde die Preiserhöhung zurückgenommen. Ein Streik, zu dem die Allgemeine Arbeiterföderation (GLC) für Montag aufgerufen hatte, wurde abgesagt. Mehl für Bäckereien wird jährlich mit 60 Millionen US-Dollar aus dem libanesischen Haushalt subventioniert.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Juli 2008


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