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Das Armenhaus im Herzen Beiruts

Palästinensische Flüchtlingslager zwischen Hoffnung und Skepsis

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Palästinensische Flüchtlinge dürfen auf Beschluss des libanesischen Parlaments seit kurzem legal in Libanon arbeiten; eine Entscheidung, die sie sehr begrüßt haben. Doch ob und wie das Gesetz ihre Lage tatsächlich verbessert, ist noch nicht ausgemacht.

Auf dem Markt im Flüchtlingslager Sabra in Südbeirut ist kaum ein Durchkommen. Verkäufer preisen ihre Waren an, Hunderte von Menschen strömen hin und her. Manche laufen die Straße auf und ab, ins Gespräch vertieft, Kinder bieten ihre Kraft als Lastenträger an.

Doch niemand hier verdient genug, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, sagt Nawal al-Ali, die bei der Hilfsorganisation Najdeh die Kampagne für die Rechte der palästinensischen Flüchtlinge leitet. Sie wurde im Flüchtlingslager Schatila geboren und überlebte 1982 das Massaker, das christliche Milizen in den dicht beieinander liegenden Lagern Sabra und Schatila verübten. Um die Lager war die israelische Armee postiert, die tags zuvor in Beirut einmarschiert war. Außer den Mördern wurde jedem der Zutritt verweigert, verantwortlich dafür war damals der Verteidigungsminister und spätere Ministerpräsident Ariel Scharon. Nahe der Marktstände in Sabra erinnert hinter einer Mauer ein kleiner Park mit Rosenbeeten an das schreckliche Ereignis, das die Überlebenden ihr Leben lang begleitet.

Nawal und ihre Geschwister wuchsen danach außerhalb des Lagers auf. Ihr Vater konnte ein Haus kaufen und seinen Kindern ein Studium ermöglichen, erzählt sie. Für die 430 000 palästinensischen Flüchtlinge, die heute offiziell in Libanon registriert sind, ist das jedoch eine Ausnahmebiographie.

Mindestlohn – aber nicht für Palästinenser

Nawals Eltern waren noch jung, als sie mit ihren Eltern aus Palästina flohen und in Schatila strandeten. Die Flucht dauert bis heute. Das Armenhaus der Flüchtlinge liegt mitten in der libanesischen Hauptstadt, und doch Lichtjahre entfernt von den glitzernden Auslagen in den eleganten Geschäften in Downtown Beirut.

»Schande über Libanon«, sagt der Soziologe Abdo Saad vom Zentrum für Forschung und Information in seinem Büro im 7. Stock über dem pulsierenden Herzen der Stadt. Nicht die einfachsten Menschenrechte gebe man den Palästinensern. »Seit mehr als 60 Jahren sind sie hier im Land und dürfen bis auf schwere, ungelernte Tätigkeiten nicht arbeiten. Sie haben keinen Zugang zur Sozialversicherung, dürfen keinen Besitz erwerben und leben eingepfercht in den Lagern, bewacht von der Armee.«

Wie in allen Flüchtlingslagern sind die Lebensbedingungen in Schatila schlecht: Armut, Überbevölkerung, Arbeitslosigkeit, zerfallende Häuser, desolate Strom- und Wasserversorgung. Die kleinen Geschäfte oder Werkstätten ernähren ihre Inhaber nicht. Nur außerhalb des Lagers lässt sich etwas Geld verdienen. An verschiedenen Sammelpunkten am Rande Beiruts warten die Männer schon vor Sonnenaufgang darauf, dass ein Auftraggeber ihnen für den Tag Arbeit auf dem Bau oder bei der Ernte gibt. Frauen nähen in Textilfabriken oder arbeiten als Putzkräfte.

Im Najdeh-Büro, das bei der Libanesisch-Arabischen Universität in einer kleinen Seitenstraße liegt, erzählt Nawal al-Ali von einer jungen Frau, die illegal als Lehrerin eingestellt wurde, für 200 Dollar Monatslohn. Als sie nach dem ersten Monat nur 100 Dollar erhielt, sagte sie, das sei nicht vereinbart gewesen. Sie sei Palästinenserin, habe man der Frau gesagt, daher erhalte sie nur 100 Dollar. Der gesetzliche Mindestlohn in Libanon liegt bei 400 Dollar.

Als kürzlich im Parlament ein neues Gesetz über die Arbeitserlaubnis für palästinensische Flüchtlinge verabschiedet wurde, hoffte so mancher, die Arbeitssituation werde sich ändern. Doch Nawal al-Ali ist skeptisch und dämpft die Erwartungen. Bisher hätten nur die Medien darüber berichtet, der Gesetzestext sei noch nicht veröffentlicht und damit auch nicht rechtskräftig.

Palästinensische Flüchtlinge werden weiterhin als Ausländer eingestuft, die in Libanon arbeiten dürfen, wenn umgekehrt Libanesen auch in ihrem Land arbeiten können. »Uns aber hat man unser Land genommen«, sagt Nawal und zuckt mit den Schultern, es sei doch offensichtlich, dass Palästinenser diese Voraussetzung nicht erfüllen können. »Außerdem müssen wir als ›Ausländer‹ beim Ministerium eine Arbeitsgenehmigung beantragen. Wir brauchen jemanden, der uns einstellt und Abgaben an die Sozialversicherung zahlt. Das wird aber Arbeitgeber abschrecken, die uns bisher als billige Arbeitskräfte ohne Abgaben und ohne Verpflichtungen einstellten.«

Ihre Kollegin Bouthaina Saad, die bisher schweigend zugehört hat, verweist auf die Angst bei vielen Libanesen, dass die Palästinenser sesshaft werden wollten, wenn sie einmal gut bezahlte Arbeit gefunden hätten. »Immer wenn wir mehr Rechte für uns fordern, sagen sie, ›Tauteen‹ (Einbürgerung) und alle damit verbundenen Rechte kommen für Palästinenser nicht in Frage.« Das hänge mit dem politischen System des Religionsproporzes in Libanon zusammen.

Sie sage es nicht gern, fügt Nawal al-Ali hinzu, aber es seien vor allem die christlichen Parteien, »nicht die Christen«, die Angst hätten, ihre Vormachtstellung im Land an die Muslime zu verlieren. »Auch wenn ich hier geboren und erzogen wurde, auch wenn ich hier arbeite, bin ich doch immer noch Palästinenserin«, sagt Nawal al-Ali. »99 Prozent von uns würden in unsere Heimat zurückkehren, sollte man uns das Recht endlich zugestehen.«

»Wir zahlen ein, sind aber nicht versichert«

Das Flüchtlingslager Mar Elias ist das kleinste der Lager für Palästinenser. 600 Menschen sind hier laut dem UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten registriert. 62 Jahre lang haben Tausende Füße tagein tagaus den Boden der Gassen von Mar Elias so blank gelaufen, dass man achtgeben muss, auf dem Wasserlauf in der Mitte des Weges nicht auszurutschen. Die schmalen Häuser stützen sich gegenseitig und neigen sich in der Höhe so sehr aufeinander zu, dass der Himmel kaum zu sehen ist. Stromkabel bilden ein dichtes Gewirr zwischen den Gebäuden, aus Radios tönen die Nachrichten. Einige Männer sitzen auf der Bank neben einem Laden, in dessen Auslage Obst, Tomaten und Petersilie feilgeboten werden.

»Wir warten hier auf Godot«, lacht Souheil el-Natour, dessen bescheidenes Büro im »Zentrum für menschliche Entwicklung« um die Ecke des kleinen Ladens liegt. Seinen Beruf als Rechtsanwalt kann Natour als palästinensischer Flüchtling nicht ausüben, die Gebühren für den Berufsverband sind sehr hoch, und palästinensischen Flüchtlingen ist der Beitritt sowieso nicht gestattet.

»Vor drei Jahren waren es 105 verschiedene Berufe, die man uns erlauben wollte, im folgenden Jahr waren es nur noch 78.« Nun sei die Zahl auf 66 gesunken, und eigentlich gebe es mehr Probleme als zuvor. Zum Beispiel die Sozialversicherung. »Ein palästinensischer Arbeitnehmer, der künftig mit einem Vertrag arbeitet, muss ebenso wie der Arbeitgeber in den Fonds einzahlen.«

Doch anders als alle anderen vertraglich abgesicherten Arbeiter, zahle ein Palästinenser nur ein, erhielte aber keine Versicherung. »Erst wenn er pensioniert ist, wird ihm sein Beitrag ausgezahlt. Indirekt plündern sie also unseren Verdienst, um ihn 20, 30 Jahre auf den Konten der Sozialversicherung Zinsen hecken zu lassen. Warum sollten wir dem zustimmen?«

Auch wenn das neue Gesetz hinter den Erwartungen zurückbleibe, freue er sich, dass die Rechte der palästinensischen Flüchtlinge in Libanon endlich kein Tabuthema mehr sind, sagt er. Das sei vor allem dem Druck der Europäischen Union und der Zivilgesellschaft zu verdanken. Zum ersten Mal seien junge und auch alte Libanesen in die Lager gekommen und hätten sich informiert.

* Aus: Neues Deutschland, 21. September 2010


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