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Landnahme auf See

Israel und Libanon kämpfen um Bodenschätze in internationalen Gewässern: Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer zu "nationalen Ressourcen" erklärt

Von Karin Leukefeld *

Die Entdeckung lukrativer Gasvorkommen im Mittelmeer sorgt für neue Spannungen zwischen Libanon und Israel. Beide Staaten haben bei den Vereinten Nationen ihren Anspruch auf Erdgaslagerstätten in bestimmten Gebieten angemeldet und diese zu ihrem nationalen Rohstoffreservoir erklärt. Weil die jeweils angegebenen inmitten Grenzen nicht übereinstimmen, ist ein Streit programmiert.

Zwischen Libanon und Israel herrscht Krieg. Eine offizielle Landesgrenze zwischen beiden Staaten gibt es nicht. Die seit dem Rückzug israelischer Truppen aus dem Südlibanon im Jahr 2000 als Waffenstillstandsgrenze geltende »Blaue Linie« wird von UNO-Schutztruppen kontrolliert. Israel hat seine Seite dieser Demarkationslinie wie einen Hochsicherheitstrakt mit Minenstreifen und Überwachungstürmen verriegelt; die libanesische Seite rechnet täglich mit neuen Militärschlägen ihres unfriedlichen südlichen Nachbarn.

Seit seiner Gründung 1948 weigert sich der Staat Israel hartnäckig, Grenzen anzuerkennen. Die 1967 besetzten syrischen Golan-Höhen hat es ebenso annektiert wie das ebenfalls 1967 besetzte Ostjerusalem. Wenn es um Vorteilsnahme geht, wie zum Beispiel bei dem Zugang zum Wasser des Jordan, der unterirdischen Wasserspeicher der West-Bank oder bei der seeseitigen Abriegelung des Gazastreifens, weitet Israel einseitig Grenzen aus, ohne zu fragen.

So geschieht es nun auch mit Gasvorkommen im Mittelmeer, die 2009 entdeckt worden waren. Israels wachsende Gesellschaft und Ökonomie braucht viel Energie, die es weitgehend mit Kohle erzeugt. Gas erhält das Land aus dem Scheichtum Katar, und Lieferungen aus Ägypten decken ein Viertel des israelischen Bedarfs. Seit dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak Anfang Februar 2011 mußten die Gaslieferungen an Israel viermal unterbrochen werden, nachdem Unbekannte die Pipeline in die Luft gesprengt hatten. Unbestätigten Quellen zufolge gibt es in Ägypten Überlegungen, das Gaslieferungsabkommen mit Israel ganz zu beenden, weil der Vertrag »illegal« sei. Kairo plane, Kompensationszahlungen von Israel und von den USA einzufordern, weil sie Ägypten gezwungen hätten, das Gas an Tel Aviv unter dem Weltmarktpreis zu verscherbeln. Umgekehrt plant auch der Betreiber der Pipeline, die East Mediterranean Gas Company, Zahlungen geltend zu machen und zwar für den Ausfall von Gaslieferungen durch die Anschläge.

Bei den Funden im Mittelmeer handelt es sich um das Tamar-Feld, das sich 90 km vor der Küste Nordisraels befindet und bei seiner Entdeckung 2009 als größter Gasfund galt. Das Leviathan-Feld liegt weitere 45 km von der Küste entfernt und gilt als größtes Unterwasserreservoir von Gas, das in den letzten zehn Jahren entdeckt wurde. Während die Ausbeutung Tamars frühestens in drei Jahren beginnen könnte, werden im Leviathan-Feld noch von der US-Firma Nobel Energy Erkundungsbohrungen durchgeführt. Da sich die Lagerstätten eindeutig in internationalen Gewässern befinden, ist die Voraussetzung jeglicher Förderung eine Einigung zwischen den Anrainerstaaten Zypern, Libanon und Israel. Weil Libanon und Israel im Kriegszustand sind, sollen die Vereinten Nationen entscheiden. Beide Staaten haben bereits mit Zypern über entsprechende Abgrenzungen verhandelt.

Anfang Juli bestätigte das israelische Kabinett ein Gebiet, in dem der Staat Israel »exklusive Wirtschaftsrechte und das Recht auf die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im Meer« beansprucht, wie Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bestätigte. Mit einer unterseeischen Pipeline nach Griechenland will man zum Gasexporteur für Europa aufsteigen. Die von Israel festgelegten Grenzen umfassen allerdings auch Gebiete, die bereits Libanon im August 2010 in seinem Antrag an die Vereinten Nationen für sich beansprucht hatte.

Der libanesische Energieminister Gebran Bassil erklärte, Beirut habe sich bei der Ziehung der maritimen Grenze an die UN-Konvention über das Seerecht gehalten. Kein Libanese werde »den Verzicht auf nationale Energieressourcen oder libanesische Seerechte« akzeptieren. Das Land hat Berichten zufolge mit eigenen Erkundungsbohrungen begonnen. Präsident Michel Sleiman warnte Israel vor eigenmächtigen Entscheidungen, innerhalb libanesischer Grenzen Ressourcen auszubeuten. Libanon werde seine Grenzen zu See und zu Wasser verteidigen. Außenminister Adnan Mansour sprach von einer »Aggression« Israels gegen die libanesischen Rechte auf Öl- und Gasvorkommen im Mittelmeer. Am Dienstag äußerte sich erstmals auch Hisbollahführer Hassan Nasrallah zu dem Streit. Die Öl- und Gasvorkommen im Mittelmeer seien eine große Chance für Libanons marode Ökonomie. Das Land ist mit umgerechnet mehr als 55 Milliarden US-Dollar verschuldet. Israel habe bei seiner Grenzziehung mit Zypern »850 Quadratkilometer einbezogen, die zu den territorialen Gewässern Libanons gehören«, so Nasrallah. Das Land werde politisch und diplomatisch darum streiten, dieses Gebiet als libanesisch zu bewahren. Sollte Israel aber seine Hände danach ausstrecken und libanesische Ressourcen stehlen wollen, werde man es stoppen.

* Aus: junge Welt, 29. Juli 2011


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