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Späte Einsicht des Hassan Nasrallah

Libanesischer Hisbollah-Führer hält heute Entführung israelischer Soldaten für einen Fehler

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Spät, aber immerhin doch räumt der Führer der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, ein, dass seine Organisation einen verhängnisvollen Fehler begangen hat, als sie zwei israelische Soldaten entführte.

»Hätte ich gewusst, dass die Festnahme der Soldaten zu diesem Ergebnis führen würde, hätte die Hisbollah das nur zu einem Prozent gewusst, hätten wir diese Operation mit Sicherheit nicht durchgeführt«, sagte Hassan Nasrallah, der Führer der libanesischen Hisbollah, am Sonntagabend im Interview mit dem libanesischen »New TV«, das während des Krieges für viele Libanesen zur wichtigsten Informationsquelle über neue Angriffe geworden war. Eine Kamera, die rund um die Uhr auf die südlichen Vororte von Beirut gerichtet war, hatte jeden Bombeneinschlag live übertragen. Sollte er die Entscheidung im Wissen um die Konsequenzen neu treffen können, bekundete Nasrallah, würde er »Nein sagen, ganz entschieden Nein – aus humanitären, moralischen, sozialen Gründen, aus Gründen der Sicherheit, aus militärischen und politischen Gründen«. Niemand bei der Hisbollah, auch nicht »die Häftlinge in den israelischen Gefängnissen« und deren Familien, könnten dem widersprechen.

Nasrallahs Bedauern über den Krieg zeigt, dass die Kritik der Bevölkerung bei ihm angekommen ist, auch wenn sie während des Krieges kaum offen geäußert worden war. Mit mehr als 1200 Toten und immensen Zerstörungen des Landes mussten die Libanesen einen hohen Preis zahlen.

Niemand müsse vor einem neuen Krieg Angst haben, meinte nun Nasrallah. Zwar habe die Hisbollah das Recht, israelische Soldaten auf libanesischem Boden anzugreifen und auf »Israels Provokationen« zu reagieren, doch man werde sich zurückhalten. Man werde die libanesischen Soldaten unterstützen und alles vermeiden, was sie in eine schwierige Lage bringen könnte. Mit den UN-Truppen entlang der libanesischen Grenze werde es keine Probleme geben, solange sie nicht versuchten, die Hisbollah zu entwaffnen. Überdies werde die Hisbollah im Süden zukünftig nicht mehr bewaffnet auftreten. Sollten libanesische Soldaten dennoch auf bewaffnete Milizionäre stoßen, sei es deren Recht, die Kämpfer zu entwaffnen. Auch von den Israelis erwarte er keinen neuen Angriff, meinte Nasrallah. Deren Truppen seien zum großen Teil abgezogen, »die Vertriebenen kehren in ihre Städte zurück und haben mit dem Wiederaufbau begonnen«. Wer einen neuen Krieg wolle, würde sich so nicht verhalten.

Zum Thema der Gefangenen erklärte der Hisbollah-Führer, Italien habe sich bereiterklärt, einen Gefangenenaustausch »zwischen Israel und der Hisbollah« zu vermitteln. Parlamentssprecher Nabi Berri werde für die Islamisten verhandeln. Neben der Frage der Gefangenen müsse allerdings auch über die von Israel besetzten Scheeba-Farmen gesprochen werden. »Die Pflicht und die Verantwortung des Widerstandes ist es, das ganze Libanon von der israelischen Besetzung zu befreien«, so Nasrallah.

Nicht weniger als 4000 ihrer Raketen habe die Hisbollah auf Israel abgefeuert, so Nasrallah. Das seien 50 Prozent aller Waffen, die sie besitze. Aus Sicherheitsgründen werde er persönlich in Zukunft nicht mehr an dem libanesischen Nationalen Dialog teilnehmen, so Nasrallah, da er »die anderen Teilnehmer nicht neuer Gefahr aussetzen« wolle. Israels Premier Ehud Olmert hat in einer Rede vor dem israelischen Parlament unlängst das Recht beansprucht, den Führer der Hisbollah jederzeit und überall töten zu lassen.

* Aus: Neues Deutschland, 29. August 2006


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