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Die Bombe hing im Olivenbaum

Fortführung des UN-Minenräumprogramms in Südlibanon ist gefährdet

Von Karin Leukefeld *

Südlich von Nabatiya windet sich die Straße durch das Kernland der libanesischen Schiiten. Dörfer schmiegen sich an grüne Hänge, umgeben von Obstplantagen, Tabakfeldern und Olivenhainen.

Wenig deutet darauf hin, dass Israels Luftwaffe hier während des Krieges 2006 tödliche Fracht abwarf. Bombenkrater in der Straße wurden mit Asphaltflicken geschlossen, Trüm-mer entlang des Weges geräumt, die Khardaly Brücke, die über den Litani führt, ist wieder aufgebaut.

Die Kontrolle am Militärposten dauert lange. Journalisten benötigen neben einer Genehmigung des Kommandos in Sidon ein Schreiben der Pressestelle der Libanesischen Armee in Beirut. Der Süden Libanons nahe der Grenze zu Israel ist nach wie vor Sperrgebiet. Touristen kommen allenfalls hierher, um die majestätische Ruine der Kreuzritterburg Beaufort zu sehen. Im 12. Jahrhundert erbaut, diente sie bis 1982 der PLO als Stützpunkt, danach kontrollierte die israelische Armee von hier aus die Region, heute weht auf den Turmresten neben der Fahne Libanons die der Hisbollah. Die Felsenburg ragt hoch über die Schlucht, durch die der Litani nach Süden fließt. Doch kurz vor der israelischen Grenze, als wolle er dem Nachbarn, der das Wasser der Region gierig auf seine Felder lenkt, eine Nase drehen, wendet sich der Fluss gen Westen und mündet nach gemächlichem Zickzack ins Mittelmeer.

Jenseits der Litani-Schlucht und der Burg steigt die Straße steil zum Dorf Al Qulayat empor. Vor dem Ort steht auf einem drahtumzäunten Stoppelfeld ein Schild des MACC, des UN-Minenaktions- und Koordinationszentrums für Südlibanon. Das Feld ist Übungsgelände für Minensuchhunde. Finanziert werde das Programm von der Libanesischen Armee, der UNO und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), heißt es auf dem Schild.

44 Teams haben in den vergangenen zwei Jahren Zehntausende von Streubomben und andere nicht explodierte Munition aus Dörfern, Häusern, von Feldern und Bäumen geräumt. Die weitere Arbeit scheint jedoch gefährdet, wie MACC-Sprecherin Dalya Farran erklärt. Zugesagte 4,7 Millionen Dollar für den Haushalt 2008 sind ausgeblieben. Unklar, ob man 2009 überhaupt weitermachen kann.

Nach dem Krieg wurden 1058 Gebiete gekennzeichnet, die mit Streubomben und scharfer Munition verseucht sind. In einem einzigen Dorf wurden 45 000 Streubombengeschosse gefunden. 41 Quadratkilometer vorwiegend landwirtschaftlich genutzter Fläche sind verseucht. Dazu gibt es laut Frau Farran rund 300 000 Landminen, die Israel vor dem Rückzug seiner Armee im Jahr 2000 entlang der UN-markierten Grenze, der »Blauen Linie«, hinterließ.

Auch die Bewohner Klayas, wie sie Al Qulayat nennen, haben mehr als genug von den Land- und Streuminen gehabt, sagt Saoud Rizk, der dort seit zehn Jahren als Lehrer arbeitet. Die Tante seiner Frau habe bei der Olivenernte ein Bein verloren, die Streubombe hing im Baum. Ein Wunder, dass es nicht mehr Opfer gab, denn bei der Olivenernte hilft die ganze Familie.

Das sei indes nicht das einzige Problem, klagt Saoud. Vor zehn Jahren hatte seine Schule 300 Schüler, heute 40. Von 10 000 Bewohnern seien 1500 geblieben. Wenn er Gelegenheit bekäme, packte auch er seine Sachen, gesteht der Lehrer. Sieben seiner Brüder sind schon in Europa.

In Klaya leben vor allem maronitische Christen. Die Bevölkerung ist jedoch gespalten, denn zu Besatzungszeiten (1982-2000) arbeiteten viele der Einwohner mit den Israelis zusammen – als Soldaten der Südlibanesischen Armee (SLA). Als sich die Israelis zurückzogen, folgten ihnen 2000 libanesische Familien, erzählt Saoud. »Sie hofften auf Unterstützung in Israel und hatten Angst, in Libanon als Kollaborateure bestraft zu werden.« Doch in Israel habe sich niemand um sie gekümmert, und so seien etliche zurückgekehrt. Einigen habe man den Prozess gemacht, die meisten hätten Libanon verlassen. Klaya ist für Saoud jedenfalls ein Ort ohne Zukunft.

Youssef Marouns Café liegt direkt an der Hauptstraße. Einige alte Männer schlürfen Kaffee und lassen die Zeit vergehen. Khairallah Maroun, Bruder des Inhabers, hat in der »richtigen« libanesischen Armee gedient, wie er sagt, »nicht bei den Verrätern«. Heute ist er Bauer, doch der Verdienst sei jämmerlich. »Früher war unsere Gegend reich, das Tal von Marjayoon war unsere Kornkammer.« Heute denke jeder nur an sich, und die Regierung bestehle sie obendrein. Emile Wanna stimmt ihm zu. »Die Früchte verderben auf dem Feld«, sagt er, »in meinem Keller lagern inzwischen drei Jahrgänge Olivenöl, verkaufen kann ich davon nichts.« Geschäfte, Schulen, Wohnungen – alle würden nur durch Notaggregate mit Strom versorgt. Das Öl dafür werde aber immer teurer. Auch Wasser sei zum Luxusartikel geworden. Es gebe zwar Leitungen, doch Wasser fließe darin nicht.

In vielen Dörfern nahe der Grenze zu Israel sind die Spuren des Krieges 2006 beseitigt. Quer über den Straßen hängen Transparente mit Danksagungen an Spender, die zum raschen Wiederaufbau beigetragen haben: vor allem Iran und Katar. Die eigene Regierung habe durch Abwesenheit geglänzt, sagt eine Verkäuferin in einem Laden.

Was den Alltag in Südlibanon wie ein Fluch verfolgt, das sind die Blindgänger und die scharfe Munition, die Israels Luftwaffe Stunden vor dem Waffenstillstand am 15. August 2006 abwarf. Auch auf den Feldern um Tibneen, wo der 15-jährige Hamid Fawaz am Straßenrand Melonen und Pfirsiche verkauft. Noch im Frühjahr hätten sie bei der Feldarbeit zwei Bomben gefunden, erzählt er. Die Armee habe die Sprengkörper gemeinsam mit belgischen Soldaten geräumt. Dabei hätten sie 28 weitere Minen gefunden.

In den vergangenen zwei Jahren starben nach MACC-Angaben 27 Zivilisten und 13 Minenräumer, 234 Zivilisten und 39 Minenräumer wurden verletzt. Jüngstes Opfer ist ein belgischer Soldat, der am 3. September getötet wurde, als er eine Mine entschärfen wollte. Bis heute weigert sich die israelische Regierung, Karten der Abwurfstellen zu übergeben.

* Aus: Neues Deutschland, 6. September 2008


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