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"Israel muß den Schaden wieder gutmachen"

Während sich Tel Avivs Armee auf eine Bodenoffensive vorbereitet, wachsen in Libanon Angst und Wut. Ein Gespräch mit Rania Masri

Rania Masri ist Direktorin des Southern Peace Research Institute, einer Friedensforschungseinrichtung mit Sitz im US-Bundesstaat North Carolina. Sie lehrt außerdem an der Balamand-Universität in Beirut.
Das Interview, das wir im Folgenden dokumentieren, wurde in der "jungen Welt" veröffentlicht.*



Sie leben außerhalb der libanesischen Hauptstadt und arbeiten an der Balamand-Universität in Beirut. Nach den Bombardements der letzten Tage bereitet die israelische Armee nun offenbar eine Bodenoffensive vor. Welche Konsequenzen hatten die Angriffe bis jetzt?

Das Zentrum von Beirut wurde in den vergangenen Tagen mehrfach getroffen. Wie Sie sicher gehört haben, wurde auch der internationale Flughafen der Hauptstadt wiederholt bombardiert – sowohl das Rollfeld als auch die Flughafengebäude. Ebenso die Hauptstraßen von und zur der Hauptstadt.

Die israelische Armee argumentiert damit, sie bekämpfe die schiitische Hisbollah-Miliz ...

... aber was bedeutet das? Der Süden Beiruts wurde mehrfach von Bomben getroffen. Das ist nicht nur eines der ärmsten Gebiete der Hauptstadt, wenn nicht des Landes, sondern auch einer der am dichtesten besiedelten Stadtteile. Die Menschen fliehen daher in Parks und auf freie Flächen. Am Freitag hat die israelische Armee in der gesamten Region südlich des Litani-Flusses Flugblätter abgeworfen, auf denen die Menschen zur Flucht aufgefordert werden. Zugleich werden die Straßen aber weiter bombardiert. Die Menschen haben Angst um ihr Leben. Aber sie haben keine Wahl, denn das ist keineswegs ein Krieg gegen die Hisbollah. Das ist ein Krieg gegen Libanon.

Am Wochenende hat die israelische Armee einen Schiffs- und Luftkorridor für Hilfsgüter geöffnet. Welche Informationen haben Sie über die humanitäre Lage?

Nach über einer Woche israelischer Angriffe ist mein Land zerstört: Straßen, Brücken und Flughäfen. Von den Bomben wurden auch Milchfabriken, Rinder- und Hühnerfarmen getroffen. Es gab Einschläge in Krankenhäusern, Kirchen und Moscheen. Es mag pathetisch klingen, aber wenn ich daran denke, schnürt es mir die Kehle zu. Die sogenannte internationale Gemeinschaft besitzt die Dreistigkeit, über Menschenrechte zu reden, während sie stillschweigend akzeptiert, wie ein fast wehrloses Land von einer der am besten ausgerüsteten Armeen der Welt überfallen und zerstört wird.

Inzwischen haben Tausende Ausländer das Land verlassen. Wie aber reagiert die libanesische Bevölkerung auf die Gefahr?

Hanady Salman, eine Redakteurin der Tageszeitung As-Safir, hat es so ausgedrückt: »Die Angst wächst. Beirut ist traurig, verängstigt, verwundet und, vor allem: alleine.« Ich finde das sehr treffend, denn die Menschen wissen, daß sie, die Zivilisten, mit Absicht ins Visier genommen werden. Die israelische Außenministerin Tzipi Livni sagte vor einigen Tagen, daß »viele Zivilisten in Südlibanon Katjuscha-Raketen unter ihren Betten haben«. Heißt das, daß ihre Betten jetzt militärische Ziele sind?
Sie fragen, wie die Bevölkerung reagiert. Sie hat Angst. Sie ist traurig. Sie hat Wut. Und diejenigen, die am meisten leiden, sind die Wütendsten.

Ist die Versorgung der Zivilbevölkerung gewährleistet?

Nein, das ist sie nicht. Zehntausende sind schon jetzt in ihren Dörfern eingeschlossen. Sie erhalten weder Nahrungsmittel noch Medizin. Humanitäre Hilfe ist in Libanon nicht nur akut notwendig, sie wird auch mittel- und langfristig gebraucht, wenn wir nach diesem Krieg wieder zum Aufbau des Landes zurückkehren.
Nach dem letzten Angriff Israels war Libanon hoch verschuldet. Das Bruttoinlandsprodukt wurde fast vollständig für den Schuldendienst verwendet. Was sollen wir also tun? Wie sollen wir dieses Land wieder aufbauen? Wenn die internationale Staatengemeinschaft in ihrer Forderung nach Achtung der Menschenrechte aufrichtig wäre, müßte sie eher heute als morgen verlangen: Wiedergutmachung von Israel für diese Zerstörungen.

Interview: Harald Neuber

* Aus: junge Welt, 24. Juli 2006


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