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Kein Auftrag für Baltigis Lotsenboote

Zwei Monate dauert die israelische Seeblockade Libanons bereits – ein wirtschaftliches Desaster für das von Importen abhängige Land

Von Karin Leukefeld, Beirut

»Es ist jetzt sehr ruhig hier. Es gibt keine Arbeit. Schiffe kommen nicht, seit die Israelis den Hafen blockieren. Wir hoffen, dass es bald vorbei ist. Niemand hier will Krieg, niemand.« Ibrahim Baltigi (68), der Cheflotse im Hafen von Beirut, ist immer noch geschockt von der Wucht des Krieges, der auch seinen Hafen nicht verschont hat. Es sei das Schlimmste, was er je erlebt habe, sagt er. Erst im Februar 2005 war der neue Containerhafen von Beirut in Betrieb genommen worden, mit zwei neuen Kais für Hochseeschiffe und vier modernen Kränen, erzählt Ibrahim Baltigi. Noch vor wenigen Wochen boomte das Geschäft im Hafen, er selbst arbeitete täglich 18 Stunden. Doch nun ragen die blau-roten Kräne reglos in die Luft, transportfertige Container aus aller Herren Länder stapeln sich zu bunten Türmen.

Zwei Monate dauert die israelische Blockade der libanesischen Häfen und Flughäfen inzwischen. Am Dienstag erklärte UN-Generalsekretär Kofi Annan im ägyptischen Alexandria, er erwarte die Aufhebung der Luft- und Seeblockade innerhalb von 48 Stunden. Sicher ist das jedoch nicht. Der Schritt erfordere »ein wenig guten Willen und Vernunft«, betonte Annan.

Schiffscontainer auf dem Landweg

Für Libanon – das Land importiert rund 85 Prozent seiner Waren – ist die Blockade ein wirtschaftliches Desaster. Auch die Einfuhr von Bau- und Ersatzteilen, die dringend für den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur gebraucht werden, wird dadurch behindert. Weil Israel auch nach der Waffenruhe die Seeblockade Libanons fortsetzt, suchen die Reedereien nach Alternativen zum Entladen ihrer großen Frachtschiffe, die während des Krieges vor Malta, Ägypten oder Zypern warteten. Tausende Container werden inzwischen in die syrischen Häfen von Latakia und Tartous umgeleitet, von wo sie auf dem Landweg in den Zedernstaat transportiert werden. Nach Auskunft der Internationalen Schifffahrtskammer wurden 18 000 für Beirut bestimmte Container in der Türkei, Griechenland, Zypern, Malta und Syrien gelöscht. Doch nicht für alle Schiffe ist das eine Lösung. Vor Zypern warten noch immer drei Öltanker auf die israelische Genehmigung, ihre Ladung in Beirut zu löschen.

Während des Krieges seien nur Schiffe gekommen, um die Ausländer zu evakuieren, sagt Ibrahim Baltigi. Meist waren es Marineschiffe, griechische, amerikanische, indische, einmal sei auch ein türkisches Boot eingelaufen. Am häufigsten aber seien die Franzosen gekommen. »Wir Libanesen mögen die Franzosen, sie sind gut zu uns«, sagt der Lotse und blickt zum Horizont, von wo sich ein mächtiges, graues Kriegsschiff nähert. Am Heck flattert die Trikolore, an der Seite prangt in schwarzen Buchstaben der Name: »Siroco«. Vor der Hafeneinfahrt wartet ein kleines Schleppboot, die »Baltigi 10«, auf die »Siroco« und schiebt das schwere Schiff mit seinem autoreifengepolsterten Bug behutsam in das Hafenbecken. »Die ›Siroco‹ gehört zu den mo-dernsten Schiffen, die ich gesehen habe«, kommentiert Ibrahim Baltigi begeistert das exakte Anlegemanöver. »Es hat Propeller an der Seite, die es an den Kai schieben. Sie können damit fahren wie mit einem Cadillac oder einem Jaguar, ein herrliches Schiff!«, schwärmt der Fachmann.

Über 14 000 Menschen von Marine evakuiert

Mit den zwei Schiffen »Mistral« und »Siroco« hält die französische Marine seit dem 25. Juli eine Verbindung zum Hafen von Beirut offen. Bisher wurden mit der »Operation Baliste« mehr als 14 000 französische und andere Flüchtlinge aus 49 Ländern aus Libanon evakuiert und über 3000 Tonnen Hilfsgüter in die Häfen von Beirut, Tyros und Nakoura gebracht. Die von Israel errichtete Sperrzone verläuft entlang der gesamten libanesischen Küste und reicht 65 Seemeilen tief ins Mittelmeer. Nur Schiffe, deren Passage von Israel erlaubt wird, dürfen durch einen markierten Korridor in diese Sperrzone fahren. Das Manöver muss akribisch mit Tel Aviv abgesprochen sein. Weil sie sich trotz Waffenruhe in einer Gefahrenzone bewegen, fahren die Schiffe unter dem Begleitschutz von Fregatten, erklärt Olivier Coupry, der Kommandant der »Siroco«. Alle Alarmsysteme sind eingeschaltet. »Wir haben das, was man eine hochwertige Ladung nennt, an Bord. Wenn wir Menschen transportieren oder wenn wir Waren, Lebensmittel nach Beirut bringen, ist das sehr kostbar. Wir müssen also sicher sein, dass wir gut geschützt sind.« Das Schiff ist ein Truppentransporter mit Lazarett und Hubschrauberlandeplatz in einem, inzwischen hat es auch Soldaten in den südlibanesischen Hafen Nakoura gebracht, zum Stützpunkt der UNIFIL-Truppe.

Familienunternehmen seit über 100 Jahren

Ibrahim Baltigi ist stolz auf seine Flotte von drei großen und elf kleineren Schleppbooten, doch seit Beginn der Blockade liegen die Kähne meist ungenutzt am Kai. Baltigi hat den Betrieb vom Vater übernommen und der wiederum von seinem Vater, erzählt er stolz. Der Hafen von Beirut wurde erstmals im Jahr 1500 vor der christlichen Zeitrechnung erwähnt. Während der römischen Herrschaft entwickelte sich Beirut zu einem wichtigen Handels- und Wirtschaftszentrum. Die Baltigis stellen seit 1882 die Lotsen, Beirut gehörte damals zum Osmanischen Reich. Inzwischen regelt ein Gesetz, dass nur die Baltigi-Familie das Recht zum Lotsendienst hat.

Ibrahim Baltigi verbirgt seine Empörung über den Krieg nicht. »Was für ein neuer Mittlerer Osten soll das werden, etwa so wie in Irak?« fragt er bitter. »Es geht um die Vorherrschaft im Mittleren Osten, sie wollen ihn sich einverleiben – dabei haben sie ihn doch schon!«, meint er mit Blick auf Israel »Warum noch Leute töten? Sollen sie doch am Verhandlungstisch kämpfen und reden.«

Von einem Krieg gegen »islamistischen Terror« will er nichts wissen. Seine Heimat Libanon sei ein Mosaik aus Nationen und Religionen. »Nehmen Sie mich zum Beispiel. Ich bin Muslim, meine Frau ist Christin und meine Großmutter war Jüdin. Die meisten Libanesen, sagen wir 75 Prozent, sind muslimisch-christliche Paare. Glauben Sie nie, wenn Ihnen jemand sagt, dass hier Muslime gegen Christen kämpfen, nie! Einen Religionskrieg wird es hier nie geben!« Ob es eines Tages Frieden mit dem Nachbarn Israel geben kann? »Ich hoffe es sehr«, wiederholt er zwei Mal, doch er ist skeptisch. »Der einzige Israeli, der Frieden schließen wollte, ein Premierminister, wurde getötet. Er meinte es ernst und die Israelis selbst haben ihn umgebracht. Ich weiß nicht, wie es weiter geht, ob es einen Waffenstillstand gibt. Ich lebe von einem Tag zum nächsten.« Soldaten und Hafenarbeiter haben derweil die Hilfsgüter von der »Siroco« auf dem Kai gestapelt: Lebensmittel, Trinkwasser, Medikamente, Babynahrung. Während Lastwagen die Güter abtransportieren, bringen Busse Flüchtlinge zum Schiff. Trotz der Waffenruhe würden sich noch immer Hunderte, Franzosen und Libanesen mit französischem Pass, zur Ausreise nach Larnaca auf Zypern melden, sagt Kommandant Olivier Coupry.

»Vielleicht ist es besser zu gehen«

Unter den Flüchtlingen ist Rabia Jabar (25), der in einer Fachhochschule in Beirut Elektronische Ingenieurwissenschaften unterrichtet. Unruhig wandern seine Augen hinter den Brillengläsern hin und her. Die Tasche mit seinem Computer drückt er fest an sich. Er verlasse seine Heimat nicht gern, sagt der junge Mann, aber es habe sich ja nicht wirklich etwas geändert. »Die Lage ist doch genauso, wie es war, als der Krieg begann«, sagt er. »Wenn die UNO wirklich Soldaten nach Libanon schickt und der Flughafen wieder öffnet, kehre ich sofort zurück, der Flug von Larnaca nach Beirut dauert nur 30 Minuten.« Weil er mütterlicherseits die französische Staatsangehörigkeit hat, konnte er sich in die Evakuierungsliste an der französischen Botschaft in Beirut einschreiben. Seine Brüder wollten Libanon nicht verlassen, erzählt er. »Ich bin noch unverheiratet, vielleicht ist es besser zu gehen, ich kann auch im Ausland heiraten.« Rabia Jabar ist so sehr über die Zukunft verunsichert, dass er seine Braut verlassen und seine Heirat abgesagt hat. »Ich musste einfach gehen. Sie kann ja nachkommen, falls der Krieg wieder beginnt. Israel kann jederzeit wieder zuschlagen.«

* As: Neues Deutschland, 6. September 2006


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