Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Libanonkrieg fordert immer mehr zivile Opfer

Dennoch tut sich die Europäische Union schwer eine kritische Haltung einzunehmen

Je länger der israelische Krieg im Libanon dauert, desto mehr wird gestorben - auf beiden Seiten - und desto stärker wird der Hass in der arabischen Welt auf Israel. Schlechte Aussichten für einen dauerhaften Frieden. In der Europäischen Union herrscht große Zurückhaltung sowohl was eine offene Unterstützung, als auch was eine eindeutige Kritik der israelischen Position betrifft. Die finnische EU-Präsidentschaft hat es offenbar schwer, sich mit ihrer humanitären Position im Rat durchzusetzen - obwohl das Kriegsgeschehen immer neue Verletzungen der Genfer Konventionen an den Tag bringt.
Die beiden folgenden Artikel berichten von den Schwierigkeiten der EU sich zu positionieren, und vom täglichen Sterben von Frauen und Kindern in Libanon.



Falsches Nahost-Spiel

Kritik aus Helsinki

Von Olaf Standke *

Der finnische Außenminister Erkki Tuomioja hat jetzt die fortgesetzte israelische Offensive in Südlibanon als unannehmbar kritisiert. Doch der EU-Ratspräsident weiß auch, dass er seine Amtskollegen in diesem Konflikt nur schwer hinter sich scharen kann. Vor zehn Tagen scheiterte er bei dem Versuch, die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand zur gemeinsamen EU-Position zu machen. So haben die 25 Mitgliedstaaten die Konfliktparteien als Kompromiss am Ende praktisch zu einer schrittweisen Waffenruhe aufgerufen. Auch Berlin verweigerte sich.

Tuomioja machte in dieser Woche dann auch aus seinem Herzen keine Mördergrube. In einem Beitrag für die in Helsinki erscheinende Zeitung »Hufvudstadsbladet« prangerte er die »falsche Transparenz« bei Entscheidungen der Union zum Nahost-Konflikt sowie generell ein »intrigantes Spiel« in außenpolitischen Fragen an. Schließlich sei bekannt, dass sämtliche EU-Dokumente in Sachen Nahost unmittelbar nach ihrer Austeilung an die Mitgliedstaaten in Tel Aviv und vermutlich auch in Washington sowie Moskau bekannt seien. Da brauche es nicht viel Fantasie, um zu sehen, dass so etwas das außenpolitische Handlungsvermögen der EU negativ beeinflusst. Zudem ermuntere dieser Zustand die Mitgliedstaaten zum Handeln außerhalb der formellen Verhandlungs- und Entscheidungsmechanismen. Breite Zustimmung dürfte Tuomioja allerdings finden, wenn es um die ins Spiel gebrachte multilaterale Friedenstruppe geht. Die Vorstellung, dass sie in den Südlibanon gehen könne, »solange noch gekämpft wird, und die israelische Armee einfach ablöst, ist weder realistisch noch akzeptabel«. Die Aufgabe einer internationalen Truppe müsse es sein, Beirut dabei zu helfen, volle Souveränität zu erlangen – und notfalls dabei auch die schiitische Hisbollah-Miliz zu entwaffnen.

Vorerst konzentriert sich die Europäische Union auf humanitäre Hilfe für das mehr und mehr kriegszerstörte Land. Rund 100 Millionen Euro soll sie betragen, wobei diese Summe die Unterstützung der EU-Kommission und der 25 Staaten umfasst. Die Brüsseler Zentrale hat bereits 31 Millionen Euro fest zugesagt, unter anderem für Unterbringung, Nahrungsmittel oder Wasserversorgung. Weitere 30 Millionen Euro für humanitäre Projekte sind vorgesehen. Die Mitgliedstaaten kommen zusammen auf rund 44 Millionen Euro, die entweder fest zugesagt oder in Aussicht gestellt sind. Deutschland gibt für Feuer-Bekämpfung, Decken und Medikamente nach Brüsseler Angaben rund vier Millionen Euro.

Hilfsorganisationen klagen derweil über die geringe Spendenbereitschaft. UNICEF-Sprecher Rudi Tarneden sieht in der Angst, einseitig Partei zu ergreifen, einen wichtigen Grund für die Zurückhaltung.

* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2006


"Sie töten absichtlich Kinder und Frauen"

Israels Krieg verfestigt bei den Libanesen Feindschaft und Hass gegen den jüdischen Staat

Von Karin Leukefeld, Beirut **


Es ist früher Morgen in Beirut. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als der erste schwere Bombeneinschlag die Menschen aus dem Schlaf reißt. Erst eine Stunde später, um 5.50 Uhr, stoppt der Angriff.

Im 5-Minuten-Takt fallen die israelischen Bomben wieder auf die südlichen Vororte der Stadt. »Dache« (außerhalb) nennen die Beirutis die Gegend der dicht besiedelten Neubaustädte, in denen kaum noch ein Stein auf dem anderen steht. »Sie wollen die unterirdischen Tunnelanlagen zerstören«, meint Walit Buchairi von Smith's Info Village, einem Internetcafé. Am Tag zuvor waren Flugblätter über drei Stadtteilen von »Dache« abgeworfen worden. Der Absender »Staat Israel« forderte die Einwohner auf, das Weite zu suchen. Man werde die Stellungen der Hisbollah in ihren Wohnvierteln angreifen. Hisbollah-Chef Scheich Hassan Nasrallah spiele mit dem Feuer, wenn er Israel angreife, schon jetzt habe er mit seinem Krieg das Land verwüstet.

In Beiruts südlichen Vorstädten wohnen vor allem die Armen, meist Schiiten aus Südlibanon. Doch auch palästinensische Flüchtlinge leben hier. Eines der bekanntesten Flüchtlingslager, Burj al-Barajneh, wurde bereits 1948 gebaut. Heute leben dort 18 000 Menschen. »Wir wissen nicht, wie viele Einwohner aus Burj geflohen sind«, sagt Leila El-Ali, die Leiterin der Hilfsorganisation Najdeh, die seit Jahren die Palästinenser in Libanon unterstützt. Gerade hatte Najdeh ein Hilfsprogramm für die neu hinzugekommenen libanesischen Kriegsflüchtlinge begonnen.

Die Angriffe der israelischen Armee sollen die Libanesen einschüchtern, sagt Abdo Saad, der in Beirut ein Forschungs- und Informationszentrum leitet. »Sie töten absichtlich so viele Kinder und Frauen, um die Menschen davon abzuhalten, weiterhin die Hisbollah zu unterstützen, das ist blanker Terror.« Abdo Saad analysiert seit Jahren die Politik Israels und die Entwicklung im Nahen Osten. »Dieser Krieg ist der Anfang vom Ende Israels«, meint er und zitiert einen Satz von Scheich Nasrallah, den dieser am Abend zuvor in seiner Fernsehansprache sagte: »Israel ist ein Staat, der von der Armee regiert wird, nicht ein Staat, der die Armee regiert.« Die Politik Israels habe völlig versagt, betont Saad. Man habe den Menschen, die sich in aller Welt verfolgt gefühlt hätten, in Israel einen »sicheren und wohlhabenden Staat« versprochen. Nun aber lebten die Menschen in Bunkern, eine Stadt sei sogar vollkommen evakuiert worden. Die israelische Regierung könne ihren Bürgern keine Sicherheit garantieren, darum habe Israel diesen Krieg schon verloren. »... selbst wenn sie bis Beirut marschieren«, so Abdo Saad.

Wären die Israelis ihren arabischen Nachbarn nicht so feindselig gegenübergetreten, hätten sie die besetzten Golanhöhen, die Schebaa-Farmen und palästinensisches Land zurückgegeben, hätten sie alle in Frieden leben können. Weder Hisbollah noch Hamas wären jemals entstanden, sagt Abdo Saad. Der neue Nahe Osten werde völlig anders aussehen, als sich die USA-Regierung das vorstelle. Die Entwicklungen in Irak, die Stärke der Hisbollah machten deutlich, dass die Schiiten in der Region immer stärker würden und – anders als früher – bereit seien zu kämpfen. Und sie erhielten Unterstützung von den Sunniten. »Die innermuslimischen Widersprüche treten zurück, denn es geht gegen Israel und die USA. Wenn ich heute unter den Muslimen eine Umfrage machen würde, ob der Staat Israel bleiben solle, wenn sie die Macht hätten, das zu entscheiden, dann würden 90 Prozent mit Nein stimmen«, ist Abdo Saad überzeugt.

** Aus: Neues Deutschland, 12. August 2006


Zurück zur Libanon-Seite

Zur Israel-Seite

Zurück zur Homepage