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Das Gesicht des Krieges: Die zivile Infrastruktur im Libanon wird systematisch zerstört

Die Lage in dem ungleichen Kampf eskaliert - Immer mehr Menschen auf der Flucht

Von Karin Leukefeld

Weiße Asche bedeckt die Straße. Am Rand liegt ein bizarres Gewirr aus verbranntem Blech, ein Reifen ragt in die Luft, auf dem Boden liegen verkohlte Leichen. Am anderen Straßenrand liegt ein Kleinkind, wie eine weggeworfene Puppe. Eine blaue Hose, ein weißes T-Shirt, das Gesicht im Sand, die schwarzen Locken verstrubbelt, ein Bein angezogen, die Hände nicht zu sehen (s. ap-Foto anbei). Das Kind ist tot, getroffen von der Wucht einer israelischen Rakete, die zielgenau den Autokonvoi zerstörte, mit dem libanesische Zivilisten ihr Dorf Marwaheen am Samstag verlassen wollten. Nur wenige Stunden zuvor waren über ihrem Dorf Flugblätter abgeworfen worden, in dem sie aufgefordert wurden, ihre Häuser zu verlassen, das israelische Militär werde angreifen, hieß es darin.. Die Menschen packten das Notwendigste in aller Eile und fuhren los. Zunächst suchten sie Hilfe bei einem Posten der UN-Schutztruppen an der libanesisch-israelischen Grenze. Doch die dort stationierten Soldaten winkten ab. Schon einmal hatten libanesische Zivilisten bei einem UN-Posten Schutz gesucht, auch damals vergeblich. Am 19. April 1996 wurden mehr als 100 Flüchtlinge auf dem UN-Posten Qana durch einen israelischen Luftangriff getötet. Der international geschützte Status der UN hatte den Menschen nicht geholfen.

Am vergangenen Samstag (15.7.2006) fuhren die Familien aus Marwaheen weiter entlang des Grenzzauns zwischen Libanon und Israel in Richtung Küste, wo sie hofften, Zuflucht zu finden. Die Fahrt war kurz, nur einen knappen Kilometer von ihrem Dorf entfernt, wurden die Fahrzeuge zerbombt, 27 Menschen starben. Schon am Tag zuvor hatten zwei Familien aus dem gleichen Dorf versucht, mit einem Kleinbus zu fliehen, nachdem sie durch israelische Lautsprecher dazu aufgefordert worden waren. Alle 20 Personen, darunter 15 Kinder starben.

Den tödlichen Luftangriffen im Südlibanon fielen auch zwei Kuwaitis und ihre asiatische Haushaltshilfe zum Opfer. Auch eine deutsche Familie libanesischer Herkunft, wurde in ihrem Heimatdorf Schoher, wo sie Urlaub machten, bei einem israelischen Raketenangriff in ihrem Haus getötet.

Die Überlebenden der Angriffe sind schwer verletzt und traumatisiert. So ein namenloses, weinendes Kind, dessen verbranntes Gesicht unter einem dicken Verband verschwunden ist und das in Filmbeiträgen zu sehen war. Am Sonntag meldeten die Nachrichtenagenturen mehr als 100 Tote und rund 300 Verletzte im Libanon.

Straßen, Brücken, Wohnhäuser, Tankstellen, Elektrizitätswerke, mindestens ein privates Krankenhaus, Hafenanlagen und sogar ein Leuchtturm – die zivile Infrastruktur im Libanon wird systematisch zerstört. Verteidigen kann das Land sich nicht, Israel hat bereits Stützpunkte und Radarstellungen der libanesischen Armee entlang der syrischen Grenze und an der Küste zerstört. Nicht zuletzt dank millionenschwerer, jahrelanger Waffenhilfe auch aus Deutschland ist Israel heute die viertstärkste Armee der Welt, dagegen ist die libanesische Armee völlig machtlos. Allein die Hisbollah im Süden des Landes feuert aus ihrem Raketenarsenal auf israelische Städte. Auch hier steigt die Opferzahl. Die Lage in dem ungleichen Kampf eskaliert.

Nach Agenturangaben haben seit Beginn der Angriffe am vergangenen Mittwoch mindestens 17.000 Menschen den Libanon in Richtung Syrien auf dem Landweg verlassen. Die israelische Luftwaffe zerstörte inzwischen auch Teile der Autobahn Beirut – Damaskus. „Wir haben es geschafft über Nebenstraßen bis zur Grenze zu kommen“, sagte Mohammad Mahdi, Einwohner der südlibanesischen Stadt Nabatiyah. Doch es sind vor allem ausländische Touristen und Geschäftsleute aus europäischen Staaten, aus der arabischen Welt, dem Ostblock und den USA, die mit Hilfe ihrer Botschaften evakuiert werden.

Die Luftangriffe konzentrieren sich neben dem Süden des Landes auf die südlichen Stadtviertel von Beirut, wo vor allem Schiiten aus dem Südlibanon leben. Die Hisbollah hat hier ihre Parteizentrale, auch der Hisbollah nahe stehende Fernsehsender Al Manar sendet aus dem dicht besiedelten Gebiet. Beide Einrichtungen wurden von der israelischen Luftwaffe mehrfach bombardiert, die Parteizentrale soll zerstört worden sein. Al Manar sendet weiterhin.

Nicht alle Bewohner in Südbeirut unterstützen die Militäroperation von Hisbollah gegen die israelische Armee im Grenzgebiet, bei der vor einer Woche zwei israelische Soldaten gefangen genommen und 8 weitere getötet worden waren. „Aber auf keinen Fall berechtigt es Israel dazu, so eine Zerstörung anzurichten und einfach Zivilisten zu töten“, sagte ein Anwohner des Viertels, der seinen Namen nicht nennen mochte, einem AFP-Korrespondenten. Der Familienvater Mohammed Haidar berichtete, seine fünfköpfige Familie habe 15 Nachbarn in ihrer Wohnung aufgenommen, darunter auch Kinder, da seine Wohnung im ersten Stock sicherer sei. „Jedes Mal wenn die Bomben einschlugen, schrieen und weinten die Kinder“, sagte er. „Als die Angriffe heute Morgen aufhörten, gingen die Nachbarn nach Hause und die Kinder schliefen vor Erschöpfung ein.“ Eine andere Familie setzte sich mit ihren drei Mädchen ins Auto und fuhr ins Nachbarviertel Hadath, wo vor allem Christen leben. „Wir hofften, dass die Israelis dort nicht angreifen und so haben wir dort geparkt und gewartet, bis die Angriffe vorbei waren“, erzählt Hussein Ali, der Familienvater. Hunderte Familien haben ihre Wohnungen in Südbeirut verlassen, einige haben in Schulen Zuflucht gefunden. Die sanitären Einrichtungen aber und Versorgungsmöglichkeiten sind sehr schlecht. „Es gibt nicht genügend Decken und Medikamente“, meinte Ghassan Makarem, der freiwillig den Menschen hilft. Die Lage sei furchtbar.




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