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Die Fakten respektieren

Verlierer des kurzen, aber heftigen Machtkampfes in Libanon ist die Regierung von Fuad Siniora. Ignorieren der Kräfteverhältnisse kann nur zu einem neuen Bürgerkrieg führen

Von Karin Leukefeld *

Der Machtkampf in Beirut war kurz: Die Hisbollah – unterstützt von ihren Bündnispartnern in der Opposition – hat ihre Stärke gezeigt, das Regierungslager mußte nachgeben, und der libanesischen Armee ist es gelungen, als Schiedsrichter von beiden Seiten anerkannt zu werden. Alle Seiten riefen sich gegenseitig zum Dialog auf und wiesen ihre Kämpfer an, die Autorität der Armee anzuerkennen. Die Armeeführung erklärte kurzerhand die Beschlüsse des Siniora-Kabinetts für hinfällig, die das bewaffnete Vorgehen der Opposition ausgelöst hatten. Der Leiter des Sicherheitsdienstes auf dem Flughafen, der von der Regierung wegen seiner Verbindungen zur Hisbollah entlassen worden war, darf seinen Posten behalten. Und um das von der Regierung verbotene private Telekommunika­tionsnetz der Hisbollah soll sich nun das Fernmeldekorps der Armee kümmern.

Der große Verlierer bei diesem Kräftemessen ist Fuad Siniora, der – aus welchem Grund auch immer – der Hisbollah gedroht hatte, einen Standpfeiler ihres militärischen Arsenals zu eliminieren. Aus Sicht eines Staatschefs mag es berechtigt sein, einen »Staat im Staat«, was Hisbollah zweifelsfrei ist, zu demontieren. Nur hat Siniora nicht die Macht dazu, das wurde ihm, seinen politischen Bündnispartnern und ihren ausländischen Geldgebern in nur wenigen Stunden drastisch vor Augen geführt. Heute herrschen in Libanon neue Machtverhältnisse, die den in- und ausländischen Akteuren neue Entscheidungen abverlangen.

Das Vorgehen der Hisbollah war keine Machtdemonstration im Auftrag von Syrien und/oder Iran. Auch wenn die Organisation inzwischen von beiden Staaten genährt und gebraucht wird, ist Hisbollah ein Kind des Libanon. Geboren aus der Unfähigkeit libanesischer Regierungen, das Land und seine Einwohner, besonders im Süden, vor Überfällen und Besatzung zu schützen. Darum bestand und besteht Hisbollah mit Nachdruck auf ihrer militärischen Unabhängigkeit. Nie wieder soll Libanon in die Hände Is­raels fallen oder von anderen ausländischen Mächten übernommen werden, denen wenig am Wohl Libanons, viel aber an der Absicherung der eigenen, geostrategischen Interessen in der Region liegt.

Die libanesische Armeeführung ist klug genug, die Hisbollah zu respektieren und gleichzeitig deren politische Gegner zu schützen. Das ist im nationalen Interesse. Das Vorrücken der schiitischen Milizen in das westliche Beirut, war kein religiös motiviertes Muskelspiel gegenüber Sunniten, als vielmehr ein psychologisches Signal. Die Habenichtse aus dem Süden, die x-Mal Geschlagenen und Ermordeten, die Ausgebeuteten und Unterdrückten sind dort angekommen, wo sie nach Meinung der (sunnitischen und christlichen) Bürger von Beirut gar nichts zu suchen haben: in Beirut. Die Schiiten sind »Beirutis« wie sie Libanesen sind. Sie haben ein Recht auf politische Gleichberechtigung, die über die Quote hinausgeht, die ihnen vor mehr als 60 Jahren einmal zugestanden wurde: die dritte Stelle einzunehmen hinter den Christen und hinter den Sunniten.

Wie klug Hisbollah mit ihrem raschen Sieg umgeht, zeigt ihr am Samstag angekündigter rascher Rückzug aus Westbeirut. Wenn sie ihren Erfolg ausbauen will, braucht sie vor allem das Vertrauen der Libanesen, die vor nichts mehr Angst haben, als vor einem neuen Bürgerkrieg. Dennoch, die giftige Saat religiöser Vorbehalte und Abgrenzungen ist gesät. Politische Analysten und Medien sprechen wenig von dem innenpolitischen Kampf im Libanon um Gleichberechtigung, sondern mehr von einem »schiitischen Machtbogen«, der die Macht der Sunniten herausfordere. Damit diese giftige Saat nicht aufgeht wie im zerrütteten Irak, muß das mit Waffen durchgesetzte neue Kräfteverhältnis im Libanon jetzt politisch manifestiert werden.

* Aus: junge Welt, 13. Mai 2008


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