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Des Schweigen des Oberstaatsanwalts

Libanon: Nächste Runde im Mordfall Hariri

Von Jürgen Cain Külbel *

Die libanesische Justiz will die vier Haftbefehle des UN-Tribunals für die Aufklärung des Hariri-Mordes vollstrecken. Laut Generalstaatsanwalt Said Mirsa seien am Freitag die juristischen Schritte dafür nach Übergabe der Papiere eingeleitet worden. Die Hisbollah, die das Tribunal nicht anerkennt, will jedoch keine Verdächtigen aus der Schiiten-Bewegung ausliefern. Niemand könne sie festnehmen, sagte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah am Samstag. Sie hätten »eine ehrenhafte Vergangenheit im Kampf gegen die (israelische) Besatzung«. Zu den »Gesuchten« gehört derweil anderswo offenbar auch ein früherer Ankläger in der Sache.

Die Pariser Justiz ermittelt seit Frühjahr 2008 gegen den bei der Generalstaatsanwaltschaft Berlin in Lohn und Brot stehenden Leitenden Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis. Der 61-jährige Ankläger, 2005 als UNO-Sonderermittler im Mordfall am früheren Ministerpräsidenten Libanons Rafik Hariri miserabel gescheitert, entwindet sich dank Schützenhilfe aus deutscher Politik und Justiz erfolgreich dem gegen ihn in Frankreich anhängigen Strafverfahren.

Der libanesische Ex-General und Ex-Geheimdienstchef Jamil al-Sayyed hatte am 18. März 2008 beim Tribunal de Grande Instance (TGI) in Paris Strafanzeige gegen Mehlis gestellt – wegen Verleumdung und übler Nachrede. Mehlis habe die falsche Anschuldigung in die Welt gesetzt, vier libanesische Generäle, darunter Sayyed, »waren aktiv an dem Attentat auf Rafik Hariri beteiligt«.

Hintergrund ist die auf Mehlis' »ausdrückliches Bitten« hin und seinerzeit im Rahmen seiner UN-Mission stattgefundene Festnahme von Sayyed sowie drei weiteren Generälen. Der Berliner hatte Ende August 2005 die Militärs beschuldigt, Drahtzieher zu sein für das spektakuläre Bombenattentat auf Hariri, bei dem am 14. Februar 2005 in Beirut 22 Menschen zu Tode kamen. Mehlis betonierte sein damaliges »Ermittlungskonstrukt« mittels der nachweislich gekauften »Aussage eines Kronzeugen« sowie der Einlassungen weiterer käuflicher Gestalten. Nachdem das »Zeugenkomplott« und Mehlis' Lügengebäude aufgeflogen waren, mussten die von ihm kreierten »Täter« im April 2009 – vier Jahre saßen sie ohne Anklage und Beweise hinter Gittern – aus der Haft entlassen werden.

Sayyed wirft Mehlis »manipulierte Ermittlungen« vor, und die Untersuchungsrichterin und Vizepräsidentin des TGI, Fabienne Pous, ermittelt nun seit Juni 2008 in einem gegen den Deutschen eingeleiteten Strafverfahren, das in Paris unter den Aktenzeichen Staatsanwaltschaft N° 0816823051 und Untersuchung N° 2259/08/72 geführt wird. Pous' bisherige Bemühungen, den Beschuldigten Mehlis nach Frankreich vorzuladen, um ihn vernehmen zu können, schlugen fehl. Vielmehr scheint sie innerhalb der Bruderschaft von deutscher Politik und Justiz auf Granit zu beißen: Vorladungen, Gerichtsunterlagen, Notifikationen, die Pous seit 2009 in regelmäßiger Folge über die französische Kriminalpolizei und das Außenministerium nach Deutschland mit der Bitte um Veranlassung oder Weiterleitung an OStA Mehlis sandte, entmaterialisieren sich offenbar wie von Geisterhand in den hiesigen Amtsstuben.

Der Untersuchungsrichterin weht ein eisiges Schweigen entgegen: Rechtshilfeersuchen, 2009 und 2010 gestellt, konnten den Berliner Behörden nicht die Spur einer Antwort abnötigen. Und die Weltpolizei Interpol schaffte es erst recht nicht, irgendwelche »deutsche Autoritäten« zu überzeugen, Mehlis zur Vernehmung nach Paris zu schicken; Interpols Bemühungen unter den Aktenzeichen N°094206/PCC//PN und UCCPI 904593 blieben ebenso folgenlos wie ein von der französischen Kriminalpolizei am 21. Januar 2010 nach Berlin gesandter Ermittlungsbericht.

Von Januar 2010 bis April 2011 wurde Mehlis von der EU und auf Empfehlung des deutschen Außenministeriums auf die Philippinen entsandt, um dort ein Justizprogramm zu leiten. Pous hakte auch dort nach, doch trotz Mahnungen gab es wieder keine Reaktion.

Mehlis selbst ließ sich von dem juristischen Trommelfeuer seiner Widersacherin Pous nicht beeindrucken. Ende Mai hieß es lapidar auf der Internet-Seite »Al Kalima Online«, »die Freilassung der vier Generäle … bedeute nicht, dass diese unschuldig seien. Zudem wüsste er nicht, dass es einen Vorgang in Paris gegen ihn gebe«. In Paris ist man der festen Überzeugung, »die deutschen Behörden, allen voran das deutsche Justizsystem, schützen den Mann«. Sayyed sah sich sogar gezwungen, Recherchen in Berlin durchzuführen, um nachzuweisen, dass es Oberstaatsanwalt Mehlis tatsächlich gibt.

Glücklicherweise konnte Jean-Luc Taltavull, Polizeiattaché der französischen Botschaft in Berlin, jüngst die erhellende Nachricht nach Paris senden, Mehlis existiere und sei Leitender Staatsanwalt in Berlin. Sayyeds Anwälte hoffen nun auf eine neue Etappe in der Verfolgung der Verantwortlichen für die vierjährige Haft; die Unterlagen, so die libanesische Tageszeitung »Al-Akhbar«, würden Richterin Pous als Beweis für die Beteiligung von Mehlis gelten. Die Staatsanwaltschaft Berlin und Mehlis selbst wollten zu dem Sachverhalt keine Stellung beziehen.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Juli 2011


Hisbollah kritisiert UN-Tribunal

Hariri-Mord: Libanesische Organisation reagiert auf Anklage gegen vier ihrer Mitglieder

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Mit scharfen Worten hat der Vorsitzende der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, am Samstag auf die Anklageschrift des UN-Sondertribunals (STL) gegen vier Mitglieder seiner Organisation reagiert. Die vier Männer seien »zu Unrecht beschuldigt«, den früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri ermordet zu haben, betonte Nasrallah in Beirut. Das Tribunal werde nicht in der Lage sein, sie festzunehmen, »nicht in einem Jahr, zwei Jahren, nicht in 60 oder 600 Jahren.« Wenn es sie verurteilen wolle, werde das in deren Abwesenheit geschehen müssen.

Nasrallah bezeichnete das Tribunal als unglaubwürdig. Es sei von westlichen Geheimdiensten durchsetzt und arbeite im Interesse Israels und der USA. Einige der Mitarbeiter und den Vorsitzenden Richter Antonio Cassese griff Nasrallah persönlich an. Cassese sei ein »großer Freund« Israels und habe Vorurteile gegenüber der Hisbollah, die er für eine »Terrororganisation« halte. Ein australischer Mitarbeiter habe Kontakte zum US-Geheimdienst, ein britischer Ermittler sei Experte im Kampf gegen islamischen Terrorismus und auch ein früherer US-Offizier gehöre zum Team, so Nasrallah. Robert Baer, der als Berater von Chefermittler Daniel Bellemare fungiert habe, sei zudem CIA-Agent. Den Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes Gerhard Lehmann, zeitweise stellvertretender Ermittler des Tribunals, bezichtigte Nasrallah der Korruption. Lehmann habe gegen Geldzahlungen interne Dokumente angeboten und ausgehändigt. Zum Beweis zeigte Nasrallah einen kurzen Film, der mit einem Handy offenbar verdeckt aufgenommen worden war. Darauf ist zu sehen, wie Lehman Geld annimmt, zählt und Dokumente aushändigt.

Nasrallah wies außerdem darauf hin, 99 Computer, die im Zusammenhang mit dem Hariri-Mord Gegenstand von STL-Ermittlungen geworden seien, seien nicht über den libanesischen Flughafen oder Hafen nach Den Haag transportiert worden, sondern hätten zunächst in Israel Station gemacht. Hisbollah liege ein entsprechendes Dokument vor. Man frage sich, warum das geschehen sei, so der Vorsitzende. Das Tribunal habe nie in Richtung einer möglichen israelischen Täterschaft in dem Mordfall ermittelt, obwohl Hisbollah eine Reihe von Hinweisen vorgelegt habe.

Das Tribunal habe einseitig gearbeitet, die Ermittlungen seien nie geheim und unabhängig gewesen, wie es Statuten für UN-Tribunale vorsähen, sagte Nasrallah. Wiederholt seien gezielt Ermittlungsergebnisse an die Presse weitergegeben worden. Ziel der fortgesetzten Indiskretionen sei die Verunglimpfung des »libanesischen Widerstandes« (Hisbollah) gewesen. Den Zeitpunkt, an dem die Anklageschrift dem Libanon übermittelt worden sei, habe das STL mit Absicht gewählt, um der neuen libanesischen Regierung unter Ministerpräsident Najib Mikati zu schaden. Zudem solle ein Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten im Land befeuert werden, sagte Nasrallah. Libanon werde nicht in diese Falle tappen. Der einzige Verlierer der unprofessionellen Arbeit des UN-Sondertribunals sei Rafik Hariri.

Zeitgleich mit der Übergabe der Anklageschrift stellte der oberste »Terroristenjäger« der USA, John Brennan, an der Johns Hopkins Universität Baltimore die neue nationale Antiterrorstrategie vor. Die »Terrororganisationen« Hisbollah und Hamas bedrohten weiterhin Israel und die US-Interessen im Mittleren Osten, betonte Brennan. Iran und Syrien »bleiben die führenden Staaten, die den Terrorismus unterstützen«. Die USA werde ihr »volles Arsenal außenpolitischer Maßnahmen« einsetzen, um »diese Staaten und Terrororganisationen davon abzuhalten, unsere nationale Sicherheit zu gefährden«. Eine dieser Maßnahmen ist nach Auskunft von US-Außenministerin Hillary Clinton die Finanzierung und Unterstützung ausgewählter syrischer Oppositioneller bei den aktuellen Auseinandersetzungen im Land.

** Aus: junge Welt, 4. Juli 2011


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