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Druck aus dem Westen

Anklageschrift des UN-Sondertribunals im Fall Hariri setzt Libanons neue Regierung unter Zugzwang

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Das UN-Sondertribunal zur Aufklärung des Mordes am früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri hat am Donnerstag (30. Juni) die Anklageschrift gegen vier Verdächtige an den Libanon übergeben. Damit hat die vielzitierte internationale Gemeinschaft just zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Regierungsprogramms der neuen libanesischen Regierung dem Kabinett von Ministerpräsident Najib Mikati den Kampf angesagt.

Seit Monaten waren aus dem UN-Sondertribunal Meldungen durchgesickert, wonach Mitglieder der libanesischen Hisbollah der Tat vom Februar 2005 angeklagt werden sollen. Unmittelbar, nachdem ein »versiegelter Umschlag« mit den Namen der Verdächtigen der libanesischen Justiz übermittelt worden war, zirkulierten in libanesischen Medien die Namen der Verdächtigen. 30 Tage hat die libanesische Regierung Zeit, diese dingfest zu machen und dem Sondertribunal zu überstellen. Es gäbe eine Reihe wichtiger Entscheidungen für die neue libanesische Regierung zu treffen. Nun aber wird wieder einmal der ausländische Druck, der vor allem von den USA und Frankreich sowie von Israel mit Hilfe von UN-Resolutionen ausgeübt wird, die Zukunft des Libanon bestimmen.

Erst am Mittwoch (29. Juni) hatte sich die US-Botschafterin im Libanon, Maura Connelly, darüber beschwert, daß Hisbollahführer Hassan Nasrallah vor wenigen Tagen in einer öffentlichen Ansprache die US-Botschaft als »Spionagenest« bezeichnet hatte. Adressat ihrer Beschwerde war Michel Aoun, Führer der Freien Patriotischen Bewegung und enger Bündnispartner der Hisbollah. Die neue Regierung werde man daran messen, wie diese »ihre internationalen Verpflichtungen erfüllt«, so Frau Connelly. Ausdrücklich nannte sie »die UN-Sicherheitsratsresolution 1701 und das Sondertribunal für den Libanon.«

Schon Mitte Juni hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die neue Regierung gedrängt, die UN-Resolution 1701 einzuhalten. Danach soll die von den Vereinten Nationen festgelegte Waffenstillstandsgrenze zwischen Israel und Libanon »von beiden Seiten« respektiert werden. Die Resolution 1559 fordert außerdem die Entwaffnung der Hisbollah.

Die Reaktionen auf die Anklage des UN-Sondertribunals fielen unterschiedlich aus. Der Milliardär Saad Hariri, Sohn des Ermordeten, betonte in Paris, er wolle »keine Rache«, sondern vertraue auf Gott. Sowohl der Drusenführer und Vorsitzende der Progressiv-Sozialistischen Partei, Walid Dschumblatt, als auch der Führer der Libanesischen Streitkräfte, Samir Geagea, riefen dazu auf, die Anklage gegen Einzelpersonen »nicht mit einer politischen Partei, einer religiösen Gruppe oder einem Staat in Verbindung« zu bringen. Dschumblatt sprach von einem »gefährlichen Scheidepunkt«, an dem Libanon sich befinde, der »zivile Friede« stehe auf dem Spiel. »Gerechtigkeit darf nicht auf Kosten der Stabilität des Landes« erreicht werden, so Dschumblatt.

Das Programm der neuen Regierung soll in der kommenden Woche vorgestellt werden. Streit über den Umgang mit dem UN-Sondertribunal hatte im Januar zum Bruch der Regierung der nationalen Einheit des damaligen Ministerpräsidenten Saad Hariri geführt.

* Aus: junge Welt, 2. Juli 2011


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