Im Grenzland
Manchen Bewohnern Südlibanons ist die Hisbollah willkommene Schutzmacht gegen Israel
Von Karin Leukefeld, Sidon *
Beim Versuch, die Grenze zwischen Syrien und Libanon zu überqueren, sind am Sonnabend neun Syrer getötet worden. Während die libanesische Agentur NNA von einem syrischen Luftangriff sprach, meldete das syrische Fernsehen, Regierungstruppen hätten aus Libanon kommende Eindringlinge daran gehindert, die Grenze zu passieren. Tatsache ist: Der Krieg in Syrien überschreitet längst die Grenzen des Landes, das selbst noch unter Kriegsfolgen leidet.
»Gespräche über Politik, soziale Fragen und Sicherheit ….«, liest der Beamte der Allgemeinen Sicherheitsbehörden für Südlibanon in Sidon laut aus einem Brief des libanesischen Verteidigungsministeriums vor. Der Brief ist meine Genehmigung, die ich als Journalistin brauche, um in Südlibanon entlang der Grenze zu Israel recherchieren zu können.
In Sidon legt man die Genehmigung den für den Süden zuständigen militärischen Sicherheitskräften vor. Dann erhält man eine Nummer, die freie Passage an Kontrollpunkten und gegenüber Sicherheitskräften garantiert. Der Beamte runzelt die Stirn. »Sicherheit? Sie wollen mit der Bevölkerung über die Sicherheitslage reden? Was wollen Sie wissen?« Es gehe um die Situation sieben Jahre nach dem Krieg, erkläre ich mein Anliegen. »Wie hat sich das Leben verändert, welche Folgen hat der Krieg gehabt, wie sehen sie die Zukunft.« Das Verteidigungsministerium hatte diese Fragen unter dem Begriff »Sicherheit« zusammengefasst, was sich jetzt als Hindernis erweist. Man müsse die Genehmigung vom Chef der südlibanesischen Sicherheitsbehörden bestätigen lassen, und das könne dauern: »Rufen Sie bitte am Mittag an, dann können wir mehr sagen.« Einige Stunden später erhalte ich die Nummer, die mir freie Passage garantiert. Anders als sonst gilt sie nicht nur für einen, sondern für drei Tage.
In Qana starben im Krieg 2006 bei einem Angriff der israelischen Luftwaffe 55 Zivilisten, darunter 27 Kinder. Die Begründung der israelischen Armee war, dass die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah Waffen dort stationiert und die Bevölkerung als »menschliche Schutzschilde« missbraucht habe. Zehn Jahre zuvor, am 18. April 1996, hatte es ebenfalls ein Massaker der israelischen Streitkräfte in Qana gegeben. Bei der »Operation Grapes of Wrath« (Trauben des Zorns) waren 800 Zivilisten auf das Gelände der UN-Interimstruppe in Libanon (UNIFIL) geflohen, um sich vor den Angriffen der israelischen Streitkräfte in Sicherheit zu bringen. Das Völkerrecht verbietet Angriffe auf Zivilisten und Einrichtungen der UNO. Doch die Menschen täuschten sich. Der Reporter Robert Fisk beschrieb im »Independent« (19.4.1996) das Massaker: »Frauen und Kinder und Männer lagen haufenweise übereinander, ihre Hände oder Arme oder Beine fehlten, sie waren geköpft oder aufgeschlitzt. Es waren gut über einhundert Tote, ein Baby lag da ohne Kopf.« Israel und die USA sprachen von einem Versehen, eine Untersuchung blieb ohne Konsequenzen. Weder für dieses noch für das Massaker 2006 musste Israel sich gegenüber den Familien der Opfer verantworten.
Sieben Jahre später sei Qana ruhig, erzählt Khodr Nasrallah, ein Schlüsselmacher. Hisbollah werde nie wieder zulassen, dass Israel die Menschen massakriert. Die Hisbollah sei stark wie eine Armee und wenn er könnte, würde er in ihren Reihen kämpfen, auch in Syrien. Doch Khodr Nasrallah ist blind. Als Kind lernte er die Braille-Schrift in einer christlichen Schule in Beirut. Später wurde er zum Schlüsselmacher ausgebildet.
Lange bevor die Hisbollah in Syrien eingegriffen habe, seien Kämpfer von Al Qaida dort eingefallen. Er habe diese Sorte Leute kennengelernt, die man »Takfiri« nenne, Muslime, die andere Muslime zu Ungläubigen erklärten. »Sie akzeptieren nicht, wenn Christen zu Gott in einer Kirche beten. Und sie akzeptieren nicht, wenn Muslime im Schrein von Saida Zeynab in Syrien beten«, erklärt Khodr. Besser die Hisbollah verliere tausend Kämpfer in Syrien als dass diese Gruppen nach Libanon kämen, um Christen und Muslime abzuschlachten.
Die Hisbollah auf die EU-»Terrorliste« zu setzen sei nur ein Gefallen für die USA und Israel, sagt er. »Europa wird das bald leid tun und sie werden sich bei Hisbollah entschuldigen.« Die Organisation in einen militärischen und einen politischen Arm unterteilen zu wollen sei Unsinn, sagt er. »Hisbollah ist wie ich, Khodr. Ich habe einen rechten und einen linken Arm, aber beide Arme gehören zu mir, zu Khodr.«
Der kleine Ort Debel lag 2006 unter schwerem Beschuss der israelischen Streitkräfte. Die Grenze zu Palästina sei keine zehn Kilometer entfernt, sagt Sami Hanna, der wie Vater, Großvater und Urgroßvater Tabak anpflanzt. Vom Haus der Hanna-Familie kann man die israelischen Wachtürme auf den südwestlichen Hügeln sehen. Seine Frau Jounes hatte kurz vor dem Krieg mit anderen Frauen eine kleine Produktionsanlage für ökologische Säfte und Marmeladen, für Kräuter und Olivenöl eröffnet. Die Frauenkooperative Debel gehörte zu einem Netzwerk in Südlibanon, das die Produkte der Kooperativen in Beirut vermarktet. Hilfe hatten die Frauen damals von einer italienischen Organisation erhalten, vermittelt hatten das italienische UNIFIL-Soldaten. Drei junge Frauen aus Debel hätten italienische UNIFIL-Soldaten geheiratet, erzählt das Ehepaar. Ihre Tochter sei eine davon.
Während des Krieges 2006 hatten israelische Soldaten die Produktionsanlage der Frauenkooperative verwüstet. Parolen hatten sie an die Wände geschmiert, das Gebäude mit Exkrementen verschmutzt. Nach dem Krieg halfen die Italiener wiederum bei der Sanierung, fünf Jahre lang lief das Geschäft gut. Dann wollte der Besitzer das Gebäude zurück haben, der Mietvertrag endete. »Wir wollen jetzt unsere eigene Produktionsanlage bauen«, erzählt Frau Hanna. Das Grundstück sei da, doch es fehle Geld für den Bau. Vielleicht würden die Italiener noch einmal helfen. »Oder die Deutschen, wenn Sie darüber schreiben«, fügt ihr Mann lachend hinzu.
Dann wird Sami Hanna ernst und zeigt auf einen Bilderrahmen, in dem das Schwarz-Weiß-Foto eines Soldaten und das Foto einer Frau mittleren Alters zu sehen sind. Der Soldat sei sein Schwager, sagt Hanna. Er wurde 1978 von den Israelis getötet, als sie den Süden bis zum Litani-Fluss besetzten. Die Frau sei seine Schwester. »Sie wurde von der Rakete einer israelischen Drohne 2006 getötet.« Sie hatte versucht, ein Auto zu erreichen, mit dem Leute den Ort verlassen wollten. In zwei Teile sei seine Schwester zerfetzt worden. Vier Tage lang habe er sie nicht beerdigen können, so heftig seien die Angriffe gewesen.
»Willkommen in Bint Jbeil, der Hauptstadt des Widerstands und der Befreiung«, steht auf einem Schild am Eingang des Ortes, der wie kaum ein anderer 2006 von der israelischen Luftwaffe verwüstet wurde. Nichts erinnert mehr an die Trümmerlandschaft von damals, das Zentrum des Ortes und die Außenbezirke sind neu aufgebaut. Finanziell halfen beim Wiederaufbau das Emirat Katar und Iran. Die staatliche iranische Baugesellschaft baute alle zerstörten Brücken und Straßen wieder auf, daran erinnern kleine Tafeln. Die Grenzlage zum »besetzten Palästina«, wie auf Hinweisschildern steht, verhindert allerdings einen wirtschaftlichen Aufschwung der südlichen Region.
Oberhalb von Bint Jbeil liegt der Ort Maroun ar-Ras auf einem Hügel. Hier hat die iranische Baugesellschaft einen Familienpark gebaut. Kinder toben auf einem Spielplatz und begeben sich auf eine imaginäre Reise in den Fantasiewagen, die im Schatten bunter Sonnendächer aneinandergereiht sind: eine Lokomotive, ein Blütenkelch, ein Piratenschiff, ein Pilz, eine Ritterburg. Wirft man eine Münze hinein, schaukeln sie hin und her. Dutzende Terrassen sind mit Blättern überdacht und bieten Familien Rastplätze mit Grill und Wasserbecken. Ein Fußballplatz, Klettertürme zum Vergnügen oder für militärische Übungen sind aufgebaut. An der höchsten Stelle des Parks ragt die goldene Kuppel einer kleinen Moschee hervor.
Was für libanesische Familien ein Vergnügen abends und an Feiertagen ist, gleicht für die israelischen Siedler einem ständigen Mahnmal. Knapp einen Kilometer entfernt leben sie auf dem 1948 genommenen Land. Nicht in friedlicher Nachbarschaft, sondern hinter dem Todesstreifen der Grenze, im Schutz von Lauschposten und Raketen der israelischen Armee auf umliegenden Hügeln.
* Aus: neues deutschland, Montag, 5. August 2013
Miliz und Partei Gottes
Die libanesische Hisbollah-Bewegung steht in mehreren Staaten bereits seit geraumer Zeit auf der »Terrorliste«, so in Israel, den USA, Großbritannien und den Niederlanden. Die Europäische Union (EU), die lange zögerte, hat nun nachgezogen. Am 22. Juli beschlossen die Außenminister, den militärischen Arm der »Partei Gottes« auf die Terrorliste der Europäischen Union zu setzen. Die EU macht die Hisbollah für einen Anschlag auf einen Bus mit israelischen Touristen in Bulgarien im Juli 2012 verantwortlich, bei dem fünf Israelis und der bulgarische Busfahrer getötet wurden.
Die von Iran unterstützte Schiiten-Miliz kämpft seit Jahrzehnten von Libanon aus gegen Israel. Die Hisbollah ist aber auch an anderen Konflikten beteiligt: Derzeit unterstützt die Miliz im syrischen Bürgerkrieg die Truppen von Staatschef Baschar al-Assad gegen die Rebellen. Die britische Regierung begründete die Aufnahme des bewaffneten Arms der Hisbollah auf ihre Terrorliste im Jahr 2008 mit deren Hilfe für schiitische Milizen in Irak und »palästinensische Terrorgruppen wie den Islamischen Dschihad« in den von Israel besetzten Palästinensergebieten.
Der militärische Arm der Hisbollah wird für zahlreiche Bombenanschläge und Geiselnahmen während des libanesischen Bürgerkriegs 1975 bis 1990 verantwortlich gemacht. Als sich Israel nach gut zwei Jahrzehnten Besatzung im Jahr 2000 aus Südlibanon zurückzog, verbuchte die Hisbollah dies als Sieg. Auch aus dem Libanon-Krieg 2006 ging die Schiitenmiliz gestärkt hervor. Schließlich hatte sie der israelischen Armee, der schlagkräftigsten des Nahen Ostens, die Stirn geboten.
Schon Jahre vorher etablierte sich die von Hassan Nasrallah angeführte Hisbollah als politische Partei. Seit 1992 ist sie im libanesischen Parlament vertreten, derzeit ist sie auch an der Regierung beteiligt. Außerdem spielt sie eine wichtige soziale Rolle, die ihr Rückhalt im Volk verschafft.
Die Aufnahme auf die Terrorliste erlaubt theoretisch, die Hisbollah von Geldflüssen aus der EU abzuschneiden. Insgesamt ist die Maßnahme jedoch mehr symbolischer Natur. Die Hisbollah wird sie überleben. Wie das US-Strategieinstitut Stratfor in einem Bericht im Jahr 2010 darlegte, hat die Hisbollah ihre robustesten Auslandsstrukturen in Lateinamerika. Libanesische Emigranten haben dort starke Positionen im Drogen- und Waffenhandel ebenso wie in der legalen Wirtschaft.
Terror ist für die Hisbollah ein Mittel zur Durchsetzung von Interessen – ihrer eigenen und der Irans, ihres Patrons, Ausbilders und Waffenlieferanten. Ihre eigenen Interessen liegen in Libanon, wo sie als Sachwalter ihrer schiitischen Klientel die Vorherrschaft anstrebt. Die Gebiete, die sie dort kontrolliert – den Süden mit der Grenze zu Israel, die östliche Bekaa-Ebene, den Süden von Beirut – sind der ohnehin schwachen staatlichen Zentralgewalt entzogen.
nd/Agenturen
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