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Wenig Hoffnung

Im Libanon leben 400000 palästinensische Flüchtlinge in Lagern - marginalisiert, rechtlos und ohne Perspektive

Von Karin Leukefeld *

Als vor knapp einer Woche ein Park mit Spielplatz und ein Gemeindezentrum am Rande des palästinensischen Flüchtlingslagers Nahr Al-Bared im Nordlibanon (Tripoli) feierlich eröffnet wurden, herrschte bei den Beteiligten Freude. Robert Mosrie von der Hilfsorganisation ANERA erklärte: »Nachdem das Lager 2007 so sinnlos zerstört wurde und nach dem Angriff auf den Gazastreifen fragen sich die Palästinenser, ob sie der internationalen Gemeinschaft überhaupt noch trauen können, wenn diese vom Schutz der Menschenrechte und dem Wohlergehen der Palästinenser redet.«

Das eigentliche Lager Nahr Al-Bared gibt es nicht mehr. Bei dreimonatigen Gefechten zwischen der libanesischen Armee und Kämpfern der islamistischen »Fatah Al-Islam« im Frühjahr 2007 war der Lebensmittelpunkt von rund 31000 palästinensischen Flüchtlingen dem Erdboden gleichgemacht worden. Nach Ausbruch der Kämpfe waren die Bewohner geflohen, nur wenige sind seither in provisorische Unterkünfte zurückgekehrt. Zwölf der ursprünglich 15 palästinensischen Flüchtlingslager gibt es heute noch im Libanon, drei wurden während des Bürgerkrieges (1980--1995) völlig zerstört. In den Lagern leben rund 400000 Palästinenser und ihre Nachfahren, die im Zuge der gewaltsamen Staatsgründung 1948 von Israel aus ihrer Heimat vertrieben worden waren. Die überwältigende Mehrheit der Flüchtlinge möchte in ihre Heimat zurückkehren, doch dies wird ihnen ztotz entsprechenden internationalen Rechts von Israel verwehrt.

Die Rechtlosigkeit der Palästinenser im Libanon sei eines der größten Probleme für Sicherheit und Stabilität in der Region, stellte nun die Internationale Krisengruppe (ICG) fest. Die Lage in den Lagern sei katastrophal, so der von 40 Staaten und Institutionen finanzierte Think-Tank. Die Tatenlosigkeit aller libanesischen Regierungen sei dafür mit verantwortlich. »Marginalisiert, ohne politische und wirtschaftliche Rechte, eingesperrt in den Lagern, aller realistischen Perspektiven beraubt, schwer bewaffnet und im Zentrum einer Vielzahl von Unsicherheiten« stelle die Bevölkerung der Flüchtlingslager heute eine »Zeitbombe« dar, so die Schlußfolgerung der ICG. Nicht nur die libanesische Regierung, auch die Nachbarstaaten, die UN, Europa und die USA müßten diesem Problem mehr Aufmerksamkeit widmen. Angesichts vieler innenpolitischer Probleme im Libanon »bevorzugen alle den Status quo, aber gerade so eine Haltung verschärft die Probleme«, erklärte Sahar Atrache, einer der Autoren der Studie. 16 Forderungen hat die ICG aufgelistet, um die Situation zu verbessern. Die libanesische Regierung müsse den Flüchtlingen mehr Rechte einräumen, und die syrische Regierung müsse Waffenlieferungen in die Lager stoppen. Die internationale Gemeinschaft und die Arabische Liga schließlich müßten die UNRWA, das UN-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge, finanziell mehr unterstützen und vor allem den Wiederaufbau von Nahr Al-Bared ernsthaft vorantreiben.

60 Prozent der Bevölkerung in den Lagern sind nach UNRWA-Angaben arbeitslos, die Menschen sind völlig von Nahrungsmittel- und medizinischer Hilfe abhängig. Sari Hanafi, Professor für Soziologie an der Amerikanischen Universität in Beirut, bezeichnet die Lager als »Slums«, die sich im Laufe der Jahre entwickelt hätten. Deren Bewohner hätten keinen »Zugang zum Arbeitsmarkt, keine Möglichkeit, eine Wohnung, ein Haus außerhalb des Lagers zu besitzen. Die steigende Armut und Isolation« raube den Menschen die Hoffnung. 122 Millionen US-Dollar (ca. 100 Millionen Euro) erhielt die libanesische Regierung bei einer internationalen Geberkonferenz in Wien im Juni 2008 für den Wiederaufbau des Lagers Nahr Al-Bared. Modellplanungen versprechen das Neueste an Versorgungseinrichtungen und Wohnkomfort. Den Palästinensern aber fällt der Glaube an einen Wiederaufbau schwer. »Gottes Erbarmen ist besser als alle leeren Versprechen«, sagt Ibtissam Ghneim (45), die mit ihren Kindern und Enkelkindern vor den Kämpfen 2007 floh. Und Hani Mustafa, ein anderer Flüchtling aus Nahr Al-Bared, erklärt bitter: »Es wird keinen Wiederaufbau geben, das ist eine Lüge.«

* Aus: junge Welt, 24. Februar 2009


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