Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Angriffe auf Flüchtlinge

Über eine Million Menschen flüchteten innerhalb des Libanons. Eine Bilanz

Von Raoul Wilsterer *

Während des 33 Tage dauernden Kriegs, mit dem Israel im Juli und August den Libanon überzog, flohen über eine Million Menschen aus ihren Heimatorten. Die libanesische Regierung schätzt die Zahl der Binnenvertriebenen auf etwa eine Million. 100000 Ausländer oder Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit wurden evakuiert. Nach Syrien gelangten weit über 200000 Menschen.

Mehrfach griff die Luftwaffe Israels gezielt Flüchtlingstrecks an, wie nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR am 6. August. An jenem Sonntag schlugen beispielsweise in unmittelbarer Nähe eines UN-Konvois, der Hilfsgüter von UNHCR und anderen Organisationen von Beirut nach Tyrus fuhr, israelische Geschosse ein und töteten mehrere Menschen. Ein Auto etwa 30 Meter hinter dem Konvoi aus 15 Lastwagen wurde getroffen. Die beiden Insassen starben. Bei einem zweiten Angriff auf dem Rückweg kam eine Person in einem unmittelbar vor dem Konvoi fahrenden Pkw ums Leben. Wieviele Flüchtlinge insgesamt sich unter den etwa 1100 toten Zivilisten auf libanesischer Seite befanden, ist nicht bekannt.

In Syrien versorgt das Sozialministerium etwa 67 000 Libanesen in Notunterkünften. Der Syrische Rote Halbmond unterstützt – auch mit Hilfe des ­UNHCR– Flüchtlinge, die bei Gastfamilien Unterkunft gefunden haben. In Libanons Nachbarland wurden laut Regierungsangaben 180000 Libanesen aufgenommen. Zudem kam eine nicht bekannte Zahl von Palästinensern in Syrien unter. Sie stammen aus den Flüchtlingslagern, die nach der israelischen Staatsgründung 1948 sowie nach dem sogenannten Sechstagekrieg Israels von 1967 entstanden.

Nach einer Schätzung des libanesischen Außenministeriums befanden sich vor Kriegsbeginn am 12. Juli mehr als 400 000 palästinensische Flüchtlinge im Libanon. 55,8 Prozent von ihnen lebten in zwölf Flüchtlingslagern, die von der libanesischen Regierung und dem UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) offiziell anerkannt waren. 20 Prozent der Geflohenen lebten in nicht anerkannten Wohnsiedlungen. 90 Prozent der Flüchtlinge waren mindestens zweimal gewaltsam aus ihren Wohnungen in den Lagern vertrieben wurden – eine Zahl, die sich nunmehr weiter erhöht haben dürfte.

Unabhängig davon, ob das Lager von der UNRWA anerkannt wird oder nicht, ob es im Süden, in Beirut oder im Norden des Libanon liegt, ob die Bewohner des Lagers Christen oder Moslems waren, lebte die große Mehrheit unterhalb der Armutsgrenze. In einer Studie der ECWA (UN Economic Commission for Western Asia) über die Armut im Libanon wurden alle Palästinenser in den Flüchtlingslagern im Libanon als »sehr arm« bezeichnet.

Mehrfach griff Israels Armee auch Flüchtlingslager an. So bombardierte am 7. August die Marine Ain Heloue in der Nähe der südlibanesischen Stadt Saida. In dem Lager leben etwa 50000 Flüchtlinge. Zwei Getötete wurden aus den Trümmern eines zerstörten Hauses geborgen, hieß es nach Krankenhausangaben. 15 Menschen, unter ihnen mindestens fünf Kinder, seien verletzt worden.

* Aus: junge Welt, 19. August 2006 (Wochenendbeilage)


Zurück zur Libanon-Seite

Zurück zur Homepage