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Wann endlich hört das auf?

Libanon – ein zerrissenes und immer wieder bekriegtes Land

Von Heinz-Dieter Winter *

Libanon kommt nicht zur Ruhe. Tausende Menschen sind zur Flucht gezwungen, Fatah el Islam und die libanesische Armee liefern sich erbitterte Kämpfe. Im Sommer vergangen Jahres hatte Israels erfolglos gegen die Hisbollah im Libanon Krieg geführt. Die Winograd-Kommission hatte für das Fiasko in erster Linie Ministerpräsident Olmert, aber auch Verteidigungsminister Peretz und den zurückgetreten Generalstabschef Halutz verantwortlich gemacht. Etwa 120 000 israelische Bürger aller politischen Richtungen forderten Anfang Mai deren Rücktritt. Friedensaktivist Uri Avnery bemerkte jedoch, dass der Kommissionsbericht wie auch die Demonstranten die falschen Fragen gestellt hätten – denn es ginge nicht darum, warum Irsaels Krieg gegen Libanon so schlecht vorbereitet und überstützt ausgelöst worden sei, sondern darum, warum er überhaupt begonnen wurde. Mit dieser Frage beschäftigen sich auch Gilbert Achcar, der jahrelang im Libanon lebte, und Michael Warschawski, Mitglied des Friedensblockes Gush Shalom.

Der 33-Tage-Krieg 2006 wiege in der arabischen Welt schon die große Demütigung des Sechstagekrieges von 1967 auf, konstatieren die beiden Autoren. In Israel selbst habe er »eine schwere Krise ausgelöst«. Bereits im Zusammenhang mit dem Rückzug aus Südlibanon im Jahr 2000 hatten Beobachter von einem »israelischen Vietnam« gesprochen.

Achcar reflektiert die Geschichte Libanons ab der Staatsgründung 1943, skizziert die Entwicklung der Hisbollah und befasst sich sodann mit dem umstrittenen Krieg im vergangenen Jahr. Warschawski wiederum diskutiert vor allem die Rolle Israels in den Plänen der USA in der Region.

Libanon, wegen des seit der französischen Mandatsherrschaft existierenden konfessionellen Proporzsystems ein besonders labiles staatliches Gebilde, ist in den vergangenen fünfzig Jahren immer wieder Austragungsort regionaler und internationaler Konflikte gewesen, »deren Tragweite über das Land hinausging«; dies gilt insbesondere für den Bürgerkrieg von 1975 bis 1990. Die Autoren sehen im Krieg Israels gegen die Hisbollah den in Übereinstimmung mit den USA unternommenen Versuch, die regionale Lage (insbesondere nach dem Wahlsieg der Hamas in Palästina) im Interesse Israels und zu Gunsten der Vorherrschaftspläne Pläne der USA (die sich vor allem gegen Iran und Syrien richten) zu verändern. Es gelang weder eine Schwächung noch Entwaffnung der Hisbollah. Deren Autorität und Ansehen ist dahingegen in der gesamten arabischen und islamischen Welt bestärkt worden.

»Die Partei Gottes« war im Kontext mit der iranischen Revolution von 1978 und den israelischen Einmarsch in Libanon 1982 entstanden, als Widerstandorganisation gegen die israelische Besatzung. Mittlerweile hat sie sich zu einer legal operierenden, in einem Parlament vertretenen Partei gewandelt, die die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen eines Großteils der Schiiten vertritt. Die von den USA und Israel erhobene Anschuldigung, Hisbollah sei Iran hörig, wird von den beiden Autoren zurückgewiesen. Sie sei weniger von der Unterstützung Teherans und Damaskus' abhängig als Israel von Washington. Harte Kritik üben sie auch an den nicht neutralen, sondern den USA hörigen Europäern. Deutsche Marine in Libanons Hoheitsgewässern sei eine Einmischung. Schließlich fragen Achcar und Warschawski: »Wie viele Tote, wie viel Grauen braucht es noch, bevor die kolonialen Kriege, Besatzungen und Einmischungen endgültig aufhören.«

Gilbert Achcar / Michael Warschawski: Der 33-Tage-Krieg. Israels Krieg gegen die Hisbollah im Libanon und seine Folgen. Edition Nautilus, Hamburg 2007. 94 S., br., 10,90 EUR.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Mai 2007


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