Auswanderungsland Libanon
Ein Jahr nach dem Krieg: Immer mehr qualifizierte Bewohner verlassen ihre Heimat. Hilfsgelder von Beirut nur zur Schuldentilgung eingesetzt
Von Karin Leukefeld *
Zwölf Monate nach dem Krieg, dessen Ende sich am heutigen 14. August erstmals jährt, widerspiegeln die nackten Zahlen die dramatisch schlechten Lebensbedingungen im Libanon. Dreißig Prozent der Bevölkerung zwischen 18 und 25 Jahren sind seit dem Überfall Israels ausgewandert oder hatten es vor. Das ergab jüngst eine Umfrage von »Information International«, einem Forschungszentrum in Beirut. In den vergangenen zwei Jahren haben schätzungsweise fünfzig Prozent der Akademiker den Libanon verlassen. Der Wunsch auszuwandern ist bei Christen, sunnitischen und schiitischen Muslimen gleichermaßen ausgeprägt.
»Wir erleben einen massiven Brain-Drain«, warnt Kamal Hamdan vom Libanesischen Zentrum für Forschung und Lehre in Beirut. Gerade gut ausgebildete Männer und Frauen würden ihrer Heimat den Rücken kehren, weil sich weder die wirtschaftliche noch die politische Lage stabilisierten. »Langfristig bedeutet das, daß uns Fachkräfte fehlen werden, die Politik und Wirtschaft entwickeln und managen können.« Vier Millionen Menschen leben heute im Zedernstaat, die Exilgemeinde der Libanesen in aller Welt ist derweil auf 16 Millionen angewachsen.
Israels Angriffskrieg 2006 hat zudem den wirtschaftlichen Erholungsprozeß Libanons nach 25 Jahren Bürgerkrieg jäh zerstört. Das Land gehört mit einer Last von 40 Milliarden US-Dollar zu den am meisten verschuldeten Staaten der Welt. Jene Milliarden US-Dollar, die Libanon auf einer Geberkonferenz in Paris im Januar 2007 versprochen wurden, dienen offensichtlich lediglich zur Schuldentilgung – und nicht zum Wiederaufbau. Weil Hilfsgelder, über die die Regierung verfügte, bisher nicht an die Betroffenen weitergeleitet wurden, entschlossen sich Katar und Iran, ihre Hilfe direkt Bedürftigen zukommen zu lassen. So unterstützt Katar Familien im Südlibanon und hat den Wiederaufbau der fast völlig zerstörten Ortschaft Bint Jbeil übernommen. Auch der Iran hilft im Südlibanon. 21 Fußgängerbrücken, 25 Brücken, 27 medizinische Zentren, 75 Parks, 147 Bildungseinrichtungen, 173 Hauptstraßen, 572 Nebenstraßen wurden bisher rekonstruiert.
Viele Familien überleben indes lediglich dank regelmäßiger Überweisungen von Exillibanesen. Rund 5,6 Milliarden US-Dollar schicken sie jährlich in ihre Heimat. Dort zieht es angesichts anhaltender Arbeitslosigkeit und niedriger Löhne viele junge Männer in einen Wirtschaftszweig, der als einziger boomt: die privaten Sicherheitsfirmen.
Zum Beispiel den 24jährigen Abdo Asmer. Er arbeitet als Wachmann für eine private Firma in Beirut. Zugleich versucht er, im Ausland eine Stelle zu finden. Nun bekam er endlich ein hoch dotiertes Angebot, berichtete er vor kurzem dem UN-Informationsnetzwerk IRIN: »Sie haben mir einen Job in der ›Grünen Zone‹ in Bagdad angeboten, für das zehnfache Gehalt, das ich heute bekomme.« Abdo Asmer wird annehmen: »Wenn ich sowieso sterben muß, dann tue ich es lieber wohlbetucht.«
* Aus: junge Welt, 14. August 2007
Lehrstück Libanon
Von Karin Leukefeld **
Ein Jahr ist es her, dass die libanesischen Kriegsflüchtlinge in ihren provisorischen Unterkünften gespannt auf den Morgen des 14. August warteten. Niemand war sicher, ob die mit der UN-Sicherheitsratsresolution 1701 vereinbarte Waffenruhe tatsächlich eintreten würde. Als um 8.00 Uhr noch keine neuen Bomben explodiert waren, gab es kein Halten mehr. Innerhalb von Minuten waren die Straßen verstopft, geschockt pilgerten die Leute durch die Ruinen der südlichen Vorstädte Beiruts. Mühsam nach dem Bürgerkrieg wieder aufgebaute Straßen, Brücken, Fabriken und Wohnhäuser waren nach 34 Kriegstagen dahin.
Ein Jahr später sitzen die Libanesen noch immer in einem Scherbenhaufen. Wirtschaft und Wiederaufbau stagnieren, während Korruption und Vetternwirtschaft florieren. Der Zedernstaat droht in feudale Fürstentümer zu zerfallen. Libanon? Was zum Teufel ist Libanon?! Wenn nicht im Auftrag, dann mit Rückendeckung ihrer jeweiligen Förderer im westlichen oder nahöstlichen Ausland streiten sich die politischen Eliten seit Monaten um die Macht im Land, ohne nur einen Schritt voranzukommen. Das Volk stimmt derweil mit den Füßen ab: Ein Drittel der Libanesen zwischen 18 und 25 will oder hat bereits das Land verlassen. Wer bleibt, sind 400 000 ungeliebte palästinensische und 100 000 irakische Flüchtlinge, die nicht wissen wohin, und eine hasserfüllte Islamistengruppe, die der libanesischen Armee seit Monaten einen erbitterten Stellungskrieg in Nahr al-Bared liefert. Libanon ist ein Lehrstück für das, was ausländische Einmischung im Mittleren Osten bewirkt. Palästina, Irak, Libanon – Teile und Herrsche lautet die Devise.
** Aus: Neues Deutschland, 14. August 2007 (Kommentar)
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