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Gegen die Armut

Anhaltende Proteste gegen die Wirtschaftsreformpläne der libanesischen Regierung

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Die Proteste gegen die Wirtschaftsreformpläne der libanesischen Regierung reißen nicht ab. Nach den vom Allgemeinen Arbeitergewerkschaftsbund (CGTL) organisierten Massenkundgebungen vor dem Steueramt des libanesischen Finanzministeriums am Dienstag in Beirut versammelten sich am Mittwoch erneut Hunderte Demonstranten vor dem Energie- und Wasserministerium. Die Regierung hofft, mit ihrem Reformpaket bei der bevorstehenden internationalen Geberkonferenz am 25. Januar in Paris Unterstützungszusagen in Höhe von mindestens vier Milliarden US-Dollar zu erhalten. Mit den Geldern sollen Investoren ins Land gelockt, das Wirtschaftswachstum angekurbelt und die Zinsen für die Schulden von 41 Milliarden US-Dollar abgetragen werden. Im Jahre 2008 sollen die Mehrwertsteuer um zwei auf zwölf Prozent erhöht und verschiedene Wirtschaftsbereiche privatisiert werden, darunter auch der Telekomsektor. Das allein soll nach Angaben von Wirtschaftsminister Sami Haddad, »Tausende Arbeitsplätze« schaffen.

Löhne erhöhen

Die CGTL und die Oppositionsparteien lehnen die Reformvorschläge nicht zuletzt deswegen ab, weil eine noch größere Abhängigkeit Libanons vom westlichen Ausland befürchtet wird. »Wir wollen keine Steuererhöhungen, wir wollen Lohnerhöhungen«, war auf einem Transparent während der Proteste zu lesen. Andere Parolen beschuldigten Ministerpräsident Fuad Siniora, die Armut Libanons verursacht zu haben. »Sollen sie sich doch die Steuern aus den Safes der reichen Leute holen, nicht aus den Taschen der armen Leute«, forderte Gewerkschafts­chef Ghassan Ghosn. Die Teilnahme an den Protesten blieb allerdings an beiden Tagen hinter den Erwartungen der Gewerkschaftsführung zurück.

Die Proteste der CGTL sind Teil der »zweiten Phase der Kampagne zum Sturz der Regierung«, wie es die Hisbollah formuliert hat. Die Kampagne des Oppositionsbündnisses (Hisbollah, Freie Patriotische Bewegung, Syrische Soziale Nationale Partei und Amal) hatte am 1. Dezember begonnen. Ziel ist es, Siniora und sein Restkabinett zum Rücktritt zu zwingen und damit vorgezogene Neuwahlen zu erreichen. Es sei denn, Siniora würde sich bereiterklären, der Opposition mehr Einfluß in einer Regierung der Nationalen Einheit zuzugestehen. Bisher hat der Regierungschef lediglich Verhandlungen angeboten, über deren Grundlagen seit Wochen gestritten wird. Die wirtschaftlichen Reformpläne zurückzunehmen, wie von Opposition und CGTL gefordert, kommt für Siniora nicht in Frage. Gleichwohl lud er die Gewerkschaften zu Gesprächen ein. Diese wollen ihrerseits nur reden, wenn die Regierung die Reformvorhaben stoppt, so Gewerkschaftsführer Ghosn.

Teile und herrsche

Das Regierungsbündnis und die »Kräfte des 14. März« um Saad Hariri, Sohn des im Februar 2005 ermordeten Ministerpräsidenten Rafiq Al Hariri, hatten ihre Anhänger aufgefordert, sich nicht an den Gewerkschaftsprotesten zu beteiligen. Regierungschef Siniora empfing eine Delegation der Arbeitergewerkschaft aus dem Norden und der Region Berg Libanon. Delegationsleiter Boutros Frem sagte anschließend gegenüber der Presse, man habe Siniora um »grünes Licht« für die Gründung einer »unabhängigen Gewerkschaft« gebeten, die alle libanesischen Arbeiter vertreten solle. Die CGTL sei das nicht, da sie lediglich »politische Oppositionsparteien« repräsentiere, »keine Arbeiter«.

Forderungen der CGTL

In einer 12-Punkte-Erklärung fordert der Gewerkschaftsbund, weder direkte noch indirekte Steuererhöhungen vorzunehmen, insbesondere keine Mehrwertsteuererhöhung. Außerdem wird verlangt alle Privatisierungspläne zu stoppen, da sie die Sicherheit der Arbeitsplätze bedrohen. Programme gegen die Arbeitslosigkeit sollen Jugendliche und Fachkräfte davon abhalten, das Land auf der Suche nach Arbeit zu verlassen. Gefordert werden der Ausbau der Produktionskapazitäten im Agrar-, Industrie und Dienstleistungssektor sowie Vereinbarungen zur Sozialversicherung.

* Aus: junge Welt, 12. Januar 2007


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