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Gefühlter Sieg für die Hisbollah

Vor fünf Jahren marschierte israelisches Militär in Libanon ein

Von Oliver Eberhardt *

1200 Tote, Hunderttausende Flüchtlinge und Schäden in Milliardenhöhe: Vor fünf Jahren begann der Libanon-Krieg. Trotz des hohen Preises, den beide Seite zu bezahlen hatten, sind die Probleme die gleichen geblieben; die Kriegsgefahr ist heute so hoch wie damals.

Es war kurz nach neun Uhr Ortszeit, als im Norden Israels mehrere Raketen einschlugen, die aus dem Süden Libanons abgeschossen worden waren. Gleichzeitig überwanden Kämpfer der radikalislamischen Hisbollah den Grenzzaun und griffen eine Armee-Patrouille an. Drei Soldaten wurden getötet, zwei weitere nach Libanon verschleppt.

Israels Militär schlug zurück, hart und heftig, mit Luftangriffen, zunächst, und dann auch mit Bodentruppen – 34 Tage lang. Dennoch malträtierte die Hisbollah während dieser Zeit nahezu ungehindert den Norden Israels mit Tausenden Raketen, bis die Vereinten Nationen mit ihrer Resolution 1701 dem Krieg zwischen einer Armee und einer militanten Organisation ein Ende bereitete. Die Hisbollah, so legten die UN fest, solle ihre Kämpfer von der Grenze, Israelsich von libanesischem Territorium zurück ziehen. Und zwischen beiden sollten mehr internationale Friedenstruppen (UNIFIL) als vor dem Krieg für Sicherheit sorgen und dafür, dass die Hisbollah nicht wieder aufrüstet.

Die Probleme, die zum Krieg geführt haben, wurden dadurch nicht gelöst: Das tief zerrüttete Libanon mit seinem notorisch schwachen Militär ist Nährboden und Rückzugsort für eine ganze Reihe von militanten Organisationen, gegen die Israel bereits seit den 70er Jahren immer wieder militärisch vorgegangen ist, ohne dabei wirklich etwas ausrichten zu können – wie auch dieses Mal.

Zwar beanspruchte Israels Regierung direkt nach Kriegsende den Sieg für sich, und erklärte, das Militär habe immerhin mehr als 600 Hisbollah-Kämpfer getötet und der Infrastruktur der Organisation schweren Schaden zugefügt.

Doch schon kurz darauf stellte sich die Situation völlig anders dar: Während Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah umjubelt von einem »göttlichen Sieg« sprach, berichteten Israels Medien Monate lang in allen Einzelheiten von chaotischen Zuständen in Generalstab und Regierung Israels in den ersten Tagen des Krieges.

Ein Untersuchungsausschuss fällte im Januar 2008 ein vernichtendes Urteil. Verteidigungsminister Amir Peretz und Premierminister Ehud Olmert, beides Männer ohne militärische Erfahrung, hatten gegen den Rat ihrer eigenen Verteidigungsexperten die Hisbollah »hart und schmerzhaft« (Peretz am ersten Tag des Krieges im israelischen Rundfunk) treffen wollen. Der Ausschuss stellte fest, dass genau das Gegenteil geschehen war: Die abschreckende Wirkung Israels auf seine Feinde sei nachhaltig zerstört worden.

Und nicht nur dies. Die Hisbollah hat durch den Krieg an Rückhalt in der libanesischen Bevölkerung gewonnen. Sie wurde von einer militanten Organisation zu einer politischen Kraft. Seit wenigen Wochen haben die Organisation und ihre Verbündeten sogar die Mehrheit im libanesischen Kabinett.

Was wiederum die UNIFIL-Mission vor große Probleme stellt, an der auch die deutsche Marine beteiligt ist: Um die Wiederbewaffnung der Hisbollah zu unterbinden, wurde in den vergangenen Jahren das libanesische Militär aufgerüstet – auf das nun die Hisbollah ebenfalls Zugriff hat, samt modernster Waffen und Technologie statt selbst zusammengebauter Raketen.

Die Gefahr eines erneuten Krieges ist heute mindestens so hoch wie vor fünf Jahren. In Syrien wankt die Regierung von Präsident Baschar al-Assad, der neben Iran einer der Hauptverbündete der Hisbollah ist. Zudem hat das internationale Tribunal, das nach wie vor versucht, den Mord an dem ehemaligen Premierminister Rafik Hariri 2005 aufzuklären, Funktionäre der Organisation mit der Tat in Verbindung gebracht. Nasrallah vermutet darin, genauso wie in den Unruhen in Syrien, eine Verschwörung der USA und Israels.

Zwar verweist die Hisbollah zur Zeit noch darauf, dass die Unruhen in Syrien eine interne Angelegenheit des Nachbarstaates seien. Doch nach Ansicht von Ghassan Karam vom Nachrichtenportal Ya Libnan ist es möglich, dass die Organisation versuchen wird, einen Zwischenfall mit Israel zu provozieren, falls das internationale Tribunal Anklage gegen Hisbollah-Funktionäre erhebt oder es gar zu ernst für Assad wird – in der Hoffnung, dass eine solche Konfrontation die Menschen von ihren Protesten abbringt.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juli 2011


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