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Umstrittenes Fernsehverbot für "Kreml-Propaganda"

Lettlands Medienrat setzte "Rossija RTR" auf den Index und löste Debatte über Zensur und Pressefreiheit aus

Von Toms Ancitis, Riga *

Nirgends ist die EU so russisch wie in Lettland – für über ein Drittel der Bevölkerung ist Russisch die Muttersprache. Und viele sehen täglich die Sendungen russischer Kanäle.

Nicht allein der Sprache wegen sind russische Fernsehkanäle in Lettland beliebt. Da sie über deutlich größere Budgets als die lettischen Sender verfügen, ist auch die Qualität der ausgestrahlten Unterhaltungssendungen und Filme oft besser. Doch seit Kurzem ist auf dem Kabelsendeplatz von »Rossija RTR«, einem der beliebtesten russischen Kanäle in Lettland, nichts mehr zu sehen.

Der lettische Medienrat hat über den Sender, der zum internationalen Service des staatseigenen russischen Fernsehens und Rundfunks gehört, ein dreimonatiges Ausstrahlungsverbot verhängt. Damit folgt Lettland dem Vorbild des Nachbarlands Litauen, dessen Medienaufsichtsbehörde ein ähnliches Verbot über einen anderen russischen Kanal – »NTV-Mir« – schon im März verhängt hatte.

Die Begründung: Einige Sendungen über die Krise in der Ukraine seien tendenziös und nicht im Sicherheitsinteresse des Landes. Der Kanal »Rossija RTR« werde völlig vom Kreml kontrolliert und strahle »Propaganda« aus, betonte Ainars Dimants, Vorsitzender des lettischen Medienrates, »und es geht dabei nicht einfach um Propaganda, sondern um Kriegspropaganda«.

Der Medienrat wollte insgesamt zehn Passagen in verschiedenen von »RTR Rossija« ausgestrahlten Nachrichten- und Diskussionssendungen im März gefunden haben, deren Inhalt gegen das Gesetz über elektronische Medien verstoßen hätte. Darin seien die militärische Aggression gegen einen souveränen Staat gerechtfertigt und Hass gesät worden.

Auf besondere Kritik traf eine Sendung des russischen Moderators Dmitri Kisseljow. Sein Name steht auch auf der Liste von Personen, die von der EU mit Sanktionen belegt wurden. Kisseljow hatte im russischen Fernsehen erklärt, sein Land sei in der Lage, die USA in radioaktive Asche zu verwandeln. »Wenn unter faktischen Kriegsbedingungen einem Staat ein Medium hundertprozentig gehört, ist das eigentlich kein Medium, sondern ein Kriegsinstrument«, erklärte Dimants.

Der Beschluss des Medienrates entfachte in Lettland allerdings eine Debatte über Zensur und Pressefreiheit. »Diese Entscheidung beweist, dass die Demokratie in Lettland immer noch sehr schwach ist. Statt den Zuschauern die Möglichkeit zu geben, Informationen selbst zu bewerten, entscheiden wir uns, bestimmte Informationen überhaupt zu verbieten«, erklärte Gunta Līdaka, Vorsitzende des Verbandes lettischer Hörfunk- und Telemedien, in der Tageszeitung »Neatkariga Rita Avize«. »Wenn wir diesen Weg weiter beschreiten, stellt sich die Frage, ob wir Russland nicht ähnlich werden. Russland verbietet einige Kanäle, wir verbieten die anderen. Wo ist der prinzipielle Unterschied?«, fragte der Soziologe Arnis Kaktiņš. Für Sergejs Kruks, Medienforscher an der Universität Stradina in Riga, fördert ein Verbot lediglich Verschwörungstheorien: Wenn etwas verboten wird, will der Staat seinen Einwohnern etwas verbergen.

Ohnehin ist das Verbot der Verbreitung per Kabel mehr ein symbolischer Akt. Heute gibt es viele andere Wege, Sendungen aus Russland zu empfangen: zum Beispiel per Internet oder mit Satellitengeräten. Juris Gulbis, Chef des lettisches Telekommunikationsunternehmens Lattelecom, empfahl dem Staat in einer Sendung, den lettischen Fernsehanstalten genügend Mittel zuzuweisen, damit sie ihre eigenen Korrespondenten nach Russland und in die Ukraine schicken können, statt ein Spiel mit Verboten zu spielen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 22. April 2014


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