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SS-Aufmarsch in Riga

Bundesregierung: Kriegsverbrechen von Nazikollaborateuren nicht nachweisbar. US-Armee schickt Schützenpanzer entlang russischer Grenze

Von Arnold Schölzel *

In Lettland haben Veteranen einer Einheit der Waffen-SS und ihre Anhänger unter massivem Polizeischutz am Montag ihren jährlichen Aufmarsch veranstaltet. Rund 1.500 Menschen zogen nach Polizeiangaben am Montag durch die Hauptstadt Riga. An der Parade nahmen die letzten der 140.000 lettischen Nazikollaborateure teil, die im Zweiten Weltkrieg in der Waffen-SS gegen die Rote Armee gekämpft hatten. Festnahmen gab es nach Polizeiangaben nicht. Innenminister Rihards Kozlovskis sagte der Nachrichtenagentur AFP, »mehrere Radikale«, die »nicht nur aus Russland, sondern auch aus benachbarten EU-Staaten« angereist seien, seien ferngehalten worden. Gegendemonstranten hatten sich mit der Polizei darauf geeinigt, erst nach dem Ende der Parade gegen den Faschismus zu demonstrieren. Etwa 40 Menschen kamen nach dem Marsch zusammen, um das Freiheitsdenkmal mit Besen zu »reinigen«. Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Zentrum zur Verfolgung von Nazitätern sagte AFP, die Parade sei »eine große Lüge« und eine »Verzerrung der Geschichte«. Seit der Unabhängigkeit Lettlands im Jahr 1991 gedenken Veteranen der »Lettischen Legion« jedes Jahr am 16. März einer Schlacht gegen die Rote Armee im Jahr 1944. Im Oktober 1944 befreiten die sowjetischen Truppen Riga von den Faschisten.

Das Internetportal de.sputniknews.com berichtete am Montag über eine Anfrage der Linken zum Aufmarsch in Riga und die Antwort der Bundesregierung. Darin hieß es, jedes Land sei selbst für die Aufarbeitung seiner Vergangenheit verantwortlich. Man könne außerdem nicht zweifelsfrei nachweisen, ob sogenannte Nazikollaborateure im Zweiten Weltkrieg wirklich an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen waren. Sputniknews zitierte die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen (Die Linke) dazu: »Das ist der nächste geschichtspolitische Tabubruch, den die Bundesregierung begeht, nach mehreren Tabubrüchen in der Außenpolitik, angefangen auch von der Unterstützung einer Regierung in der Ukraine, an der ganz offen Faschisten beteiligt waren wie die Partei Swoboda, aber auch bis heute Faschisten beteiligt sind.« Sie wies außerdem darauf hin, dass auch deutsche Neofaschisten, z. B. die Partei Die Rechte mit Sitz in Dortmund, zu dem Aufmarsch in Riga mobilisiert hätten.

Bei einem Besuch in Berlin am Montag erklärte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, unter dessen Oberbefehl neofaschistische Bataillone seit fast einem Jahr im Donbass kämpfen, zum Friedensprozess von Minsk gebe es »keine Alternative«. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie werde »nicht nachlassen«, bis die volle Souveränität der Ukraine wieder hergestellt sei. Poroschenko hatte am selben Tag in einem Interview mit Bild das Minsker Abkommen grundsätzlich in Frage gestellt. Ebenfalls am Montag wurde bekannt, dass die US-Armee einen Konvoi von Radschützenpanzern durch die östlichen NATO-Mitgliedsstaaten schickt. Die Fahrt über knapp 1.800 Kilometer werde Teil der Übung »Atlantic Resolve« (Atlantische Entschlossenheit) sein, erklärte ein Sprecher der US-Armee in Wiesbaden. Gleichzeitig ordnete der russische Präsident Wladimir Putin an, die Gefechtsbereitschaft der Streitkräfte zu überprüfen. Er hatte in einer am Sonntag ausgestrahlten Dokumentation erklärt, dass die Führung in Moskau während der Krim-Krise vor einem Jahr erwogen habe, die Atomwaffen des Landes in Gefechtsbereitschaft zu versetzen

* Aus: junge Welt, Dienstag, 17. März 2015


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