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International gegen SS-Verherrlichung

Lettische und deutsche Antifaschisten demonstrierten in Riga gegen Marsch von Nazi-Veteranen

Von Frank Brendle, Riga *

Seit über 20 Jahren marschieren Veteranen und Sympathisanten der früheren lettischen Waffen-SS-Divisionen am 16. März durch Riga, um die Nazi-Kollaborateure als Freiheitskämpfer darzustellen.

»Wir wollen unsere Solidarität mit jenen Letten zum Ausdruck bringen, die damit nicht einverstanden sind«, sagt Hans Coppi im Schneetreiben von Riga. Der Vorsitzende der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) hat eigens für diesen Sonntag eine Busreise in die lettische Hauptstadt organisiert – um mit anderen Antifaschisten gegen die Ehrung von lettischen SS-Verbänden zu demonstrieren.

Die aus über 30 Personen bestehende Gruppe aus Deutschland versetzte die lettischen Behörden in regelrechte Alarmstimmung. An der litauisch-lettischen Grenze wurde der Berliner Bus über zwei Stunden festgehalten, die Identität aller Passagiere erfasst – an Bord waren Aktivisten im Alter zwischen Anfang 20 und 80 – und mitgeführte Plakate fotografiert. Kurz vor Riga musste der Bus erneut für über vier Stunden anhalten. Der Chef der lettischen Sicherheitspolizei hatte im Vorfeld vor »radikalen Kräften« aus dem Ausland gewarnt, die auf »schwarze Listen« gesetzt würden.

In Lettland war die Beteiligung an dem Gedenken für NS-Kollaborateure bislang kein großer Skandal. Ein lettisch-deutsches Bündnis von Antifaschisten hat das aber geändert und indirekt sogar einen Minister gestürzt. Denn die lettische Regierung weist zwar jede Kritik an der SS-Legion als »russische Schmutzkampagne« zurück, so etwa in einer Stellungnahme der lettischen Botschaft in Berlin. Dennoch fürchtet Riga den Vorwurf der Nazi-Glorifizierung, weswegen Premierministerin Laimdota Straujuma ihre Minister angewiesen hatte, sich vom SS-Marsch fernzuhalten.

Voriges Jahr durften die Abgeordneten der an der Regierung beteiligten rechtsradikalen Partei »Alles für Lettland« noch ungestraft mitmarschieren. Dieses Jahr wurde der Minister für Regionen gefeuert, nachdem er angekündigt hatte, sich dem Marschverbot zu widersetzen. Damit hatte die Internationalisierung des Protests die erwünschte Wirkung, Lettland zu einer wenigstens teilweisen Distanzierung vom SS-Marsch zu zwingen.

Auch im Straßenbild waren die Folgen des Protests nicht zu übersehen: Um die kaum mehr als 60 Nazi-Gegner in Schach zu halten, wurde die Rigaer Altstadt in ein polizeiliches Heerlager verwandelt. Proportional noch stärker gestiegen war die Präsenz von Medien: »Die Journalisten haben sich regelrecht auf uns gestürzt, um zu erfahren, was wir hier wollen«, so ein deutscher Aktivist. Unter den Demonstranten war auch die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (LINKE). Sie bezeichnete die Auseinandersetzung mit Neonazismus und Rassismus gegenüber »nd« als »gemeinsame europäische Aufgabe der Antifaschisten«.

Der SS-Marsch fiel mit rund 2000 Teilnehmern größer aus als im Vorjahr. Auf dieser Seite galt es einen Jahrestag zu feiern: Vor 70 Jahren hatten die lettischen SS-Männer ihre erste große Schlacht gegen die Rote Armee geführt. Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem, der auch zu den Protesten gekommen war, nannte auf einer Konferenz im Anschluss an den Marsch die Unterstützung aus Deutschland einen »wertvollen Beitrag« im Kampf gegen Geschichtsverdrehung. Die Glorifizierung der SS sei eine »Beleidigung der Opfer des Holocaust«.

Selbstkritische Auseinandersetzungen mit dem Thema Nazi-Kollaboration gibt es in Lettland bis heute nur in Ansätzen. Die Nazi-Gegner mussten sich von Passanten allerhand Beleidigungen anhören. Dem Historiker Maris Ruks zufolge, mit dem »nd« einen Tag vor dem Marsch sprach, riskieren lettische Wissenschaftler bei allzu detaillierter Holocaustforschung einen Karriereknick. Ruks hat vor wenigen Wochen das erste Buch über Viktors Arajs herausgegeben, der 1941 mit einem Sonderkommando aus lettischen Freiwilligen Tausende Juden und Kommunisten niedermetzelte. Das Kommando ging danach in den SS-Verbänden auf, genauso wie etliche Abteilungen der Hilfspolizei, die ebenfalls aus Freiwilligen bestanden und Erschießungen an Zehntausenden Juden vorgenommen hatten.

* Aus: neues deutschland, Montag, 17. März 2014


Marsch für Waffen-SS

Antifaschisten mehrerer Länder protestieren in der lettischen Hauptstadt Riga. Zerwürfnis in der Regierung des EU-Mitgliedsstaats

Von René Schulz und Peter Rau, Riga **


Der jährliche Aufmarsch zu Ehren von Nazikollaborateuren in der lettischen Hauptstadt Riga war am Sonntag sicht- und hörbarem Protest von Antifaschisten ausgesetzt. Erstmals hatten die einheimischen Nazigegner Unterstützung aus Deutschland: Aus Berlin waren über 30 Antifaschisten angereist. Die Veteranen und jüngere Verherrlicher der lettischen Waffen-SS-Divisionen mußten ihren Marsch mit etwa 2000 Teilnehmern durch die Rigaer Altstadt unter »Schande«-Rufen beginnen. Unter dem Eindruck der Proteste kam es auch zu Zerwürfnissen innerhalb der lettischen Regierung, ein Minister wurde entlassen. Ganz allmählich wird der Marsch zur »Rehabilitierung« der SS auch in Lettland zum politischen Skandal.

Martina Renner, Sprecherin für Antifaschismus in der Linken-Bundestagsfraktion, war ebenfalls nach Riga gekommen. Es gehe darum, »nicht nur in Dresden, Magdeburg oder Berlin der extremen Rechten den öffentlichen Raum und den Geschichtsdiskurs streitig zu machen, sondern auch in Athen, Budapest, Kiew oder Riga«, so Renner zu jW. Auch aus anderen Ländern waren einzelne Antifaschisten angereist, die sich im Anschluß an die Protestaktion an einer Konferenz der Bewegung »Lettland ohne Nazismus« beteiligten. Unter ihnen war Efraim Zuroff vom Jerusalemer Büro des Simon-Wiesenthal-Zentrums.

Der Marsch der SS-Anhänger findet seit der Unabhängigkeit Lettlands 1991 jedes Jahr am Jahrestag einer Schlacht statt, die die lettischen SS-Divisionen 1944 gegen die Rote Armee geschlagen hatten. Eine derart sichtbare Präsenz internationaler Antifaschisten wie an diesem 16. März gab es bislang aber nicht. Die Internationalisierung des Protests blieb nicht ohne Wirkung: Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma wies wenige Tage vor dem Marsch der Naziverehrer ihr Kabinett an, die Teilnahme zu unterlassen. Weil der Minister für Regionen, Einars Celinskis, ankündigte, sich nicht an die Anordnung zu halten, wurde er kurzerhand entlassen. Noch im Vorjahr war die Beteiligung von Abgeordneten der rechtsextremen Partei »Alles für Lettland« – Koalitionspartner von Straujuma – ohne politische Folgen geblieben.

Cornelia Kerth, Bundessprecherin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), die die Busfahrt von Berlin nach Riga organisiert hatte, zeigte sich mit dem Ergebnis der Proteste hochzufrieden. Es sei unerträglich, wenn aus Kollaborateuren der Nazis, die an der Ermordung von über 45000 Juden beteiligt waren, Freiheitskämpfer gemacht würden. »Genauso wie wir uns in Deutschland gegen Geschichtsrevisionismus wenden, tun wir das auch hier«, so Kerth.

Im Vorfeld hatte die lettische Regierung offenbar die Parole ausgegeben, Aktionen ausländischer und einheimischer Antifaschisten gegen den Aufmarsch nach Kräften zu be- und möglichst zu verhindern. Folgerichtig wurde der paß- und visafreie Reiseverkehr schon zwischen den EU-Staaten Polen und Litauen am Wochenende restriktiv gehandhabt. Der erzwungene Aufenthalt des Berliner Busses bei der Einreise nach Lettland dauerte dann mehr als zwei Stunden. 25 Kilometer nach der Grenzkontrolle wurde der Bus erneut ausgebremst. Die mehr als fadenscheinige Begründung für einen rund vierstündigen Zwangsstopp – Überbelastung der beiden Busfahrer – war aus der Luft gegriffen. Nach verschiedenen Interventionen – unter anderem bei der deutschen Botschaft in Riga – konnte die Reise schließlich fortgesetzt werden.

** Aus: junge Welt, Montag, 17. März 2014


Entlassen

Von Toms Ancitis, Riga ***

Durch die Entlassung von Umweltminister Einars Cilinskis am Freitag dürfte die lettische Regierungschefin Laimdota Straujuma dem nationalistischen Parteibündnis Nationale Allianz durchaus geholfen haben, seine Popularität noch zu steigern. Denn die Allianz-Anhänger sehen Cilinskis als Opfer, dem man die Meinungsfreiheit beschnitten hat, nachdem er nicht auf die Teilnahme am Gedenkmarsch von Veteranen der Waffen-SS am Sonntag in Riga verzichten wollte. Er könne einfach nicht anders, auch wenn es ihn das Amt kostet. Der eher introvertierte Cilinskis gilt als »Überzeugungstäter«, der schon seit 16 Jahren am SS-Gedenken teilnimmt: »Ich ehre damit die Idee der Staatlichkeit Lettlands, in deren Namen die Legionäre damals gekämpft haben.«

Obwohl Cilinskis schon seit 25 Jahren politisch aktiv ist, wurde er für viele im Lande erst richtig bekannt, nachdem er im Januar als Minister für Umwelt und Regionen bestätigt worden ist. Der studierte Chemiker war 1990 im Alter von 27 Jahren erstmals ins Parlament gewählt worden und stimmte dort für die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Lettlands. Zwei Jahrzehnte lang scheiterte er dann aber auf der Liste der nationalistischen Partei »Für Vaterland und Freiheit« und war lediglich Mitarbeiter einiger nationalistischer Abgeordneter. Einige Jahre saß er auch im Rigaer Stadtrat und leitete dort eine Anti-Korruptionskommission.

2009 schließlich wechselte Cilinskis zur Partei »Alles für Lettland« und schaffte ein Jahr später auf einer Liste beider Parteien endlich den Sprung ins Parlament, wo er sogleich Fraktionschef wurde. Die Entscheidung der Regierung, ihren Mitgliedern die Teilnahme an SS-Gedenkveranstaltungen zu verbieten, findet Cilinskis »sinnlos«. Sie sei allein aus Angst vor Moskau getroffen worden. Doch man müsse dem Druck Russlands widerstehen – so wie auf dem Maidan in Kiew, wo er unter anderem mit Oleg Tjagnibok, Chef der ultrarechten »Swoboda», gesprochen habe. Er sei stolz darauf, dort als erster »westlicher Minister« aufgetreten zu sein.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 17. März 2014


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