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Aufmarsch für Waffen-SS

Lettland: Kundgebung zu Ehren von Nazikollaborateuren

Von René Schulz, Riga *

In Lettland gelten Prioritäten: Wenn es darum geht, die Angehörigen der lettischen Waffen-SS-Einheiten zu ehren, haben kritisierende Juden den Platz zu räumen. Und so wurde Joel Rubinfeld, Vorsitzender des europäisch-jüdischen Parlaments mit Sitz in Brüssel, am Sonnabend von der Polizei gewaltsam vom Freiheitsdenkmal in der Stadtmitte von Riga geführt, kurz bevor die ersten von 1500 Teilnehmern einer nationalistischen Demonstration eintrafen. Die waren zu ihrem jährlichen Marsch zu Ehren der »Lettischen Legion« angetreten, die 1943 auf Anordnung von Hitler aufgestellt worden war. Zuvor hatte Rubinfeld gemeinsam mit Aktivisten der Vereinigung »Lettland ohne Nazismus« einen Kranz zu Ehren von Naziopfern niedergelegt.

Anders als im vergangenen Jahr wurde der Kranz diesmal von den anrückenden Nationalisten nicht demoliert. Die gingen jetzt subtiler vor und deckten das Mahnzeichen kurzerhand mit voluminösen Blumensträußen ab, so daß es für die Masse der Rechten nicht mehr zu sehen war. Rubinfeld, der von der Polizei eine klare Aussage forderte, ob sein Kranz wieder hervorgeholt werde, erhielt einen Platzverweis.

Ungestört blieb die rechte Demonstration dennoch nicht. Eine Handvoll Aktivisten des Lettischen Antifaschistischen Komitees hatte sich hinter der Absperrung versammelt und empfing die Nationalisten zunächst mit dem Geheul einer Luftschutzsirene. Anschließend schallte der »Buchenwald-Alarm«, ein im KZ Buchenwald verfaßtes sowjetisches Kampflied, über den Platz.

Während die Nationalisten Blumen am Denkmal für die Unabhängigkeit des Landes ablegten, verlasen die Antifaschisten die Namen von Orten, an denen lettische SS-Einheiten Massaker begangen hatten. Bei den Nationalisten löste das heftige Emotionen aus. Mehrere Rechtsextreme beschädigten die Lautsprecheranlage, der Parlamentsabgeordnete der Partei »Alles für Lettland«, Janis Dombrawa, zerriß eigenhändig ein Plakat, auf dem ein SS-Verbrechen gezeigt wurde.

»Alles für Lettland« ist keine isolierte Organisation am Rand der Gesellschaft, sondern gehört der Regierungskoalition an und stellt Justiz- und Kulturministerium. Vergangene Woche war die Partei mit einem Antrag gescheitert, den 16. März wieder als offiziellen Gedenktag einzuführen. An jenem Tag hatten im Jahr 1944 die lettischen SS-Einheiten ihr erstes gemeinsames Gefecht gegen die Rote Armee geführt. Nicht nur Nazis, sondern auch zahlreiche bürgerliche Letten betrachten die Angehörigen der Lettischen Legion als Freiheitskämpfer, die für die Unabhängigkeit von der Sowjetunion gekämpft hätten – ungeachtet der Rolle als Quasikolonie, die dem sogenannten »Ostland« von Hitler zugedacht war.

Aus Anlaß des SS-Gedenkmarsches hatte »Lettland ohne Nazismus« in einem nahegelegenen Hotel zu einer Konferenz eingeladen. Politiker und Aktivisten vorwiegend aus Osteuropa kritisierten die Relativierung der Nazi-Verbrechen, die auch in Schulbüchern um sich greife.

Bereits am vergangenen Montag fand in der litauischen Hauptstadt Vilnius ein ähnlicher Nationalistenaufmarsch statt. Erstmals seit Jahren hatte die Kommunalverwaltung die Kundgebung an den Stadtrand verlegen wollen. Aber die Rechten zeigten ihre Macht: Trotz Verbots versammelten sich 3000 Menschen auf der Hauptmagistrale – dreimal so viele wie im Vorjahr. Die Polizei ließ sie gewähren, anschließend kündigte der Bürgermeister an, im nächsten Jahr wieder eine Genehmigung für das Stadtzentrum zu erteilen.

* Aus: junge Welt, Montag, 18. März 2013


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