Katzenjammer der Balten-Tiger
Nach dem Aufschwung auf Pump ist Schadensbegrenzung angesagt
Von André Anwar, Riga *
Die baltischen Länder steuern auf einen Zusammenbruch ihres Finanzsystems zu. Die lettische
Bank Parex mit Sparkunden auch in Deutschland wurde bereits zwangsverstaatlicht.
»Die baltischen Tiger verwandeln sich in hungernde Kätzchen«, scherzte ein lettischer
Kleiderproduzent kürzlich bei der Modewoche in Riga. Finanzexperten warnen vor Parallelen zu
Island, seit die lettische Regierung mit der Parex-Bank das zweitgrößte Finanzinstitut des Landes für
eine symbolische Summe von zwei Lats verstaatlicht hat. 51 Prozent gehören nun dem Staat, 34
Prozent gehen als Pfand in die staatliche Hipoteku-Bank. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen die
russischen Haupteigentümer Valeri Kargin und Viktor Krasowitsky das vor dem Bankrott stehende
Geldhaus zurückkaufen können. Die 1992 gegründete Parex-Bank hat ein Geschäftsvolumen von
4,3 Milliarden Euro und beschäftigt rund 2600 Mitarbeiter.
Ministerpräsident Ivars Godmanis betont, dass weitere Verstaatlichungen oder Finanzhilfe vom IWF
nicht nötig seien. Auch Bank-Sprecherin Airisa Asberga versuchte zu beruhigen: Es handle sich nur
um eine »Sicherheitsmaßnahme«. Dem Unternehmen gehe es ansonsten ausgezeichnet.
Hohe Zinsen auch für ausländische Sparer
Ähnlich wie die isländische Kaupthing-Bank lockte Parex mit Zinsen von über sechs Prozent Sparer
in einem Dutzend europäischer Länder an. Außer in nordischen Staaten unterhält die Bank Filialen
in Deutschland, der Schweiz und Großbritannien. Bislang gelten die Sparkonten als besser
geschützt als bei Kaupthing. In Deutschland garantiert der Bundesverband deutscher Banken für
Einlagen bis zu 20 000 Euro. Durch den lettischen Einlagensicherungsfonds sind bis zu 50 000 Euro
geschützt. Auf Island versagte jedoch eine ähnliche nationale Garantie für ausländische Kunden.
Der baltische Bankensektor leidet unter ähnlichen Problemen wie der isländische. Der rasante
Aufschwung der bevölkerungsarmen Länder Lettland, Estland und Litauen mit zweistelligen
Wachstumsraten nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion Anfang der neunziger Jahre wurde
vor allem durch kreditfinanzierte Finanzgeschäfte angetrieben. Die Banken der Kleinstaaten
verschleuderten im Aufschwungfieber Kredite, meist in ausländischen Währungen. Es ging ums
schnelle Geldverdienen. Mit der Weltfinanzkrise, steigenden Zinsen und sinkenden
Grundstückspreisen können nun viele Kreditnehmer ihre Zahlungen nicht mehr leisten. Dies führte
zu einer Kettenreaktion. Die schwedische Finanzaufsicht schätzt, dass lettische Sparer von ihren
Parex-Konten innerhalb weniger Tage bis zu 60 Millionen Lats (84 Millionen Euro) abgehoben
haben. Die Bank geriet in Zahlungsengpässe.
Ein Unterschied zu Island ist jedoch, dass vor allem Banken aus dem bislang stabilen Schweden
den baltischen Finanzsektor anführen. SEB und Swebank rechneten in ihren letzten
Geschäftsberichten zwar mit Verlusten von mehreren hundert Millionen Euro durch die Krise im
Baltikum. Beide Geldinstitute genießen aber großes Vertrauen bei den Sparern. Zudem können die
Banken mit einem Rettungspaket aus der gut gefüllten schwedischen Staatskasse rechnen.
Die Finanzkrise beschleunigte einen Abschwung, der schon 2007 vor allem in Estland und Lettland
deutlich wurde. Alle baltischen Länder leiden unter stark negativen Handelsbilanzen. Produktions- und
Exportsektor sind trotz des Booms schwach geblieben. Die hohen Inflationsraten machten trotz
der EU-Mitgliedschaft 2004 den Beitritt zur Eurozone unmöglich. Dann brachen Wachstumszahlen,
Immobilienpreise und die inländische Nachfrage zunehmend ein. Parallel zur Inflation stieg auch das
Lohnniveau stark an – in Lettland allein 2007 um 30 Prozent. Westliche Firmen wanderten in die
Ukraine ab, während immer mehr baltische Fachkräfte nach Westeuropa gingen.
Aussitzen der Probleme funktionierte nicht
Schließlich entzog der Finanzmarkt sein Vertrauen. Allein in Lettland sind die Kosten für
Kreditabsicherungen seit September auf das Dreifache geklettert. Lange hofften baltische
Landesbanken mit dem Aussitzen der Krise, durch feste, an den Euro gekoppelte Wechselkurse und
Leitzinssätze auf eine weiche Landung nach den überhitzten Aufschwungjahren. Diese Hoffnung
dürfte sich verflüchtigt haben.
* Aus: Neues Deutschland, 18. November 2008
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