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Entente commerciale

Die neoliberal ausgerichtete Pazifik-Allianz südamerikanischer Staaten will den Handel mit Ostasien intensivieren. Sie ist politisch auf die USA fixiert. Denen ist das Bündnis gegen den Konkurrenten China nützlich

Von Jörg Kronauer *

Die Ansage war deutlich. »Ich betrachte meine Reise nach Lateinamerika als Beginn eines neuen Kapitels in den Beziehungen zwischen Japan und der Region«, verkündete der japanische Premierminister Shinzo Abe am 2. August in der brasilianischen Metropole São Paulo. Es sei Zeit für eine engere Zusammenarbeit seines Landes mit dem Subkontinent, der nicht zuletzt die Rohstoffe besitze, die die Industrie seines Landes benötige. Abe machte keinen Hehl daraus, mit welchen Ländern er vor allem kooperieren wolle. Die Staaten der »Pazifik-Allianz« stünden Japan ideologisch wohl am nächsten, erklärte er. Insbesondere mit ihnen wolle er engere Bande knüpfen. Die gesamte Lateinamerikareise des japanischen Premierministers war darauf abgestimmt. Sie hatte am 25. Juli in Mexiko begonnen, einem Mitglied der Allianz, und hatte ihn dann unter anderem nach Kolumbien und Chile geführt, die dem Bündnis ebenfalls angehören. Tokio, das sich derzeit immer aggressiver gegen China in Stellung bringt, bemüht sich um wirtschaftliche und politische Rückendeckung jenseits des Stillen Ozeans.

Die Pazifik-Allianz, um deren Gunst Shinzo Abe wirbt, geht auf eine Zusammenkunft der Präsidenten Chiles, Perus, Kolumbiens und Mexikos am 28. April 2011 in der peruanischen Hauptstadt Lima zurück. An diesem Tag kündigten die vier Staatsoberhäupter in ihrer »Erklärung von Lima« (»Declaración de Lima«) an, eine »Alianza del Pacífico« gründen zu wollen. Ziel sei es, »Schritt für Schritt den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen herbeizuführen«, hieß es in dem Dokument. Umfassende Verhandlungen setzten ein, und ein gutes Jahr später – am 6. Juni 2012 – konnten die Präsidenten der vier Staaten bei ihrem nun schon vierten Gipfeltreffen im nordchilenischen Antofagasta ihre Unterschrift unter den »Acuerdo Marco de la Alianza del Pacífico« setzen – das »Rahmenabkommen der Pazifik-Allianz«. Darin bestätigten sie die ursprünglichen Ziele und legten die Formalitäten für die weitere Zusammenarbeit fest – von der Einrichtung eines Ministerrats über Vereinbarungen zum geschäftsführenden Vorsitz bis zu den Modalitäten bei der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten.

Konkurrenzvereinigungen

Politisch sind die Gründungsmitglieder der Pazifik-Allianz vor allem durch zwei Elemente miteinander verbunden: durch ihre prinzipiell neoliberale Orientierung und durch ihre Nähe zu den USA. Chile gilt immer noch als Pionier des neoliberalen »Washington Consensus«, jener berüchtigten von Internationalem Währungsfonds und Weltbank orchestrierten Strukturanpassungsprogramme, die zur Verarmung weiter Bevölkerungsteile führten. Kolumbien ist unter den Ländern Lateinamerikas dasjenige, das wohl am stärksten der Einflußnahme der Vereinigten Staaten ausgesetzt ist. Mexiko wiederum ist seit dem Inkrafttreten des »North American Free Trade Agreement« (NAFTA) am 1. Januar 1994 ökonomisch so eng an die USA gebunden, daß Günther Maihold, ein führender Lateinamerika­experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), dessen außenpolitische »Handlungsautonomie« schon vor einigen Jahren als ziemlich »beschränkt« einstufte. Eine zentrale Rolle hat für die Pazifik-Allianz von Anfang an der Freihandel insbesondere mit den westlichen Staaten gespielt. Die vier Gründungsmitglieder unterhalten sämtlich Freihandelsabkommen mit den USA, mit Kanada und mit der EU – ganz wie Costa Rica, das sich zur Zeit im Beitrittsprozeß zur Pazifik-Allianz befindet und fünftes Mitglied werden soll.

Innerhalb Lateinamerikas steht die Pazifik-Allianz in Konkurrenz vor allem zur zwei weiteren Staatenbünden: zum Mercosur und zur ALBA. Der Mercosur (»Mercado Común del Sur«) ist am 26. März 1991 mit dem »Tratado de Asunción« gegründet worden. Ihm gehören Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und seit dem 12. August 2012 Venezuela an, Bolivien und Ecuador befinden sich im Beitrittsprozeß. Bereits der Mercosur sollte einen einheitlichen Binnenmarkt schaffen, und in den ersten Jahren kamen seine Mitglieder damit gut voran. So wurden etwa Zölle erfolgreich abgebaut, der Handel innerhalb des Mercosur wuchs genauso wie die Summe der Bruttoinlandsprodukte der Mitgliedstaaten und die Direktinvestitionen aus dem Ausland. 1999 nahm die EU Gespräche über den Abschluß eines Freihandelsabkommens mit dem südamerikanischen Staatenbund auf, die jedoch versandeten. Auch der Mercosur selbst geriet spätestens mit dem Kollaps des argentinischen Finanzsystems im Jahr 2001 in eine schwere Krise, von der er sich bislang nicht wieder erholen konnte. Er stagniert, manche haben ihn sogar bereits für tot erklärt. Jüngst hat Brasilien Versuche unternommen, ihn wiederzubeleben. Die stärkste Macht Südamerikas will auf keinen Fall gegenüber der Pazifik-Allianz ins Hintertreffen geraten, sondern vielmehr ihrer Industrie besseren Zugang zu Absatzmärkten schaffen. Jüngste Ideen sind entweder ein Freihandelsabkommen des Mercosur mit der Pazifik-Allianz oder eine Neuauflage entsprechender Verhandlungen mit der EU. Nennenswerte Fortschritte sind bislang jedoch ausgeblieben.

Wohl noch wichtiger ist allerdings die Rivalität zwischen Pazifik-Allianz und ALBA (»Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América«). Die ALBA, am 14. Dezember 2004 in Havanna auf Initiative von Venezuela und Kuba gegründet, ist als Gegenmodell zu Plänen für eine neoliberale, US-geführte gesamtamerikanische Freihandelszone (»Free Trade Area of the Americas«, FTAA) konzipiert worden und zählt mittlerweile sieben weitere Mitglieder (Antigua und Barbuda, Bolivien, Dominica, Ecuador, Nicaragua, Santa Lucía, San Vicente und die Grenadinen). Surinam befindet sich im Beitrittsprozeß. Nach dem Scheitern der FTAA-Pläne führt die ALBA die Bemühungen um Alternativen zum Neoliberalismus und zur Hegemonie von USA und EU fort. Damit steht das Bündnis den zentralen Zielen der Pazifik-Allianz diametral entgegen. Umgekehrt berichtete etwa die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung im Juni 2012, Beobachter seien sich »einig«, daß die Pazifik-Allianz »als klares Gegengewicht gegenüber den linkspopulistisch ausgerichteten Ländern und Bündnissen in Lateinamerika à la Hugo Chávez« eingestuft werden könne. Die Rivalität ist Programm.

Die Volksrepublik im Visier

Last, not least hat die Pazifik-Allianz neben ihrer prowestlich-neoliberalen Orientierung, die sie in Konkurrenz vor allem zur ALBA führt, noch eine weitere Besonderheit, der sie ihren Namen verdankt: Ihre Mitglieder sind sämtlich Pazifikanrainer. Das ist keine Nebensächlichkeit. Denn die USA haben begonnen, ihre Kräfte auf den Machtkampf gegen die Volksrepublik China zu fokussieren, die ungebrochen erstarkt. Sie konzentrieren sich deshalb zunehmend auf Ost- und Südostasien und haben das 21. zum »pazifischen Jahrhundert« erklärt. Die Pazifik-Allianz wolle »die wirtschaftlichen Beziehungen insbesondere mit Asien und den Ländern im Pazifikraum« ausbauen, berichtete die Adenauer-Stiftung anläßlich der Gründung des Bündnisses im Juni 2012. Zum Beleg zitierte sie den damaligen Präsidenten Chiles, Sebastián Piñera, der geäußert hatte: »Die Asien-Pazifik-Region ist längst kein Versprechen der Zukunft mehr, sondern eine Option der Gegenwart«. Ganz ähnlich äußerte sich Samuel George, ein Lateinamerikaexperte, der zur Zeit für die Washingtoner Bertelsmann Foundation tätig ist, den US-Ableger der deutschen Bertelsmann-Stiftung. Wenngleich die Region an der »Westküste Lateinamerikas« in den letzten Jahrzehnten »ein globaler Hinterhof gewesen« sei, so könne sie »in einem pazifischen Jahrhundert durchaus in den Mittelpunkt rücken«, erläuterte er im März in einer Analyse.

Die stärker werdende pazifische Orientierung tritt bei einigen Mitgliedern der Allianz in den Handelsbilanzen offen zutage. Für alle vier Gründungsmitglieder ist China mittlerweile mit 15 bis 19 Prozent ihrer Importe der zweitwichtigste Lieferant nach den USA und vor der EU. Nur im Falle des ökonomisch stark US-dominierten Costa Rica liegen die Einfuhren aus der Volksrepublik mit rund acht Prozent noch im einstelligen Bereich. Peru verkauft an das Land mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern genauso viele Ressourcen wie an die EU und mehr als an die USA. Für Chile ist Peking sogar der mit Abstand wichtigste Exportabnehmer; zudem übersteigen Chiles Lieferungen an zwei weitere Staaten Ostasiens, Japan und Südkorea, zusammengenommen ebenfalls seine Ausfuhren an die EU wie auch an die USA. Dabei nimmt der Handel mit China immer noch weiter zu. Die BRD hat inzwischen sogenannte Rohstoffpartnerschaften mit Chile und Peru (siehe jW vom 19.7.2014) geschlossen, um sich für die Zukunft den Zugriff auf einen Teil der dortigen Ressourcen zu sichern – ganz eindeutig in Konkurrenz zu Peking.

Wächst Chinas Wirtschaftseinfluß ungebrochen, so wird die Volksrepublik auch politisch in Lateinamerika immer stärker. Zuletzt war das bei der Lateinamerikareise von Staatspräsident Xi Jinping vom 15. bis zum 23. Juli zu erkennen. Xi besuchte Brasilien und Argentinien sowie die ALBA-Staaten Venezuela und Kuba. Überall standen Vereinbarungen zu Großprojekten und Krediten in Milliardenhöhe auf dem Programm. Vor allem die ALBA-Staaten öffnen sich auch politisch für die Volksrepublik. »China praktiziert die internationalen Beziehungen auf der Grundlage von Gleichheit«, lobte der Präsident Venezuelas, Nicolás Maduro, im Mai. »Es zeigt, daß es zu Beginn des 21. Jahrhunderts möglich ist, eine neue Weltordnung ohne die imperialistischen Praktiken der Kolonisierung und der Dominanz aufzubauen.« Ein gigantisches Vorhaben, das eminenten politischen Einfluß auf das »pazifische Jahrhundert« haben kann, plant gegenwärtig das ALBA-Mitglied Nicaragua gemeinsam mit einem chinesischen Investor. Ende des Jahres will es mit dem Bau eines Kanals beginnen, der von der nicaraguanischen Karibikküste durch den Nicaraguasee bis an die Pazifikküste des Landes führen soll. Gelingt es, ihn fertigzustellen, dann wäre das Monopol des von den USA gebauten und lange in ihrem Besitz befindlichen Panamakanals gebrochen. Panama strebt übrigens die Mitgliedschaft in der Pazifik-Allianz an.

Rohstoffreichtum

In der Konkurrenz mit dem Mercosur und vor allem mit der ALBA bringt die Pazifik-Allianz einiges Gewicht auf die Waage. Zählt man Costa Rica mit, dann kommt sie auf 209 Millionen Einwohner – deutlich mehr als Brasilien, das größte und mächtigste Land Lateinamerikas. Ihr Bruttoinlandsprodukt erreicht zusammengerechnet mehr als zwei Billionen US-Dollar, das sind 37 Prozent aller in Lateinamerika produzierten Waren und Dienstleistungen innerhalb eines Jahres. Außerdem geht etwa die Hälfte des lateinamerikanischen Außenhandels auf sie zurück. Seit 2005 verzeichnet sie ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 4,69 Prozent im Jahr. Im »Mercado Integrado Latinoamericano« (­MILA) haben sich die Börsen Kolumbiens, Perus und Chiles zusammengetan. Schließt sich Mexiko an – der Schritt wird derzeit vorbereitet –, dann entsteht die größte Börse ganz Lateinamerikas.

Mexiko ist als NAFTA-Mitglied ein günstiger Niedriglohnstandort für solche Firmen, die den US-Markt beliefern. Außerdem ist es elftgrößter Erdölförderer weltweit. Kolumbien zählt derzeit ebenfalls zu den Top 20 und besitzt außerdem bedeutende Kohlevorkommen. Chile und Peru verfügen über riesige Lagerstätten an wertvollen Metallerzen, Chile etwa besitzt die weltweit größten Kupfervorräte, Peru ist der größte Kupfer- und Silberlieferant für die BRD.

Ökonomisch nützlich, neoliberal und zuverlässig prowestlich orientiert – die Pazifik-Allianz ist ein optimales Instrument für die US-amerikanische Einflußnahme in Lateinamerika. ­Washington kommt das durchaus recht, denn aus seiner Sicht läuft auf dem Subkontinent längst nicht alles nach Plan. Da wären etwa die ALBA-Staaten, die die Vormachtstellung des Westens nicht anerkennen wollen. Ihre Politik beruht, wie deutsche Think-Tanks einräumen, auf tiefgreifenden Umwälzungen. In Venezuela beispielsweise seien die alten Eliten, die traditionell eng mit den USA und Westeuropa kooperierten, mittlerweile von den »Entscheidungsprozessen über die Verwendung der Einkommen« des Staates ausgeschlossen, hielt das »German Institute of Global and Area Studies« (GIGA) im Herbst 2012 fest. Zudem seien sie durch »die rigorose Verfolgung und Bestrafung« und durch »Vertreibung und Landnahme« empfindlich geschwächt. Mit ihnen haben Washington, Berlin und Brüssel in der Tat verläßliche Kooperationspartner verloren. Ähnlich etwa in Ecuador: Auch dort hätten die »traditionelle(n) Eliten aus der Wirtschaft und den Massenmedien« inzwischen »deutlich an politischem Einfluß« eingebüßt, berichtete die Friedrich-Ebert-Stiftung im März 2013. Im damaligen ALBA-Mitgliedsland Honduras konnten die »traditionellen Eliten« 2009 per Putsch wieder an die Macht gebracht werden, woraufhin diese Regierung prompt den Austritt aus der ALBA verkündete. In Venezuela und weiteren Staaten des Bündnisses sind ähnliche Versuche jedoch bislang mißglückt. Mehr noch: In einigen Bereichen scheinen die Dinge der Kontrolle ­Washingtons zu entgleiten. Das zeigt das Beispiel CELAC.

Pazifische Pumas

Die CELAC (»Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten«, »Comunidad de Estados Latinoamericanos y Caribeños«), ist Ende 2011 in der venezolanischen Hauptstadt Caracas gegründet worden. Den Anstoß hatte letztlich Washingtons Unterstützung für den Putsch in Honduras im Sommer 2009 gegeben – darunter gewisse US-Manipulationen innerhalb der »Organisation Amerikanischer Staaten« (OAS), die ebenfalls den Putschisten zugute kamen. Einigen Regierungen Lateinamerikas war das endgültig zuviel. Die CELAC-Gründung, die bereits am 23. Februar 2010 auf einem Gipfeltreffen lateinamerikanischer und karibischer Staatschefs beschlossen worden war, wurde dann mit der Unterzeichnung der »Declaración de Caracas« am 2./3. Dezember 2011 in aller Form vollzogen. Dem neuen Zusammenschluß gehören alle souveränen Staaten des Kontinents bis auf die Vereinigten Staaten sowie Kanada an. Kuba, das in der OAS auf Druck der USA bis heute von den Gipfeltreffen ausgeschlossen ist, kann in der CELAC an sämtlichen Aktivitäten teilnehmen. Ende Januar wurde der zweite Gipfel des Bündnisses demonstrativ in der kubanischen Hauptstadt Havanna abgehalten. Zudem baut die CELAC – und das ist aus Sicht Washingtons vielleicht noch schlimmer – enge Beziehungen zu China auf. Am 9. August 2012 kamen die Gemeinschaft und die Volksrepublik auf einem Treffen in Beijing überein, ein »China-CELAC Forum« zu gründen sowie weitere gemeinsame Schritte zu unternehmen. Die Bildung des Forums ist am 18. Juli 2014 in São Paulo im Beisein des chinesischen Präsidenten Xi in aller Form vollzogen worden. Ein erstes Ministertreffen in diesem Rahmen werde »so bald wie möglich in Peking stattfinden«, kündigte Xi in der brasilianischen Hauptstadt an.

Wie gerufen kommt da für Washington die Pazifik-Allianz, die mit China zwar Geschäfte macht, politisch aber nichts mit der Volksrepublik zu tun haben will. »Für die Vereinigten Staaten ist die Pazifik-Allianz ein Schlüsselverbündeter bei dem Versuch, den Handel im 21. Jahrhundert zu beeinflussen«, schreibt Bertelsmann-Experte Samuel George. »Ob absichtlich oder zufällig« – ihre Mitglieder verfolgten »genau das Entwicklungsmodell«, das die Vereinigten Staaten »als globalen Standard setzen« wollten. Washington ziehe es in Betracht, der Allianz künftig beizutreten, und es habe bereits Beobachterstatus bei ihr erhalten. Offiziell bleibe man aber bewußt auf Abstand. Denn gelänge es ALBA- oder ­Mercosur-Staaten – ganz zu schweigen von Oppositionellen aus den Ländern des Bündnisses selbst –, »die an Freihandel und Geschäft orientierte Politik der Allianz als lakaienhafte Rücksichtnahme auf die USA darzustellen«, dann könnte die Pazifik-Allianz jeglichen Reiz verlieren, warnt George. Die Vereinigten Staaten gäben sich daher in der Öffentlichkeit damit zufrieden, das Bündnis »in eigener Verantwortung reifen zu lassen«. »Jenseits des Scheinwerferlichts« unterstütze Washington jedoch die Integration; so habe etwa das US-Finanzministerium »technische Hilfe« beim Börsenzusammenschluß im Rahmen des »Mercado Integrado Latinoamericano« (MILA) geleistet.

Das Echo in Deutschland und der EU ist gemischt. Einerseits beobachtet Berlin die Entwicklung der CELAC durchaus mit Interesse. In Zusammenarbeit mit der Organisation, die auf Abstand zu den Vereinigten Staaten geht, könne man »für die Verfolgung europäischer Positionen auf globaler Ebene viel gewinnen«, urteilte Ende 2012 die Adenauer-Stiftung kurz vor dem ersten EU-CELAC-Gipfel. Man könne sich dabei etwa mit Brasilien zusammentun. Der Gedanke, gemeinsam mit Brasilien – dem bedeutendsten deutschen Wirtschaftspartner in Lateinamerika – ein Gegengewicht zum beherrschenden US-Einfluß auf dem Subkontinent aufzubauen, ist in der deutschen Hauptstadt immer wieder erwogen worden. Andererseits weisen Wirtschaftskreise auf die Attraktivität der Pazifik-Allianz für profitorientierte Unternehmen hin. »Lateinamerikas neue Stars« war ein Kommentar überschrieben, in dem die Deutsche Bank vergangenes Jahr für Aktivitäten in den Mitgliedsländern des Bündnisses warb. Der Außenwirtschaftsverband »Lateinamerika Verein« widmete seinen Lateinamerika-Tag Ende Oktober 2013 einer Vorstellung des hierzulande noch nicht allzu bekannten Bündnisses und seines ökonomischen Potentials. »The Pacific Pumas« lautet schließlich – in Anlehnung an die in den 1980er Jahren boomenden »Asian Tigers« – der Titel einer Analyse der Washingtoner Bertelsmann Foundation, die für eine breite Unterstützung der Pazifik-Allianz wirbt. Vor allem transatlantische Kreise trommeln dafür, Lateinamerika gemeinsam mit den USA und den fünf Mitgliedern der Freihandelszone, den »Pacific Pumas«, aufzurollen – um Versuchen insbesondere von ALBA, sich der westlichen Hegemonie zu entziehen, ein für allemal ein Ende zu setzen.

Auf globaler Ebene solle die Kooperation darauf hinauslaufen, heißt es in der von Samuel George verfaßten Bertelsmann-Analyse, in Zusammenarbeit mit der Pazifik-Allianz ein strategisches »transatlantisches Dreieck« zu schaffen. Für die Vereinigten Staaten könnten deren Mitglieder »verläßliche Verbündete für die Führung der Hemisphäre werden«. Aus Sicht der EU stellten sie sich »als politisch stabile Wachstumsregion mit engen Bindungen an Europa« dar. Die USA und die EU wiederum böten den »Pacific Pumas« einen attraktiven »Zugang zu Einfluß und Kapital«, also hätten alle etwas davon. Gelinge es, das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), das vorrangig zwischen der EU und den USA besiegelt werden soll, zum Abschluß zu bringen und die Pazifik-Allianz informell in den Pakt einzubinden, dann könne alles in allem ein gewaltiger westlicher Block entstehen. Die Staaten der Pazifik-Allianz würden in ihm zu »Partnern und Teilnehmern an der transatlantischen Führung im 21. Jahrhundert«.

Transatlantisch und pazifisch

Transatlantisch? War da nicht so etwas wie ein »pazifisches Jahrhundert« der USA? Aber ja doch. Die Pazifik-Allianz ist bestens geeignet, als Verbündeter der Vereinigten Staaten und der EU die traditionelle westliche Hegemonie aufrechtzuhalten. Denn die Allianz der südamerikanischen Staaten ist ja mittlerweile wirtschaftlich spürbar in Richtung Ostasien orientiert. Das aktuelle Mittel der Wahl zu diesem Zweck ist die im Entstehen begriffene Transpazifische Partnerschaft (»Trans-Pacific Partnership«, TPP). Der Sache nach handelt es sich um ein weiteres umfassendes Freihandelsabkommen, das in den Vereinigten Staaten ähnliche Kritik wie das TTIP auf sich zieht. Die Verhandlungen darüber wurden 2002 von Singapur, Neuseeland und Chile gestartet. Die USA schalteten sich offiziell erst 2008 in die Gespräche ein. Inzwischen sind zwei weitere Mitglieder der Pazifik-Allianz beteiligt – Mexiko und Peru –, daneben Kanada, Australien, drei Länder des südostasiatischen Staatenbundes ASEAN (Brunei, Malaysia, Vietnam) sowie Japan. Südkorea gilt als mögliches weiteres Mitglied. Kolumbien würde gerne, darf aber aus technischen Gründen nicht beitreten – es gehört der »Asia-Pacific Economic Cooperation« (APEC) nicht an, was jedoch als Voraussetzung für eine Mitgliedschaft gilt. Ökonomen schwärmen bereits, die im TPP zusammengeschlossenen Länder erarbeiteten gut ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung – eine gewaltige Summe.

Diese Wirtschaftsmacht aber käme wohl vor allem einem strategischen Ziel zugute: dem westlichen Kampf gegen China. Sämtliche Mitglieder der Transpazifischen Partnerschaft gelten als potentielle Rivalen der Volksrepublik, darunter die drei südostasiatischen TPP-Staaten, die mit der Volksrepublik im Streit um Inselgruppen liegen und sich gegen Peking mit dem Westen zusammentun und mit Japan, das sich bereits überaus aggressiv gegen China in Stellung bringt. Indem die Pazifik-Allianz den Aufbau der TPP-Organisation mit vorantreibt, trägt sie zum Ausbau des westlichen Bündnissystems für das »pazifische Jahrhundert« der Vereinigten Staaten bei. Der neue »transatlantische« Block, der entstünde, sollten TTIP und TPP Erfolg haben und die Pazifik-Allianz in Lateinamerika weiter an Einfluß gewinnen, reichte dann letztlich von Deutschlands östlichen Nachbarstaaten über den Atlantik nach Amerika und weiter bis zu den ost- und südostasiatischen Verbündeten von USA und EU. Noch ist das Zukunftsmusik, die Strategen in den Schaltzentralen der westlichen Mächte arbeiten aber fleißig daran, ihre globalen Herrschaftspläne zu realisieren.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 7. August 2014


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