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Latinos warnen USA moderat

UNASUR-Gipfel betont "Integrität und Souveränität" der lateinamerikanischen Staaten

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Mit einer Warnung an ausländische Streitkräfte ist der Sondergipfel der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) zu dem umstrittenen Militärpakt zwischen Kolumbien und den USA zu Ende gegangen.

Das hatte Südamerika noch nicht erlebt: Öffentlich und live in voller Länge im Fernsehen diskutierten die zwölf Staats- und Regierungschefs der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) die Militärstrategie der USA für ihre Region. Was die US-Militärs im südlichen Teil Amerikas vorhaben, wird jetzt genau unter die Lupe genommen. Dies beschlossen die zwölf am Freitag (28. Aug.) bei ihrem außerordentlichen Gipfeltreffen in der argentinischen Stadt Bariloche. In ihrer Abschlusserklärung betonten die Teilnehmer ihre »Souveränität und Integrität«. .

Nach den bisherigen Informationen sollen auf sieben Basen bis zu 800 US-Soldaten und 600 Mitglieder privater Militärfirmen stationiert werden. Derzeit halten sich rund 300 US-Soldaten in Kolumbien auf. Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe, der auf dem UNASUR-Gipfel Anfang August im ecuadorianischen Quito nicht erschienen war, verteidigte abermals die Militärpräsenz der USA als Hilfe im Kampf gegen den Drogenhandel.

Während Hugo Chávez in Quito von »Winden des Krieges« sprach, die durch die Region wehen, unterlegte er seine Worte in Bariloche, indem er fast ausschließlich aus einem, wie er es nannte »Weißbuch 'Global Enroute Strategy'« referierte. Das ist ein Strategiepapier der US-Luftwaffe, das wenigstens seit Mai öffentlich zugänglich ist. Es geht darin um die zukünftigen Transport- und Luftwege zu den für die USA wichtigen Weltregionen. Und es behandelt die Anforderungen, die zukünftige Luftwaffenbasen außerhalb der USA zu erfüllen haben.

Mit den Worten »und jetzt kommt die Perle des Ganzen« zitierte Chávez aus dem Text: »Mit Hilfe der AMC (Mobilen Luftkommandos) und des Kommandos Transport hat das US-Kommando-Süd Palanquero in Kolumbien als einen Ort der Sicherheitskooperation ausgemacht. Von diesem Ort aus kann der Kontinent fast zur Hälfte von einer C-17 ohne Wiederbetanken abgedeckt werden. Und könnte die C-17 (riesiges Flugzeug, das Boeing herstellt, d. Red.) mit Treibstoff versorgt werden, umfasst sie den ganzen Kontinent, außer Kap Hoorn am Ende von Chile und Argentinien.«

Aufgeschreckt von dem, was der Venezolaner und gelernte Soldat Hugo Chávez seinen Amtskollegen fachgerecht als »flächendeckende Überwachung« durch die US-Luftwaffe interpretierte, wurde spontan und einstimmig ein umgehendes Treffen mit dem US-Präsidenten Barack Obama gefordert. Jedoch taucht die Forderung in der Schlusserklärung nicht mehr auf. Dies dürfte auf den brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio »Lula« da Silva zurückgehen. Lula hatte bereits vor zwei Wochen ein Treffen mit Obama wegen der Stützpunkte in Kolumbien angeregt, sich aber in Washington einen Korb geholt. Vorerst steht kein Treffen des US-Präsidenten mit einem südamerikanischen Amtskollegen auf der Tagesordnung.

Lula gab sich in Bariloche sehr moderat in seinen Äußerungen und wiederholte lediglich seine Forderung an Uribe, nach der in dem Vertrag garantiert werden soll, dass die US-Militärpräsenz zu keinen militärischen Aktionen in anderen Ländern führt. Auch die Präsidenten aus Chile und Uruguay bekräftigten ihre moderaten Positionen, Peru blieb bei seiner Unterstützung während die argentinische Gastgeberin Cristina Kirchner sich gegen die Pläne wandte. Boliviens Evo Morales sprach sich vehement gegen die US-Präsenz aus.

Spannung versprach die Rede von Ecuadors Präsident Rafael Correa. Zwischen Ecuador und Kolumbien sind die diplomatischen Beziehungen noch immer unterbrochen. Mit einer Powerpoint-Präsentation von Statistiken, Grafiken und Landkarten zeigte Correa auf, dass eine US-Militärpräsenz im Kampf gegen den Drogenhandel nichts ausrichtet. Im Gegenteil: Seit Ecuador nicht mehr mit der US-Drogenbehörde DEA zusammenarbeitet, ist die beschlagnahmte Menge von Drogen erheblich angestiegen, so Correa. Mehrmals wandte er sich, direkt in die Kamera schauend, an die kolumbianische Bevölkerung: »Von Ecuador geht keine Gefahr aus.«

Eine gemeinsame Ablehnung der Stationierung ausländischer Militärs wurde nicht erwartet und auch nicht erzielt. Der UNASUR-Sicherheitsrat wurde beauftragt, in den kommenden Wochen die US-Militärstrategie für Südamerika zu analysieren.

* Aus: Neues Deutschland, 31. August 2009


Großer Schritt

Erfolgreicher Unasur-Gipfel in Argentinien. Gemeinsame Erklärung zu US-Stützpunkten in Kolumbien

Von André Scheer **


Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe hat vermutlich schon angenehmere Stunden verlebt als am vergangenen Freitag im argentinischen Bariloche. Bei einem außerordentlichen Gipfeltreffen der Union Südamerikanischer Nationen (Unasur) mußte er seinen elf Amtskollegen aus der Region, die zu der Konferenz angereist waren, Rede und Antwort über die geplanten sieben US-Militärbasen in seinem Land stehen.

Kolumbiens Staatschef bemühte sich, die Stationierung von US-Truppen in seinem Land als Hilfe Washingtons bei der Bekämpfung von Terrorismus und Drogenhandel darzustellen. »Kolumbien, das Opfer dieser Probleme ist, bekommt bei allen Foren Solidaritätserklärungen, aber nur selten gibt es eine praktische Zusammenarbeit. Die Hilfe, die uns die USA gewährt haben, war praktisch und effizient.« Konkret benannte Uribe die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), die älteste und stärkste Guerillaorganisation des Landes: »Uns bereitet Sorge, daß diese Gruppen nicht ernsthaft als Terroristen behandelt werden, daß ihnen politische Inhalte zugestanden werden, daß manchmal Forderungen aufkommen, sie als Kriegsparteien anzuerkennen. Sie haben Schlupflöcher, aber keine Kontrolle über Gebiete. Uns bereitet Sorge, daß in einigen Reden diese Gruppen als politische Verbündete auftauchen. Uns bereitet Sorge, daß sich diese Gruppen in Gebieten außerhalb Kolumbiens verstecken können, dann kommen, um Verbrechen in Kolumbien zu verüben und sich dann wieder außerhalb verstecken.«

Ecuadors Präsident Rafael Correa, der momentan die Präsidentschaft der südamerikanischen Gemeinschaft ausübt, beantwortete die Argumentation Uribes mit einer detaillierten Präsentation. So erinnerte er daran, daß der von Uribe als Beispiel für frühere »effiziente Zusammenarbeit« von Washington und Bogotá genannte »Plan Colombia« ursprünglich zum Ziel gehabt habe, 50000 Hektar Drogenanbaugebiete zu vernichten, dies sei aber nur bei 10000 Hektar gelungen. Noch immer sei Kolumbien das Land, aus dem 51 Prozent der Kokainproduktion der Region stammen, während in den von Uribe besonders attackierten Ländern Ecuador und Venezuela UN-Angaben zufolge praktisch keine Kokainproduktion existiere. In dieser Hinsicht sei der »Plan Colombia« ganz offensichtlich gescheitert, sagte Correa gegen den wütenden Widerspruch Uribes. Erfolgreich sei der Plan hingegen bei der Bekämpfung der FARC gewesen, erklärte Correa und zitierte kolumbianische Regierungsangaben, wonach die Zahl der aktiven Guerilleros von 22000 im Jahr 2000 auf gegenwärtig 8000 zurückgegangen sei. »Aber wenn das stimmt, wozu brauchen Sie dann die US-Militärbasen?« wendete er diese Zahlen gegen die kolumbianische Regierung und wies die Vorwürfe Uribes zurück, wonach die bewaffneten Gruppen Unterschlupf in den Nachbarländern finden. »Es ist genau umgekehrt«, betonte der offensichtlich ungehaltene Correa anhand einer Karte, auf der die Operationsgebiete der verschiedenen Gruppen im Süden Kolumbiens eingezeichnet waren. »Diese Gruppen dringen nach Ecuador ein, begehen dort Verbrechen, Entführungen, erpressen Schutzgelder.« Deshalb habe Ecuador neben seinen üblichen Grenztruppen mehr als 1500 Sicherheitskräfte in der Region stationiert, um die Bevölkerung zu schützen. Auf der kolumbianischen Seite gebe es dagegen kaum Polizei oder Grenzposten, »und mit bloßem Auge kann man manchmal von Ecuador aus die Lager dieser irregulären Gruppen sehen, ohne daß es dort Präsenz der Sicherheitskräfte gäbe«.

Trotz der konträren Positionen in Bariloche gelang es den versammelten Staatschefs doch, sich auf eine gemeinsame Erklärung zu einigen. In der wird zwar die Einrichtung der US-Stützpunkte in Kolumbien nicht verurteilt. Aber es wird betont, daß Abkommen über eine Kooperation im militärischen Bereich die Souveränität, Integrität und Unverletzbarkeit der Staaten respektieren und das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Länder beachten müßten. Unasur solle als eine »Zone des Friedens« gefestigt werden, heißt es in dem Dokument.

In der ersten Septemberhälfte sollen die Außen- und Verteidigungsminister der Region zu einer weiteren Konferenz zusammenkommen. Sie werden demnach über gemeinsame Maßnahmen beraten, durch die das Vertrauen zwischen den Staaten gestärkt wird und gemeinsame Sicherheitsanstrengungen unternommen werden können, ohne die Souveränität der einzelnen Länder zu verletzen.

Venezuelas Präsident Hugo Chávez würdigte nach Abschluß der Beratungen das Gipfeltreffen als einen »großen Schritt der Integration«. Vor zehn Jahren wäre eine solche Zusammenkunft undenkbar gewesen, da es keine Organisation der südamerikanischen Staaten gegeben habe, die zur Diskussion derartiger Probleme hätte einladen können. Auf die momentan »eingefrorenen« Beziehungen zu Kolumbien habe das Treffen jedoch keinen Einfluß gehabt, betonte Chávez, denn es sei unmöglich, daß Kolumbien tatsächlich die Aktivitäten der US-Militärs auf seinem Staatsgebiet kontrollieren könne. Bereits während der Konferenz hatte der venezolanische Staatschef betont, der wirkliche Grund für die Einrichtung der US-Militärbasen in Kolumbien sei die Strategie Washingtons, mit militärischer Macht die Hegemonie über den Kontinent zurückzugewinnen.

Optimistischer zeigte sich Correa, der vor allem hervorhob, daß die Staaten Südamerikas die US-Basen in Kolumbien inspizieren dürfen. Damit habe Unasur Geschichte geschrieben, denn eine solche Inspektion ausländischer Stützpunkte habe es in Südamerika noch nicht gegeben. »Das Treffen war ein voller Erfolg. Es war hart, weil das Thema schwierig war, aber es ist in Harmonie zu Ende gegangen, einstimmig wurde eine Resolution verabschiedet.« Inhaltlich schloß sich Correa jedoch der Kritik seines venezolanischen Amtskollegen an: »Niemand wird kontrollieren können, was die Nordamerikaner in diesen Basen tun«.

** Aus: junge Welt, 31. August 2009


Gipfel der Diplomatie

Von Martin Ling ***

Die Punktsieger heißen Lula und Fernández de Kirchner. Der mit Spannung erwartete außerordentliche Gipfel der Union der Südamerikanischen Nationen (UNASUR) entlud sich nicht in einem großen Knall. Die offene, diplomatische Kampfansage an die USA und Kolumbiens Präsidenten Álvaro Uribe wegen der geplanten Nutzung kolumbianischer Militärbasen durch die US-Armee blieb in der Abschlusserklärung aus. Das ist ein politischer Erfolg für die linksmoderaten Präsidenten aus Brasilien (Lula) und Argentinien (Fernández de Kirchner), denn an klaren und scharfen An- und Aussagen seitens der linken Präsidenten Chávez, Correa und Morales während des Treffens fehlte es nicht.

Dabei teilen Brasilien und Argentinien durchaus die Befürchtungen von Venezuela, Ecuador und Bolivien, dass die USA über Kolumbien ihre geopolitischen und geostrategischen Interessen auf dem Subkontinent vorantreiben. Dass es solche Pläne gibt, ist so offenkundig, dass Chávez aus frei zirkulierenden US-Strategiepapieren zitieren konnte.

Dennoch macht es Sinn, die Administration von Barack Obama diplomatisch aus der Reserve zu holen. Auch sie ist qua Funktion Exekutor US-amerikanischer Interessen und dennoch meilenweit von der unilateralen Bush-Politik entfernt. Diese Chancen gilt es auszuloten.

*** Aus: Neues Deutschland, 31. August 2009 (Kommentar)

Bedrohung

In einer »Reflexion« vom Donnerstag kommentierte Fidel Castro die Einrichtung von US-Militärstützpunkten in Kolumbien: ****
(...) Die Übergabe von Hoheitsgebiet zur Einrichtung von sieben Militärstützpunkten der Vereinigten Staaten in Kolumbien bedroht direkt die Souveränität und Integrität der anderen Völker des Südens und von Mittelamerika, mit denen unsere Vorkämpfer das große lateinamerikanische Vaterland zu schaffen träumten. Der Yankee-Imperialismus ist hundertmal mächtiger als die kolonialen Imperien Spanien und Portugal, und er hat mit dem Ursprung, den Gebräuchen und der Kultur unserer Völker absolut nichts zu tun, sie sind ihm fremd. (...) Sie behaupten, daß sie diese Basen zur Unterstützung des Kampfes gegen den Drogenhandel, den Terrorismus, den Waffenhandel, die illegale Emigration, den Besitz von Massenvernichtungswaffen, die nationalistischen Ausschreitungen und die Naturkatastrophen benötigen.

Jenes mächtige Land ist der größte Rauschgiftkäufer und -verbraucher des Planeten. (...) Es ist der größte Markt und gleichzeitig der größte Zulieferer von Waffen für das organisierte Verbrechen in Lateinamerika; durch jene sterben jedes Jahr südlich seiner Grenzen Zehntausende Menschen. Das Land ist der größte Terrorstaat, den es je gegeben hat. Es hat nicht nur die Bomben auf zivile Städte wie Hiroshima und Nagasaki abgeworfen; und in seinen imperialen Kriegen, wie denen von Vietnam, Irak, Afghanistan, Pakistan und anderen, Tausende Kilometer entfernt liegenden Ländern, sind Millionen Menschen umgekommen. Es ist der größte Hersteller und Besitzer von Massenvernichtungswaffen, einschließlich der atomaren, chemischen und biologischen. (...)

Mit diesen Stützpunkten beabsichtigten die Vereinigten Staaten einzig und allein, Lateinamerika innerhalb weniger Stunden in Reichweite ihrer Truppen zu bringen. Die Militärhierarchie Brasiliens hat die überraschende Nachricht über die Einrichtung der US-Militärstützpunkte in Kolumbien mit echtem Mißfallen entgegengenommen. Der Stützpunkt Palanquero liegt sehr nahe an der Grenze zu Brasilien. Mit diesen Stützpunkten und mit denen der Falklandinseln, Paraguays, Perus, Honduras, Arubas, Curaçaos und anderen, würde kein einziger Punkt des Hoheitsgebiets Brasiliens und der anderen Länder von Südamerika außerhalb der Reichweite des Südkommandos bleiben (...). Dieses Programm, das den Wiederaufbau der Vierten Flotte einschloß, wurde von Bush entworfen und von der jetzigen Regierung der USA geerbt, von der einige südamerikanische Regierungschefs eine angemessene Aufklärung über ihre Militärpolitik in Lateinamerika fordern. Zur Drogenbekämpfung werden keine atomaren Flugzeugträger benötigt.

Das unmittelbare Ziel jenes Plans besteht in der Beseitigung des revolutionären bolivarianischen Prozesses und der Absicherung und Kontrolle des Erdöls und anderer Naturschätze von Venezuela. Andererseits akzeptiert das Imperium weder die Konkurrenz der neuen Schwellenland-Wirtschaften auf seinem Hinterhof noch wirklich unabhängige Länder in Lateinamerika. Es kann auf die reaktionären Oligarchien, die faschistische Rechte und die Kontrolle über die wichtigsten in- und ausländischen Massenmedien zählen. Nichts, was einer echten Gleichheit und sozialen Gerechtigkeit ähnlich sieht, wird seine Unterstützung haben. (...)

**** Aus: junge Welt, 31. August 2009




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