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Petrocaribe gewinnt an Stärke

Drittes Gipfeltreffen des Wirtschaftspakts in Caracas: Nicaragua und Haiti beigetreten

Von Harald Neuber *

Mit dem Beitritt von Nicaragua und Haiti hat das Wirtschaftsbündnis Petrocaribe an Einfluß auf die lateinamerikanische Energiepolitik gewonnen. Auf dem dritten Gipfeltreffen des 2005 gegründeten Paktes unterzeichneten die Präsidenten beider Staaten, Daniel Ortega und René Préval, am Sonnabend in Caracas ihre Beitrittserklärungen. Petrocaribe vereint damit 16 Mitgliedsstaaten aus der Region. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez legte den Teilnehmern zudem einen »Vertrag über die Energiesicherheit« für die Länder Lateinamerikas und der Karibik vor.

Petrocaribe war im Juni 2005 von der venezolanischen Regierung ins Leben gerufen worden. Zunächst regelte der Vertrag damals Erdöllieferungen zu Vorzugspreisen aus Venezuela an andere Staaten der Region. Auch die Zahlungsbedingungen wurden großzügig geregelt. So mußten die Empfänger nur einen geringen Teil des gelieferten venezolanischen Erdöls direkt bezahlen, die Restsumme kann laut Abkommen über einen Zeitraum von 25 Jahren zu einem Zinssatz von einem Prozent beglichen werden.

Zwei Jahre später hat sich Petrocaribe deutlich weiterentwickelt. Nach Angaben der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina gehört zu den mittelfristigen Zielen die gemeinsame Erschließung, Förderung und Verarbeitung von Erdöl und Erdgas durch die Mitgliedsstaaten. Mit Raffinerien in Jamaika und Kuba wurde der Grundstein für ein Netz erdölindustrieller Anlagen geschaffen, durch das die Versorgung der Staaten der Region nachhaltig gewährleistet werden soll. »Allein in Venezuela gibt es Reserven, von denen die Karibik und die meisten Völker Lateinamerikas über 200 Jahre versorgt werden können«, sagte Chávez.

Die Kooperation wird künftig zudem durch einen »Vertrag über die Energiesicherheit« gestärkt. Zehn der Teilnehmer – Grenada, Belize, Kuba, Dominica, Haiti, Nicaragua, Saint Vincent und die Grenadinen, Jamaika, Surinam und Venezuela – traten dem Pakt bei.

Ein besonderer politischer Erfolg für Gastgeber Chávez war die Teilnahme des haitianischen Staatschefs René Préval. Bei der Gründung von Petrocaribe 2005 war Haiti noch nicht eingeladen worden. Nach dem Putsch gegen Präsident Jean-Bertrand Aristide Ende Februar 2004 erkannte Venezuela das Übergangsregime nicht an. Der im Februar 2006 wieder demokratisch gewählte Präsident Préval machte nun aus seiner Sympathie für Venezuelas Regionalpolitik keinen Hehl. Die vorgeschlagene Kooperation bezeichnete der gemäßigte Linkspolitiker als »außergewöhnlich«. Es sei beachtlich, was Petrocaribe in den zwei Jahren seiner Existenz erreicht habe. Ähnlich äußerte sich der nicaraguanische Staatschef Daniel Ortega. In dem verarmten mittelamerikanischen Land wurden mit der Hilfe von Caracas Elektrizitätswerke errichtet, zudem erhielt Managua finanzielle Unterstützung und Erdöllieferungen aus Venezuela. Diese Hilfe sei für Nicaragua ein »Rettungsboot« gewesen, ohne das sein Land im neoliberalen Strudel ertrunken wäre, erklärte Ortega am Sonnabend in Caracas.

* Aus: junge Welt, 14. August 2007


Explosive Energien

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre **

Die lateinamerikanische Integration schlingert. Schuld daran sind wachsende Differenzen zwischen Brasiliens Präsidenten Lula da Silva und seinem venezolanischen Amtskollegen Hugo Chávez. Nachdem Lula letzte Woche in Mittelamerika Agrokraftstoffe als Wunderwaffe gegen Armut und Klimawandel angepriesen hatte, forderte Chávez erneut eine »breite Debatte« über den Pflanzensprit. Nun wolle das Empire den Lateinamerikanern den Anbau von Mais auferlegen, »nicht, um Kinder zu ernähren, sondern um Autos zu füttern«. Marktführer Brasilien setzt allerdings auf Ethanol aus Zuckerrohr, nicht aus Mais. Doch auch die Monokulturen der Zuckerbarone sind alles andere als umwelt- oder sozialverträglich.

Um die US-amerikanischen Zölle zu umgehen, möchte Lula zudem die Freihandelsabkommen zwischen den USA und zentralamerikanischen sowie karibischen Kleinstaaten nutzen und letztere zu Exportplattformen ausbauen. Diese Logik beißt sich mit jener des solidarischen Handels, die der Bolivarianischen Amerika-Alternative ALBA (Kuba, Venezuela, Bolivien und Nicaragua) zugrunde liegt.

Auf der anderen Seite setzt Chávez mehr denn je Erdöl und Petrodollars ein, um seinen Einfluss in der Region auszuweiten. Umweltfreundlichere Energiekonzepte kommen auch bei ihm nur am Rande vor. Dass sein Mammutprojekt einer Gaspipeline durch ganz Brasilien nicht vorankommt, liegt nicht an einem plötzlich erwachten grünen Gewissen der Präsidenten, sondern an Rivalitäten. Vor zwei Jahren verhinderten Lula und Chávez gemeinsam die gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA. Wenn sie sich jetzt spalten lassen, läuft auch das Projekt eines sozialeren Lateinamerika Gefahr, in seiner Anfangsphase stecken zu bleiben.

** Aus: Neues Deutschland, 14. August 2007 (Kommentar)




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