Kritik aus dem eigenen Lager
US-Experten bilanzieren Obamas "enttäuschende" Lateinamerikapolitik
Von Jim Lobe (IPS), Washington *
Brasiliens ehemaliger Staatspräsident Inácio »Lula« da Silva nahm kein Blatt vor den Mund. An den Beziehungen der USA zu den lateinamerikanischen Ländern habe sich seit dem Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama vor zwei Jahren nichts geändert, erklärte er unlängst zum Mißfallen US-amerikanischer Regierungsvertreter. Unerwartete Unterstützung für seine These erhielt »Lula« von US-amerikanischen Analysten, die sich schwerpunktmäßig mit Washingtons Lateinamerikapolitik beschäftigen.
So wertete Abraham Lowenthal, Gründungsmitglied des Thinktanks »Inter-American Dialogue« (IAD), zwar die Anfänge der Obama-Administration als »durchaus vielversprechend«. Doch dann sei »alles schiefgelaufen«. In wichtigen Fragen sei Obama hinter seine Zusagen auf dem Trinidad-Gipfeltreffen der beiden Teile des Kontinents im April 2009 zurückgefallen, er wolle mit seinen südlichen Nachbarn einen Umgang des gegenseitigen Respekts pflegen. So gelang es Obama nicht, die Beziehungen zu Kuba zu normalisieren. Für »Enttäuschung« habe zudem die Art und Weise gesorgt, wie die USA auf den Putsch gegen den honduranischen Staatspräsidenten reagierten.
Schlecht kam an, daß Obama sein Wahlversprechen nicht hielt, das Foltergefängnis auf dem US-Stützpunkt Guantánamo zu schließen. Auch die brüske ablehnende Reaktion auf die Bemühungen Brasiliens, die wachsenden Spannungen zwischen den USA und dem Iran abzubauen, trug nicht eben zu einer Verbesserung der Beziehungen bei. Ebenso desillusionierend wirkt nach Ansicht US-amerikanischer Analysten, daß Washington es nicht schaffte, den Kongreß zur Verabschiedung einer umfassenden Einwanderungsreform zu bewegen oder ein Gesetz durchzubringen, das Drogenkartellen den Zugang zu US-Waffen erschwert. »Es ist mehr als enttäuschend«, meinte Lowenthal, Mitherausgeber des Buchs »Shifting the Balance: Obama and the Americas« (Eine andere Gewichtung: Obama und die Amerikas). Die verbreitete Ernüchterung könnte sich in den nächsten zwei Jahren noch vertiefen, da von der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus eine Verbesserung der Beziehungen US-lateinamerikanischen Staaten nicht zu erwarten sei.
So ließ die neue Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses und erklärte Kuba-Feindin, Ileana Ros-Lehtinen, keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie eventuelle Versuche Obamas torpedieren wird, das seit 50 Jahren bestehende Handelsembargo gegen Kuba zu lockern. Außerdem ließ sie wissen, daß sie Bemühungen um eine Entspannung der Beziehungen zu Venezuela und dessen Bündnispartnern der Bolivarischen Alternative für die Amerikas (ALBA) wie Nicaragua und Bolivien entgegenwirken werde.
Mit ihrer altbekannten Schwarz-weißmalerei würden die USA jedoch bei den meisten lateinamerikanischen Regierungen auf Befremden stoßen, warnte Geoffrey Thale, Programmdirektor des Washington Office on Latin America (WOLA) – ergebnislos. In einem kürzlich veröffentlichten Memorandum forderte das neokonservative American Enterprise Institute (AEI) den US-Kongreß dazu auf, Venezuela mit Sanktionen solange zuzusetzen, bis das Land »seine aggressiven und illegalen Aktivitäten einstellt«. Das Memo mit dem Titel »Latin American Action Agenda for the New Congress« (Lateinamerikanischer Aktionsplan für den neuen Kongreß) aus der Feder von Bushs ehemaligem Lateinamerikaberater Roger Noriega wirft dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez unter anderem vor, »Irans terroristischem Staat eine strategische Plattform zu bieten«. Gefordert werden Sanktionen gegen den staatlichen venezolanischen Ölkonzern PDVSA.
Auch wenn die US-Regierung und der von Demokraten kontrollierte Senat die Umsetzung dieser Vorschläge verhindern können, könnten die radikalen Forderungen der Konservativen die Öffentlichkeit beeinflussen und einen Rechtsruck befördern.
* Aus: junge Welt, 18. Januar 2011
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