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Proteste und Dissens überschatten "Amerika-Gipfel"

Ausschluss Kubas und Malwinen-Konflikt dominieren Agenda. Mehrere Absagen schmälern Bedeutung. Soziale Bewegungen auf Gegengipfel

Von Harald Neuber *

Deutlich überschattet von Protesten sozialer Bewegungen und schweren Differenzen mit den USA und Kanada geht am heutigen Sonntag in der nordkolumbianischen Hafenstadt Cartagena de Indias der sechste sogenannte Amerika-Gipfel zu Ende. Vor allem der lediglich von den USA und Kanada verteidigte Ausschluss Kubas sowie der Disput zwischen Argentinien und Großbritannien um die Malwinen (Falkland-Inseln) im Südatlantik dominierten die Debatten am Samstag. Die offizielle Agenda rückte dabei derart in den Hintergrund, dass nach dem Ende des ersten der beiden Gipfeltage sogar die Verabschiedung einer seit Wochen vorbereiteten gemeinsamen Abschlusserklärung unklar war.

Parallel zu dem Treffen der Staats- und Regierungschefs hatten soziale Organisationen aus ganz Amerika einen Gipfel der Völker ausgerichtet. Auf diesem Forum verteidigten die Teilnehmer die Forderungen nach einer sozialen Politik sowie weiteren Friedensbemühungen auf dem Kontinent und auf internationaler Ebene. Während sich die Staatsgäste am Samstag zu ersten Beratungen trafen, zogen tausende Teilnehmer des alternativen Gipfels durch die Straßen von Cartagena.

Zu Beginn des Basisforums hatte der Sprecher des Gipfels der Völker, Enrique Daza, eine "neue soziale Verpflichtung" aller Regierungen der Region eingefordert. Der Widerstand sozialer Bewegungen habe in den vergangenen Jahren schließlich deutliche Wirkung gezeigt, da Staatsführungen wiederholt "antipopuläre Maßnahmen" zurücknehmen mussten, fügte der Aktivist an.

Die Bürgermeisterin von Bogotá und Vorsitzende der Linkspartei Polo Democrático Alternativo, Clara López Obregón, verwies darauf, dass in Lateinamerika ein "starker Wind des Wandels" wehe. "Die nordamerikanische Hegemonie ist an ihr Ende gelangt", sagte die Politikerin, während Rubens Diniz vom Brasilianischen Zentrum für den Frieden auf den "Umbau der geopolitischen Architektur Lateinamerikas" verwies. Diese Veränderungen fänden in neuen Regionalorganisationen wie der Union Südamerikanischer Staaten (Unasur) oder der Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten (Celac) Niederschlag.

Nach Einschätzung der Korrespondenten der Deutschen Presse-Agentur (dpa) war der "Begriff Diskrepanzen fast zu kurz gegriffen", um die Lage am ersten Tag des sogenannten Amerika-Gipfels zu beschreiben. "Der Gastgeber Kolumbien versuchte sein Möglichstes, damit das Treffen am Sonntag nicht ohne ein einvernehmliches und firmiertes Abschlussdokument zu Ende geht", heißt es in einem Bericht des spanischen Dienstes der dpa. Die Agentur verwies auch darauf, dass am Ende doch nur 29 der 34 eingeladenen Staats- und Regierungschefs an dem Gipfel teilnahmen.

In drei Fällen hatte dies konkrete politische Gründe: Ecuadors Präsident Rafael Correa hatte sein Kommen wegen der Kuba-Blockade der USA und Kanadas bereits im Vorfeld abgesagt. Auch Venezuelas Staatschef Hugo Chávez kam entgegen erster Pläne nicht nach Cartagena, sondern flog direkt nach Havanna, wo er weiterhin wegen seiner Krebserkrankung behandelt wird. Ebenso sagte Nicaraguas Staatschef Daniel Ortega in letzter Minute ab. Stattdessen trat der sandinistische Politiker auf einer Demonstration vor Anhängern in Managua auf, um die Position der USA und Kanadas zu kritisieren.

US-Präsident Barack Obama beklagte angesichts der massiven Kritik aus Lateinamerika und der Karibik auf einem Unternehmerforum im Beisein seines kolumbianischen Amtskollegen Juan Manuel Santos und der brasilianischen Staatschefin Dilma Rousseff die "Diplomatie des Kalten Krieges". Mitunter scheine es, "dass einige der stattfindenden Gespräche aus einer anderen Zeit stammen, aus den 1950er Jahren, indem von einer Diplomatie des Kalten Krieges und den Yankees die Rede ist, und das entspricht nicht mehr der Zeit, in der wir leben", so Obama. Doch selbst der rechtsgerichtete Präsident Kolumbiens zeigte sich davon nicht überzeugt. Es sei notwendig, "Brücken zu bauen" und "die ideologische Halsstarrigkeit im Umgang mit Kuba" zu überwinden.

Der sogenannte Amerika-Gipfel war 1994 von der damaligen Regierung von US-Präsident William "Bill" Clinton ins Leben gerufen worden, um das Projekt einer neoliberalen Freihandelszone von Alaska bis Feuerland durchzusetzen. Das Treffen wurde als außenpolitisches Instrument der USA zusätzlich zu den regelmäßig stattfindenden Iberoamerikanischen Gipfeln etabliert. Die ursprünglich geplante "Gesamtamerikanische Freihandelszone" (ALCA) wurde 2005 auf einem der Folgegipfel jedoch für gescheitert erklärt, weil sich eine Mehrzahl der amerikanischen Staaten gegen eine von den USA dominierte Handelspolitik wandte und eigene Strukturen aufgebaut hatte.

* Aus: Portal amerika21; 15. Aporil 2012; http://amerika21.de


Sexskandal statt Ergebnis

Fast alle für Kuba: USA beim Amerika-Gipfel in Cartagena isoliert

Von André Scheer **


Ohne ein greifbares Ergebnis ist im kolumbianischen Cartagena der VI. Amerika-Gipfel zu Ende gegangen. Eine gemeinsame Abschlußerklärung kam nicht zustande, weil etwa Stellungnahmen zum argentinisch-britischen Konflikt um die Islas Malvinas (Falklandinseln) oder zu einer künftigen Beteiligung Kubas an den Konferenzen am Veto Washingtons scheiterten. Auch in anderen Fragen wie etwa einer von Guatemala geforderten Drogenlegalisierung als Alternative zu einer militärischen Lösung des Problems kam es zu keiner Annäherung. Im Gegensatz zu früheren Treffen wurden die Beratungen der Staats- und Regierungschefs nicht im Fernsehen übertragen. Das Weiße Haus veröffentlichte bislang zwar Stellungnahmen von Präsident Barack Obama bei einem anschließenden Pressegespräch, den Text seiner fünfminütige Ansprache bei der geschlossenen Sitzung hingegen nicht. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua zufolge versprach Obama den 30 anwesenden Staatschefs dabei erneut eine gleichberechtigte Zusammenarbeit: »In Amerika gibt es keine Partner erster und zweiter Klasse.«

In der Frage ihrer Haltung gegenüber Kuba sind die USA inzwischen vollkommen isoliert. Selbst der stramm konservative Präsident Kolumbiens, Juan Manuel Santos, nannte den Ausschluß der Insel einen »Anachronismus aus der Zeit des Kalten Krieges«. Die Mitgliedsstaaten der Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA) veröffentlichten ein offizielles Kommuniqué, indem sie ankündigten, an keinem weiteren Amerika-Gipfel mehr teilzunehmen, wenn Kuba dann auch noch ausgeschlossen bliebe. Ohnehin hielt sich die Beteiligung der ALBA-Mitglieder an dem Treffen in Grenzen. Aus den größeren Mitgliedsländern war lediglich Boli­viens Präsident Evo Morales anwesend. Ecuadors Staatschef Rafael Correa hatte bereits im Vorfeld angekündigt, wegen des Fehlens Kubas nicht nach Kolumbien zu reisen. Kurzfristig tat es ihm am Samstag Nicaraguas Präsident Daniel Ortega gleich und sprach lieber auf einer Kuba-Solidaritätskundgebung in Managua. Venezuelas Staatschef Hugo Chávez sagte seine Teilnahme hingegen auf ärztlichen Rat ab und begab sich wieder zur Fortsetzung der Behandlung seiner Krebserkrankung nach Havanna.

Ein völlig anderes Thema bestimmte jedoch dem Vernehmen nach die Gespräche am Rande des Gipfels. Elf Leibwächter des US-Präsidenten wurden vorzeitig nach Hause geschickt und fünf Soldaten in Arrest genommen, weil sie die Dienste von Prostituierten in Anspruch genommen hatten. Dem Fernsehsender CNN zufolge war der Skandal ins Rollen gekommen, als einer der Personenschützer nicht habe bezahlen wollen, worauf die Dame zur Polizei gegangen sei. »Obamas Bewacher wegen Prostitution aus Kolumbien ausgewiesen – Schande über die Gringos, die Lateinamerika für ein Bordell halten und sich so benehmen«, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters den kolumbianischen Kolumnisten Nicmer Evans.

** Aus: junge Welt, Montag, 16. April 2012


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