Lateinamerika vertieft die Integration
Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten steht in den Startlöchern
Von Harald Neuber *
Trotz der Absage des Gründungstreffens in Venezuela soll noch in diesem Jahr die Gemeinschaft
der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (CELAC) entstehen und die Integration weiter
vorangetrieben werden.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Außenminister von Venezuela und Chile, Nicolás Maduro
und Alfredo Moreno, haben in der vergangenen Woche in Caracas rund um die Feiern zur 200-
jährigen Unabhängigkeit Venezuelas neue Termine für das Gründungstreffen der Gemeinschaft der
lateinamerikanischen und karibischen Staaten (CELAC) beraten. Ursprünglich sollte die
Konstituierung der neuen und bislang größten Regionalorganisation am 5. und 6. Juni in Caracas
stattfinden. Der Termin war jedoch wenige Tage zuvor wegen einer Krebserkrankung des
venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez abgesagt worden.
Dem ambitionierten Projekt tut die Verschiebung keinen Abbruch. 33 Staaten Lateinamerikas und
der Karibik werden in dem neuen Konsultationsmechanismus zusammenkommen. Mit der Schaffung
der CELAC wird die 1986 entstandene Rio-Gruppe aufgelöst. Anders als in der von Washington
dominierten Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) werden in der CELAC weder die USA noch
Kanada Mitglied sein. Die beiden nordamerikanischen Staaten würden jedoch nicht ausgeschlossen,
heißt es in Organisatorenkreisen: Sie gehörten schlichtweg nicht zu Lateinamerika und der Karibik.
Vereinzelt gibt es Unkenrufe: Der ehemalige Gouverneur von Caracas und Diplomat Diego Arria gibt
der CELAC keine Zukunftschancen. Eine Organisation neben der OAS läge »nur im Interesse
Venezuelas«, sagte der Oppositionelle unlängst auf der Jahreskonferenz des nationalen
Unternehmerverbandes Fedecámaras. Die meisten Staaten der Region unterhielten schließlich gute
Beziehungen zu den USA.
Ohne Zweifel haben die progressiven Staaten wie Venezuela und Kuba eine führende Rolle bei der
Schaffung der CELAC. Schon bei einem Regionaltreffen im nordostbrasilianischen Salvador de
Bahía 2008 drängten Vertreter beider Staaten auf die Gründung einer umfassenden
Regionalorganisation. Auf der 21. Konferenz der Rio-Gruppe im mexikanischen Cancún 2010 wurde
Kuba offiziell in die Organisation aufgenommen – und spielte fortan eine aktive Rolle in der Debatte
über die CELAC, deren Gründung am Ende des Cancún-Treffens bekannt gegeben wurde.
An der regionalen Integration haben durchaus auch die neoliberalen Staaten der Region ein
Interesse. Chile wird seinen aktuellen Vorsitz der Rio-Gruppe nutzen, um als erstes Land die neue
Regionalorganisation Lateinamerikas und der Karibik zu führen. Parallel zeichnen sich dabei erste
Debatten zwischen den politischen Lagern ab. Dispute gibt es nach Angaben beteiligter Funktionäre
vor allem über eine geplante Demokratiecharta. Die konservativ regierten Pazifikstaaten wollten
darin klassische Positionen der repräsentativen Demokratie verankern. Diese stehen jedoch im
Widerspruch zu den partizipativen Demokratiemodellen, die etwa in Venezuela und Bolivien
entwickelt werden.
Der Unterschiede ungeachtet ist die CELAC Ausdruck einer zunehmenden regionalen Integration
und eines solidarischen Miteinanders Lateinamerikas und der Karibik. Die letzte »Interamerikanische
Demokratiecharta« etwa wurde 2001 von den USA auf einer OAS-Tagung verabschiedet – und
diente seither vor allem als Instrument gegen Venezuela und Kuba. Ein Zeichen für die verstärkte
Zusammenarbeit ist auch ein Antrag des 1964 gegründeten Lateinamerikanischen Parlaments an
die CELAC-Gründer, als legislativer Arm der Regionalorganisation anerkannt zu werden. Erklärtes
Vorbild sei die Europäische Union, so Parlamentsvertreter.
* Aus: Neues Deutschland, 11. Juli 2011
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