Das Gespenst der Inflation geht um
Viele Länder Lateinamerikas stöhnen unter der kontinuierlich steigenden Teuerungsrate
Von Knut Henkel *
In Lateinamerika steigt die Inflation. Nicht nur in Venezuela und Argentinien, wo die Preise schon seit Jahren immer höher klettern, treibt das den Menschen Sorgenfalten auf die Stirn. Auch Länder wie Brasilien, die die wirtschaftliche Krise scheinbar gut überstanden hatten, sind betroffen.
Mit 27,2 Prozent liegt die Teuerungsrate in Lateinamerika nirgends so hoch wie in Venezuela. Vor allem bei den Nahrungsmitteln steigen dort die Preise rapide und lassen die Löhne der weniger vermögenden Bevölkerungsschichten wie Butter in der Sonne schmelzen. Den Mindestlohn zum Augleich für die hohe Inflation alle paar Monate anzuheben, ist daher schon Usus geworden.
Auch in anderen Ländern steigt die Teuerungsrate kontinuierlich, während die Preise für Lebensmittel an den Börsen noch dazu weiter klettern. Neben Argentinien (zehn Prozent), das wie Venezuela bereits in den vergangenen Jahren zu einer hohen Quote neigte, sind auch wirtschaftlich erfolgreiche Länder wie Bolivien oder Uruguay betroffen, die die internationale Finanzkrise mit Bravour überstanden hatten.
Lokomotive auf unsicherem Gleis
Selbst in Brasilien, der wirtschaftlichen "Lokomotive" Lateinamerikas, lag die Inflationsquote für das Jahr 2010 bei satten 5,9 Prozent und damit deutlich über den anvisierten 4,5 Prozent. Dabei schien das Land recht unbeeindruckt von der Krise im Norden, konnte selbst im Jahr 2009 positive Wirtschaftsdaten vorlegen.
Für die nachlassende Kaufkraft sind vor allem drei Gründe verantwortlich: Die steigenden Rohstoff- und Lohnkosten sorgen in Kombination mit dem hohen Kapitalangebot an den lokalen Finanzmärkten für den Preisauftrieb. Hinzu kommt, dass Brasiliens Wirtschaft auf Hochdruck läuft, die Unternehmen aber unter ähnlichen Problemen leiden wie die deutsche Wirtschaft - es fehlt an qualifizierten Arbeitskräften. Nicht nur Ingenieure und IT-Spezialisten werden dringend gesucht, auch an Facharbeitern, Verkaufspersonal und Reinigungskräften fehlt es.
Diese Situation macht ein Problem der brasilianischen Wirtschaftsentwicklung sichtbar: In den vergangenen Jahren ist es trotz aller wirtschaftlichen Erfolge nicht geglückt, die Arbeitslosen zu qualifizieren. Das Versäumnis könnte jetzt harte Konsequenzen nach sich ziehen, denn Brasilien werden exzellente Wachstumsprognosen ausgestellt.
Ein weiterer Faktor für den Wertverlust des Real ist der Boom bei den Rohstoffen. Davon profitieren einige lokale Konzerne wie der Bergbaugigant Vale, der Zuckermulti COSAN oder die Kaffeeindustrie. Andere Hersteller, wie der Flugzeugbauer Embraer oder die Stahlschmiede Gerdau, stöhnen unter den steigenden Kosten.
Zurück zur Gesamtsituation: Manche der lateinamerikanischen Währungen werden derzeit stärker gegenüber dem Euro oder dem US-Dollar. War etwa im November 2009 ein Euro noch rund 3000 kolumbianische Peso wert, so sind es derzeit rund 2850.
Das Dilemma der Finanzminister
In Brasilien, Chile oder Peru werden Milliardensummen in den Kauf von US-Dollar investiert. Trotzdem tun die Banken nichts, um die einheimischen Währungen zu stärken. Eine Anhebung der Zinsen wäre das probate Mittel, um die Inflation zu dämpfen. Dies aber hätte zur Folge, dass die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie sinken würde.
Dies ist das Dilemma, das derzeit viele Länder Lateinamerikas heimsucht. Dagegen müssen die Finanzminister zwischen Feuerland und dem Rio Grande nun geeignete Lösungswege suchen.
* Aus: Neues Deutschland, 14. Februar 2011
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